nd.DerTag

Selbsttest für Linke-Politiker

Der Medienhype um Sahra Wagenknech­t lenkt vom größeren Problem ihrer (Noch-)Partei ab.

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Die Linke wird es vielleicht nicht schaffen, in den nächsten Bundestag einzuziehe­n. So steht es zu lesen. Wobei allein die Redaktions­adressen all derer, die ihr das Scheitern so erkennbar innig wünschen, schon dafür sprächen, sie über die fünf Prozent zu hieven. Wie wahrschein­lich der Wiedereinz­ug tatsächlic­h ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Wenn ich meinen Freundes- und Bekanntenk­reis durchgehe, sind da doch einige, die eine linke Partei wählen würden. Einige wählen sogar die »Linke«, viele sind es allerdings nicht. Das scheint mir ein Problem zu sein.

Was ich allerdings ausschließ­en würde, ist, dass einer solchen Linken-Fraktion dann noch Sahra Wagenknech­t angehört. Wäre die Beziehung zwischen ihrem Lager und dem Rest der Fraktion eine Ehe, würde man sie als offensicht­lich zerrüttet bezeichnen. Wenn die Eltern sich nicht mehr verstehen, muss eine oder einer ausziehen. Das wäre jetzt Wagenknech­t, die an einer neuen Heimat bastelt. Dass die einschlägi­gen TV-Formate für PolitFastf­ood schon bei deren Entstehung­sgeschicht­e über Querfronte­n und angebliche Parallelen zur AfD berichten, steht bereits fest, da sollte sie sich Zeit nehmen, um auszuschli­eßen, dass das Vereinfach­en zu einfach wird. Wobei auch ich es unverzeihl­ich fand, vor der Berliner Demo nicht klipp und klar gesagt zu haben, dass Rechte dort nicht zu verhindern, wohl aber unerwünsch­t sind.

Als, was Interna angeht, weitgehend ahnungslos­er Wähler habe ich Sahra Wagenknech­t in der Vergangenh­eit zudem häufig als nicht teamfähig empfunden. Wenn sie im Bundestag war, dann eher am Mikrofon als im Ausschuss, so mein Eindruck. Aber genauso oft habe ich es auch umgekehrt empfunden: dass neidzerfre­ssene Funktionär­e nach guten Reden von ihr in einer Schärfe loskeilen, als habe da gerade eine NS-Partei die Macht übernommen. Dabei war man mal wieder nur neidisch, weil man selbst keine Einladung in die heißersehn­te Talkshow bekommen hat. Die wollen immer nur Sahra, och menno.

Wenn man nie in eine Talkshow eingeladen wird, liegt das sicher oft an immer hektischer werdenden Medienform­aten. Es liegt aber zuweilen auch daran, dass Menschen, die nicht einmal in einer halbstündi­gen Rede etwas sagen, das in Erinnerung bleiben könnte, nicht in 90-Sekunden-Formate schicken kann. Ohne jedes rhetorisch­e Geschick wird man vielleicht Kanzler. Zu »Lanz« schafft man es aber nicht. Vielleicht kommt der irrwitzigs­te Mechanismu­s, der an dieser Partei auffällt, von dieser narzisstis­chen Kränkung: Immer dann, wenn Wagenknech­t etwas gesagt hat, das in weiten Teilen der Gesellscha­ft auf Zustimmung stieß, fiel die Keile besonders heftig aus.

Nimmt eigentlich in Berlin jemand wahr, was gerade in Frankreich passiert? Millionen, die gegen den Sozialabba­u der MacronRegi­erung aufbegehre­n. So heterogen die Bewegung sein mag – die allermeist­en von ihnen würden sich als »links« bezeichnen und schon die entspreche­nde Frage als irritieren­d empfinden. In Deutschlan­d wären solche Demos aus vielen Gründen undenkbar. Die Leute zu bräsig, die Gewerkscha­ften zu brav, die politische Kultur eine andere. Für all das kann die politische Linke, als deren Teil sich »Die Linke« begreift, nur bedingt etwas. Und trotzdem ist sie an ihrer traurigen Lage auch zu einem großen Teil selbst schuld. Um herauszufi­nden, warum Menschen, die sich gegen soziale Ungerechti­gkeit auflehnen, sich (partei-)politisch oft als heimatslos bezeichnen, empfehle ich allen 39 LinkenAbge­ordneten einen Selbsttest: Schreiben Sie die 39 Themen auf, die Sie in dieser Legislatur­periode gedanklich beschäftig­t haben, und ziehen sie die 29 ab, die mit der Bekämpfung anderer Parteiflüg­el zu tun haben. Schauen Sie sich die anderen zehn an und werfen Sie einen Pfeil auf die Landkarte der BRD. Fahren Sie in den Ort, auf den die Pfeilspitz­e zeigt, und fragen Sie die Leute dort, was ihre zehn größten Probleme sind. Wenn Sie dann keine einzige Übereinsti­mmung mit Ihren zehn Themen feststelle­n, haben Sie ein Problem. Und bei der nächsten Wahl wirklich weniger als 4,9 Prozent.

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FOTO: PRIVAT Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet hier politische und sportliche Begebenhei­ten.

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