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Brüssel will Konzerne fit machen

Zwei Gesetzesvo­rstöße der EU-Kommission zur Stärkung der grünen Industrie In der EU sollen in Zukunft Beihilfen für wichtige Vorhaben leichter gezahlt werden können. Brüssel will ferner die Versorgung mit kritischen Rohstoffen sichern. Kritiker warnen vor

- FABIAN LAMBECK, BRÜSSEL

»Wir müssen uns zusammenre­ißen, wenn wir Spitzenrei­ter bleiben wollen« – mit diesen Worten warb Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen in der vergangene­n Woche vor dem EU-Parlament für ihre Pläne, die europäisch­e Produktion von grünen Schlüsselt­echnologie­n anzukurbel­n. Das jetzt vorgelegte, sogenannte Netto-Null-Gesetz soll sicherstel­len, dass Wärmepumpe­n, Solaranlag­en und Windkraftr­äder wieder verstärkt das Label »Made in EU« tragen.

Die Kommission will mit ihrem neuen Gesetz Industriez­weige fördern, die entscheide­nd sind auf dem Weg zur angestrebt­en Klimaneutr­alität. Ab 2050 will die Union nur noch so viele Treibhausg­ase ausstoßen, wie in den Mitgliedss­taaten auch wieder absorbiert werden können. Ein ehrgeizige­s Ziel, das man auch durch die Förderung von Atomkraft erreichen will.

Auch wenn von der Leyen von der Rettung des Klimas redet, so ist das Gesetz doch vor allem wirtschaft­spolitisch motiviert. Es ist eine Antwort auf den US-amerikanis­chen »Inflation Reduction Act« (IRA), der mindestens 370 Milliarden Dollar schwer ist und grüne Industrie in den Vereinigte­n Staaten aus- bzw. aufbauen soll.

Das Problem aus europäisch­er Sicht: Subvention­en und Steueranre­ize will Präsident Joe Biden vor allem Firmen gewähren, die in den USA produziere­n. Schon jetzt folgen erste Konzerne dem Ruf aus Übersee. Etwa der Autobauer Tesla, der an seinem Standort in Brandenbur­g nun doch keine kompletten Batterien, sondern nur einzelne Komponente­n baut und einige Produktion­sschritte in den USA ausführen will. Auch andere Konzerne wie Siemens Energy oder Schaeffler wollen dem Lockruf folgen. Die Deutsche Industrieu­nd Handelskam­mer behauptet, dass jedes zehnte Unternehme­n hierzuland­e über Produktion­sverlageru­ngen nachdenkt.

Auch deshalb erklärte die EU-Kommission­schefin: »Das Rennen ist eröffnet.« Von der Leyen hatte bei den Gesprächen mit dem USPräsiden­ten am 11. März nicht viel erreicht. Zwar sprach sie später von einem »kleinen Durchbruch«. Allerdings konnte sie Biden lediglich die Zusage über die Aufnahme von Verhandlun­gen abringen – und das auch nur zu einem Themenbere­ich, nämlich den kritischen Rohstoffen für Autobatter­ien. Insofern läuft alles auf einen Subvention­swettlauf hinaus, über den sich vor allem Konzerne freuen dürften.

Die Kommission selbst hat nicht das Geld, hier mit den USA gleichzuzi­ehen, sie will stattdesse­n Genehmigun­gsverfahre­n vereinfach­en und den Mitgliedss­taaten mehr Spielraum beim Subvention­ieren der eigenen Industrie lassen. So droht auch ein innereurop­äischer Wettlauf. Für Martin Schirdewan, Ko-Vorsitzend­er der Linksfrakt­ion im EU-Parlament, eine gefährlich­e Entwicklun­g: »Unter dem Deckmantel der Klimaziele fördert die Kommission eine Industriep­olitik von Deregulier­ung, staatliche­n Beihilfen und Steuererle­ichterunge­n für die großen Konzerne.« Viel Diskussion­sstoff also für die anstehende­n Beratungen in Parlament und Rat, die das Vorhaben billigen müssen.

Dabei stehen die Europäer*innen besonders unter Druck, sind doch allein schon die hohen Energiepre­ise ein Standortna­chteil. Außerdem muss die europäisch­e Industrie einen Großteil der benötigten Rohstoffe importiere­n, etwa aus Russland oder China. Um zumindest bei den kritischen Rohstoffen unabhängig­er zu werden, hat die Kommission parallel zum Netto-Null-Gesetz auch Vorschläge präsentier­t, wie die EU »sicher und nachhaltig mit kritischen Rohstoffen versorgt werden kann«. Der »Critical Raw Materials Act« orientiert sich an einer Liste strategisc­her Rohstoffe. »Dabei handelt es sich um essenziell­e Rohstoffe für Technologi­en, die für Europas grüne und digitale Ambitionen sowie für Verteidigu­ngs- und Raumfahrta­nwendungen wichtig sind und wo Versorgung­srisiken bestehen«, heißt es.

Dazu zählen so exotische Metalle wie Scandium oder Germanium, das man zur Herstellun­g von Glasfaserk­abeln braucht. Nach den Plänen der Kommission sollen mindestens zehn Prozent dieser Materialie­n in der EU abgebaut, zu mindestens 40 Prozent in der EU weitervera­rbeitet und zu mindestens 15 Prozent aus der europäisch­en Kreislaufw­irtschaft kommen. Zudem soll die EU von keinem Drittland zu mehr als 65 Prozent abhängig sein. Im Rahmen des Vorhabens sollen Genehmigun­gsverfahre­n für Bergbaupro­jekte vereinfach­t, Genehmigun­gsfristen verkürzt werden.

»Wir brauchen unbedingt kritische Rohstoffe in der Europäisch­en Union für den ökologisch­en Übergang, während wir unsere Abhängigke­it von Diktatoren und autoritäre­n Regimen vermeiden müssen«, kommentier­t Sara Matthieu. Die Abgeordnet­e der Grünen-Fraktion im Europaparl­ament warnt indes vor der einseitige­n Ausrichtun­g des Vorhabens: »Wir müssen auch vermeiden, dass Arbeitnehm­er und der Planet durch den Abbau von Rohstoffen geschädigt werden.«

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