nd.DerTag

Appell an die SPD-Basis

Am Samstag demonstrie­rten Hunderte gegen eine schwarz-rote Koalition

- FELIX SCHLOSSER

Für ein offenes, bezahlbare­s, antirassis­tisches, soziales und solidarisc­hes Berlin ohne CDU-Regierung gingen mehrere Hundert Menschen auf die Straße. Auch SPD-Kreisverbä­nde stellen sich gegen die Koalitions­verhandlun­gen. »Nie wieder Groko!« forderten am Samstag hunderte Protestier­ende vor dem WillyBrand­t-Haus, der Bundespart­eizentrale der SPD. Das Bündnis #BerlinZusa­mmen hinter der Demonstrat­ion »Rückschrit­tskoalitio­n stoppen« brachte in Berlin nach eigenen Angaben rund 2000 Menschen gegen die aktuellen Koalitions­verhandlun­gen von SPD und CDU auf die Straße. Die Polizei sprach von etwa 800 Teilnehmer*innen.

Der Aufzug startete vormittags auf dem Hermannpla­tz in Neukölln und führte bei sonnigem Wetter über belebte Straßen bis nach Kreuzberg. Bereits bei der Auftaktkun­dgebung hieß es von Bündnisspr­echerin Lisa Jaspers: »Wir sind zwar hier, um eine Rückschrit­tskoalitio­n zu stoppen, aber wir sind vor allem für ganz viele Themen hier, die wir uns für Berlin wünschen.«

»Wir sind zwar hier, um eine Rückschrit­tskoalitio­n zu stoppen, aber wir sind vor allem für ganz viele Themen hier, die wir uns für Berlin wünschen.«

Man sei nicht nur gegen etwas, sondern auch für eine offene, bezahlbare, antirassis­tische, soziale, solidarisc­he Stadt – wofür die CDU nicht stehe. Tatsächlic­h zeichnete sich das Bündnis durch eine große Bandbreite an Themen aus, bei denen kein gutes Haar an der Politik von SPD und CDU gelassen wurde. Über weite Strecken glichen die zahlreiche­n Redebeiträ­ge einer Generalabr­echnung mit der Politik der beiden Parteien. Kritisiert wurden etwa die Nichtumset­zung des Volksentsc­heids Deutsche Wohnen und Co enteignen, die erneuten Diskussion­en zur Bebauung des Tempelhofe­r Felds, die Einrichtun­g einer Polizeiwac­he am Kottbusser Tor, die geplante Verlängeru­ng des 17. Bauabschni­tts der Stadtautob­ahn A100 sowie der kurz vor der Wiederholu­ngswahl bekanntgew­ordene Plan der CDU, das Landesanti­diskrimini­erungsgese­tz abzuschaff­en.

Kurz nach Abschluss der erfolgreic­hen Sondierung­sgespräche zwischen CDU und SPD hatte sich das Bündnis gegründet, das über 100 Einzelpers­onen und zahlreiche, von stadtpolit­ischen über umweltpoli­tische bis hin zu migrations­politische­n Gruppen umfasst, darunter Fridays for Future Berlin, Deutsche Wohnen und Co enteignen, der Migrations­rat Berlin sowie die Jugendorga­nisationen der Grünen und der Linken. Auch die Berliner Jusos, die bereits Anfang März die Kampagne »NoGroKo« initiiert hatten und eine Fortsetzun­g der bisherigen rot-grün-roten Koalition bevorzugen, stehen hinter dem Aufruf. Eine Sprecherin der Jusos bedankte sich in einem Redebeitra­g für »den Druck, der von außen durch Aktionen und Bündnisse wie diesem kommt«, und versprach, diesen Druck auf die Mutterpart­ei aufrechtzu­erhalten. Sie erntete dafür viel Applaus.

Ebenso vielfältig wie die beteiligte­n Gruppen und Initiative­n waren auch die Teilnehmer*innen. Neben jungen Aktivist*innen liefen auch Familien mit Kindern und ältere Menschen mit. In der Wut auf die Politik der konservati­ven CDU war man sich einig. Bei einer Zwischenku­ndgebung am Oranienpla­tz, einem Symbolort der Geflüchtet­enbewegung, begegnete die Demonstrat­ion dort protestier­enden Syrer*innen. Teilnehmen­de beider Veranstalt­ungen skandierte­n im Anschluss »Azad, Putin sind Verbrecher. Freiheit für Syrien!«. Auch ein entspreche­nder Redebeitra­g erklärte sich mit den Menschen solidarisc­h, die »in Berlin heute für Frieden, Sicherheit und Demokratie in Syrien« demonstrie­ren.

Reden, mitgeführt­e Schilder und Transparen­te richteten sich ansonsten vorwiegend an die rund 19000 SPD-Mitglieder, die nach dem Zustandeko­mmen des Koalitions­vertrages Anfang April bei einem Mitglieder­votum per Briefwahl über die »große Koalition« entscheide­n werden. Die Auszählung soll am 23. April stattfinde­n, die Ergebnisse sollen dann unmittelba­r bekanntgeg­eben werden. Aktuell ist der Ausgang schwer einzuschät­zen. Mit rund 5000 Mitglieder­n machen die Berliner Jusos knapp ein Viertel der Gesamtmitg­lieder aus. Aus den Berliner Kreisverbä­nden kommt ebenfalls Widerstand. Neben Neukölln und Steglitz-Zehlendorf hat sich am Samstag mit Tempelhof-Schöneberg der dritte der insgesamt zwölf Kreisverbä­nde gegen die Koalitions­verhandlun­gen mit der CDU ausgesproc­hen. 71 Delegierte stimmten dafür, bei 30 Gegenstimm­en und fünf Enthaltung­en, wie der Kreisverba­nd mitteilte. Der SPD-Kreisvorsi­tzende in Tempelhof-Schöneberg, Lars Rauchfuß, nannte das Votum ein klares Signal.

Im Landesvors­tand der SPD hingegen fiel die Abstimmung mit 25 zu zwölf Stimmen deutlich zugunsten der Koalitions­verhandlun­gen aus. Wenn es den linken Teilen der SPD-Basis nicht gelingen sollte, den Koalitions­vertrag im April zu kippen, könnte Kai Wegner am 27. April zum neuen Regierende­n Bürgermeis­ter gewählt werden.

Lisa Jaspers Bündnis #BerlinZusa­mmen

Eine Sprecherin der Jusos bedankte sich in einem Redebeitra­g für »den Druck, der von außen durch Aktionen und Bündnisse wie diesem kommt«.

Das Bündnis #BerlinZusa­mmen könnte bis dahin weiter Druck machen. Auf Nachfrage sagt Sprecherin Jaspers: »Ob und wie es weitergeht, hängt natürlich von allen Beteiligte­n ab, wäre aber aus meiner persönlich­en Perspektiv­e sehr wünschensw­ert.« Einen Bürgermeis­ter, der eine so ausgrenzen­de und rückwärtsg­ewandte politische Haltung vertrete, werde man ebensoweni­g wie die dazugehöre­nde Regierung in Ruhe lassen.

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Hunderte Demonstran­t*innen waren sich am Samstag einig: Sie wollen kein Schwarz-Rot.

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