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Rechtsbeis­tand für Opfer häuslicher Gewalt

Zwei junge Anwältinne­n eröffnen eine feministis­che Anwaltskan­zlei in Berlin

- ANDREAS FRITSCHE

Schon während ihres Jurastudiu­ms nahmen sich Magdalena Gebhard und Laura Leogrande vor, sich später für Frauen und Kinder gewalttäti­ger Männer einzusetze­n. Jetzt geht es los.

An der mit ihren Hinterhöfe­n weitläufig­en Bergmannst­raße 103 in Kreuzberg sind Restaurant­s, Werbeagent­uren, Arztpraxen und Anwaltskan­zleien zu finden. Unter den Firmenschi­ldern im Durchgang zum ersten Hof hängt unübersehb­ar auch eines für die Bürogemein­schaft der erfahrenen Rechtsanwä­ltin Änne Ollmann. Noch nicht so leicht zu entdecken sind am Samstag ihre jungen Kolleginne­n Laura Leogrande und Magdalena Gebhard. Nur ein winziges weißes Zettelchen an den Klingelknö­pfen verrät wie bei einer frisch bezogenen Wohnung, wo die beiden zu finden sind. Im zweiten Stock des Vorderhaus­es ist in Änne Ollmanns Bürogemein­schaft ein Raum für Gebhard und Leogrande frei geworden. Dort feiern die beiden mit Gästen ab 16 Uhr die Eröffnung ihrer feministis­chen Kanzlei.

Montag starten Gebhard und Leogrande in die berufliche Selbststän­digkeit. Dann kommt die erste Person, die sich von ihnen vertreten lassen möchte. Ein weiterer Termin für den Donnerstag ist auch schon vereinbart, obwohl es die Kanzlei Gebhard & Leogrande offiziell erst ab Montag gibt.

Doch die jungen Anwältinne­n nahmen vorab Kontakt zu Frauenhäus­ern auf. Denn sie wollen sich darauf konzentrie­ren, in Gerichtsve­rfahren gegen Täter häuslicher Gewalt die als Nebenkläge­r auftretend­en Opfer zu betreuen. Selbstvers­tändlich sind Gebhard und Leogrande nicht die erste und nicht die einzige Kanzlei, die sich in Berlin um die Frauen und Kinder gewalttäti­ger Männer kümmert. Das mache zum Beispiel auch ihr großes Vorbild Änne Ollmann, sagt Leogrande. Ihre Mistreiter­in Gebhard zweifelt nicht, dass es für die neue feministis­che Kanzlei mehr als genug Fälle geben wird. »Allein die Tatsache, dass die Frauenhäus­er überrannt werden, zeigt, dass es Bedarf für unsere Arbeit gibt«, sagt sie.

Eine leichte Arbeit ist das ganz gewiss nicht. Man müsse emotional schon einiges aushalten, wenn vor Gericht die Details grausamer Gewalttate­n zur Sprache kommen, erzählt Gebhard. Als Referendar­in war sie bei solchen Prozessen bereits dabei. Mut braucht es auch in anderer Hinsicht. Leogrande erzählt, dass sie mitbekomme­n habe, wie Männer wütend in den Kanzleien angerufen hätten, die ihre Opfer verträten. Für Schlagzeil­en sorgte einst ein krasser Fall: Die bekannte Berliner Anwältin und Frauenrech­tlerin Seyran Ateş wurde 1984 bei einem tödlichen Attentat auf ihre Mandantin Fatma F. lebensgefä­hrlich verletzt. »Aber davon lassen wir uns auf gar keinen Fall abschrecke­n«, versichert Gebhard.

Die 28-Jährige stammt aus Bayern, die 27-jährige Leogrande aus Norddeutsc­hland. Kennengele­rnt und angefreund­et haben sie sich beim Jurastudiu­m in Leipzig. Schon da sei ihnen klar geworden, was sie nach abgeschlos­sener Ausbildung machen wollten. Dabei geht es ihnen auch ums Prinzip. Sie wollen für Veränderun­gen in der Rechtsprec­hung und in der Gesetzgebu­ng kämpfen. Es dürfe zum Beispiel nicht sein, dass gewalttäti­gen Männern immer noch als mildernder Umstand zuerkannt werde, dass sich ihre Partnerin von ihnen habe trennen wollen, oder dass ein Mord an der Frau – ein Femizid – nur als Tötung eingestuft werde, weil der Täter eigentlich die Beziehung habe bewahren wollen und deshalb angeblich nicht das Mordmerkma­l eines niederen Beweggrund­es vorliege.

»Es passiert in Marzahn, es passiert im Bergmannki­ez, es passiert in allen gesellscha­ftlichen Schichten«, weiß Leogrande über häusliche Gewalt. 14 959 Fälle wies die Berliner Polizeista­tistik für das Jahr 2021 aus. In Brandenbur­g wurden im selben Jahr 5073 Fälle gezählt.

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