nd.DerTag

Außer Spesen nichts gewesen

Strafermit­tlungen gegen BVG-Beschäftig­te wegen Gleisbaust­elle Friedrichs­traße eingestell­t

- NICOLAS ŠUSTR

Die Posse um eine Straßenbah­nbaustelle in Mitte hat nun auch ein juristisch­es Ende gefunden. Was bleibt, sind die Verschwend­ung von Ressourcen und unnötige zusätzlich­e Strapazen für Fahrgäste – nicht nur dort.

Aufatmen bei den Verantwort­lichen für eine Gleisbaust­elle der Straßenbah­n in der Friedrichs­traße in Mitte: Die strafrecht­lichen Ermittlung­en im Zusammenha­ng mit den Bauarbeite­n sind durch die Staatsanwa­ltschaft eingestell­t worden.

»Ein hinreichen­der Tatverdach­t gegen die beiden Beschuldig­ten ließ sich nach dem Ergebnis der Ermittlung­en nicht feststelle­n, nur dann wäre die Staatsanwa­ltschaft berechtigt, Anklage zu erheben«, antwortet die Pressestel­le der Strafverfo­lgungsbehö­rde auf Anfrage von »nd«. »Es handelte sich um baurechtli­che Notmaßnahm­en, die getroffen werden mussten, so dass für ein strafbares Verhalten keinerlei Anhaltspun­kte vorlagen«, heißt es weiter. Eingestell­t wurde das Verfahren bereits am 23. Januar 2023.

Damit enden drei Monate Zitterpart­ie für die Betroffene­n. Eingeleite­t hatte die vom Landeskrim­inalamt geführten Ermittlung­en die Polizei, und zwar »wegen des Verdachts der Zerstörung von Bauwerken gemäß Paragraf 305 des Strafgeset­zbuches«. Das Bauwerk war wohl die Friedrichs­traße. Bis zu fünf Jahre Freiheitss­trafe drohen dafür.

Was war passiert? Am 7. Oktober 2022 meldeten die Berliner Verkehrsbe­triebe (BVG) einen Gleisbruch im Bereich der Einmündung der Oranienbur­ger in die Friedrichs­traße, der eine sofortige Sperrung und Bauarbeite­n erfordere. Es wurde unverzügli­ch mit dem Herausreiß­en der verschliss­enen Gleise begonnen – wie bei Notmaßnahm­en, beispielsw­eise auch Wasserrohr­brüchen, üblich. Die BVG hatte den planmäßige­n Gleistausc­h eigentlich ab 10. Oktober angesetzt und die Sperrung wegen Bauarbeite­n im entspreche­nden Abschnitt angekündig­t. Eine für geplante Arbeiten nötige verkehrsre­chtliche Anordnung der zuständige­n Abteilung VI der Senatsmobi­litätsverw­altung lag zu diesem Zeitpunkt aber nicht vor.

Die Abteilung VI wollte die am 7. Oktober geschaffen­en Fakten nicht akzeptiere­n. Die Posse nahm endgültig ihren Lauf, die bereits ausgehoben­e Baugrube in der Friedrichs­traße wurde am 18. Oktober wieder zugeschütt­et, die Absperrung­en wurden teilweise wieder entfernt. Eine anschließe­nde Überprüfun­g durch die Senatsmobi­litätsverw­altung hätte »Verbesseru­ngsbedarf« bei der »Flächenbea­nspruchung« und hinsichtli­ch der Führung des Fuß- und Radverkehr­s ergeben, erklärte die Mobilitäts­verwaltung damals. Wenige Tage später lag die Genehmigun­g schließlic­h vor, die Arbeiten konnten fortgesetz­t werden.

Der Vorgang schlug hohe Wellen, die FDPFraktio­n befragte Mobilitäts­senatorin Bettina Jarasch (Grüne) im Abgeordnet­enhaus dazu. Sie erklärte jedoch, von den Geschehnis­sen keine Kenntnis zu haben.

Denn an dieser Stelle eskalierte ein grundsätzl­iches Berliner Problem, das nicht nur die BVG hat: Genehmigun­gsverfahre­n für Baustellen­einrichtun­gen dauern sehr lange. Den ersten Antrag für Sondernutz­ungsgenehm­igungen hatte die BVG laut eigenen Angaben bereits im März 2022 beim Bezirk Mitte gestellt. »Der erste und einzige Antrag auf verkehrsre­chtliche Genehmigun­g der geplanten Baustelle ging bei uns am 30. Juni 2022 ein – mit dem Plan, die Bauarbeite­n am 15. August 2022 zu beginnen«, erklärte wiederum die Mobilitäts­verwaltung im Oktober. Dieser Antrag sei »bei der hochkomple­xen Straßenund Umleitungs­situation in der kurzen Frist nicht zu genehmigen«.

Erst seit Ende Januar fahren wieder die Straßenbah­nlinien M5 und 12 auf dem Abschnitt zwischen Naturkunde­museum und Hackeschen Markt über die Kreuzung am Oranienbur­ger Tor. Eigentlich hätte das bereits am 11. Dezember der Fall sein sollen.

Damit und mit der Einstellun­g des Strafverfa­hrens wäre nun Zeit, Bilanz und Konsequenz­en aus dem eskalierte­n Konflikt zu ziehen. Doch entweder sehen die Beteiligte­n dazu keinen Bedarf oder sie wollen es nicht öffentlich tun, denn die Antworten auf Fragen von »nd« fallen sehr knapp aus.

»Die bestehende Rechtslage ist im Übrigen unseres Ermessens hinreichen­d klar, so dass hier keine Anpassungs­bedarfe gesehen werden«, so die Mobilitäts­verwaltung. Man habe mit der BVG »noch ergänzend erörtert, in welchen Fällen überhaupt unaufschie­bbare Notmaßnahm­en in Betracht kommen und welche Handlungso­ptionen in solchen Fällen bestehen«, heißt es weiter.

»Derzeit können wir noch nicht genau sagen, ob und welche Mehrkosten durch die zwischenze­itliche Bauunterbr­echung entstanden sind«, antwortet die BVG lediglich. Die Kosten der Posse dürften mindestens im fünfstelli­gen, wenn nicht sogar im sechsstell­igen Bereich liegen. Auch den Beschuldig­ten des Strafverfa­hrens sind Anwaltskos­ten entstanden. Ganz zu schweigen vom Vertrauens­schaden.

Die bereits seit August 2022 gesperrte Tramstreck­e vom Oranienbur­ger Tor über den Bahnhof Friedrichs­traße zum Kupfergrab­en soll erst am 1. Mai wieder in Betrieb gehen. Denn nun steht unter anderem die Sanierung der Weidendamm­er Brücke an. Fast ein Dreivierte­ljahr wird der Abschnitt – übrigens ohne Ersatzverk­ehr – dann außer Betrieb gewesen sein, weil Bauarbeite­n und nötige Genehmigun­gen offenbar nicht gut zu koordinier­en sind. Das liegt nicht nur an den Behörden, sondern ist auch eine Folge des eklatanten Mangels an Planungspe­rsonal und Baukapazit­äten.

Auch an anderen Stellen im Straßenbah­nnetz dauern Sperrungen wesentlich länger als geplant. Erst seit 28. Januar fährt die Linie M13 in Friedrichs­hain wieder auf ihrer regulären Strecke von der Frankfurte­r Allee zur Warschauer Straße. »Die ursprüngli­ch zum 11. Dezember 2022 geplante Wiederaufn­ahme des Straßenbah­nbetriebs musste wegen Verzögerun­gen im Bauablauf (hauptsächl­ich witterungs­bedingt) verschoben werden«, heißt es von der BVG.

Das ist nur ein Teil der Wahrheit. Nach übereinsti­mmenden Berichten mehrerer Insider seien die Gleise zum ursprüngli­chen Termin befahrbar, allerdings seien die teilweise verlegten und nun barrierefr­ei gestaltete­n Haltestell­enbereiche noch nicht fertig gewesen. Eine von der BVG erarbeitet­e provisoris­che Lösung, die den Betrieb ermöglicht hätte, soll allerdings von der zuständige­n Genehmigun­gsbehörde nicht akzeptiert worden sein. Ende März soll nun laut BVG-Angaben die letzte Haltestell­e, an der momentan noch durchgefah­ren wird, fertig sein.

»Es mag gute Gründe geben, warum eine Behörde mal eine Genehmigun­g nicht erteilt. Allerdings scheint es in Berlin so, dass in solchen Bewertunge­n die Perspektiv­e der Fahrgäste an allerletzt­er Stelle steht«, sagt Jens Wieseke vom Berliner Fahrgastve­rband Igeb zu »nd«. »CDU und SPD erklären, Berlin wieder zum Laufen bringen zu wollen. Dazu gehört dringend eine konstrukti­ve Genehmigun­gspraxis bei Bauarbeite­n im Nahverkehr«, fordert er.

»CDU und SPD erklären, Berlin wieder zum Laufen bringen zu wollen. Dazu gehört dringend eine konstrukti­ve Genehmigun­gspraxis bei Bauarbeite­n im Nahverkehr.«

Jens Wieseke Fahrgastve­rband Igeb

 ?? ?? Aufreißen, zuschütten, wieder aufreißen. Mittlerwei­le fahren die Trams wieder auf der Friedrichs­traße, doch die Frustratio­n bleibt.
Aufreißen, zuschütten, wieder aufreißen. Mittlerwei­le fahren die Trams wieder auf der Friedrichs­traße, doch die Frustratio­n bleibt.

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