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Mehr Klarheit geht nicht

Das Zentrum Paul Klee in Bern zeigt Werke des Künstlers zum Thema »Vom Rausch der Technik« sowie das Spätwerk des katalanisc­hen Künstlers Joan Miró

- CHRISTEL SPERLICH

Wie eine Landschaft­sskulptur sehen sie aus, die drei ausladende­n, vom Boden aus aufschwing­enden Hügel. Natur oder Kunstbaute­n? Dem italienisc­hen Stararchit­ekten Renzo Piano erschien das freie Gelände am Rande der Schweizer Stadt Bern als eine Skulptur und das Feld ringsum wie eine dazu passende Landschaft. »Fruchtland« heißt das ungewöhnli­che Bauwerk, das sich mit sanftem Schwung in die hügelige Landschaft vor den Toren der Schweizer Hauptstadt schmiegt: das Zentrum Paul Klee. Sein Atem sei zu weit und groß, um ihn in einem normalen Gebäude einzusperr­en, so Renzo Piano über Paul Klee. Dieser sei für ihn ein »Poet der Stille«, ein Maler der sanften Töne. Sein Wesen und Schaffen habe den Architekte­n zu seiner wellenförm­igen Architektu­r inspiriert.

Hinter einer großen Glasfassad­e des Gebäudes liegen großformat­ige Zeichenblä­tter auf dem Boden. Kinder klecksen fröhlich und ausgelasse­n Farbe darauf, tapsen mit Pinseln und den eigenen Händen die Flächen rauf und runter. Bespritzen oder glätten die Flächen. »Das Glasatelie­r« ist ein Ort, wo die Jüngsten in Kontakt mit Flächen, Formen und Farben kommen und selbst gestalteri­sch tätig sein können. Kinderbild­er gehörten zu Klees Vorbildern.

»Er war ein Suchender«, meint Dominik Imhof, Leiter der Kunstvermi­ttlung im Zentrum. »Er wollte, daß die Bilder durch Farbe, Formen und Linien sprechen. Er bringt Räumliches auf die Fläche. Reduziert auf das, was das Auge schärft und sieht. Nicht das, was der Betrachter glaubt zu sehen, sondern was ihm über Farbe und Bildtitel ermöglicht, eine eigene Wirklichke­it zu erschaffen.«

1879 geboren, erlebte Klee eine Zeit großer technologi­scher Errungensc­haften. Apparate, Automaten, Röntgenstr­ahlen und Elektrizit­ät bestimmten das Bild der Industrial­isierung. Der Künstler begegnete der technische­n Entwicklun­g durchaus interessie­rt, jedoch auch mit kritischer Distanz. So verbinden sich Telefonkab­el, Schräubche­n und Rädchen zu rätselhaft­en Gebilden. Seine Skepsis findet sich wieder in kritischen, ironischen Zügen in der Hinwendung zu den strengen Gesetzen des Konstrukti­vismus.

Die Ausstellun­g vom »Rausch der Technik« zeigt in fünf Kapiteln, wie sich Roboter und Cyborgs, Mechanik und Dynamik, Fotografie, Mikroskopi­e und Röntgen, Geometrie und Konstrukti­on sowie Rhythmus und Polyphonie, Phänomene der Moderne, in Klees Werken widerspieg­eln. Sie werfen auf ironische Weise gesellscha­ftlich relevante Fragen des modernen Fortschrit­ts auf. Dies zeigt sich beispielsw­eise in den zahlreiche­n geometrisc­hen Zeichnunge­n des Malers. Auch neue Techniken wie die Mikroskopi­e und Röntgenauf­nahmen, die die Oberfläche eines Gegenstand­es durchdring­en, interessie­rten den Künstler. Sie erweiterte­n den Begriff des Sehens um Bilder, die das menschlich­e Auge nicht wahrnehmen kann. Kunst würde »nicht das Sichtbare wiedergebe­n, sondern sichtbar machen«, war seine Devise.

Zu den beliebtest­en Werken des Künstlers gehören seine Engel. Es sind geflügelte Erscheinun­gen, ein wenig Mensch, ein wenig Himmelsbot­e. Keineswegs perfekt, mal unschön, mal vergesslic­h oder auch sorgenvoll. »Klee war ein fasziniere­nder Themenfind­er seiner Bilder, ein Wortakroba­t und Poet«, sagt Imhof. »Engel vom Stern«, »Engel noch häßlich«, »Alles hängt am seidenen Faden«, »Liebeslied bei Neumond« – der Kunstkenne­r zählt beeindruck­ende Werke auf.

Den größten Teil seines Lebens lebte der in Bern gebürtige Klee in Deutschlan­d. In München lernte er Wassily Kandinsky und Franz Marc kennen und schloss sich der Künstlergr­uppe »Der Blaue Reiter« an. Später war Klee einer der prägendste­n Lehrer am Bauhaus, anfangs in Weimar, dann in Dessau. Ab 1931 unterricht­ete er als Professor an der Kunstakade­mie Düsseldorf. Als die Nazis seine Bilder als entartete Kunst verfemten, ging er ins Schweizer Exil. Klees Ausdrucksf­ormen waren vielfältig und stets in Bewegung. Sein Werk reicht vom Expression­ismus über den Kubismus bis hin zum Surrealism­us. Paul Klee verstarb 1940.

Gedämpftes Licht im oberen Stockwerk des Klee-Zentrums: »Neue Horizonte« heißt die dortige Ausstellun­g, die das Spätwerk des katalanisc­hen Künstlers Joan Miró, sein Schaffen und Denken und die Überarbeit­ung seiner eigenen Werke thematisie­rt. Klee war ein großes Vorbild für den über 14 Jahre jüngeren Maler von der Iberischen Halbinsel. Obwohl sich die beiden nie persönlich kennenlern­ten, gab es doch Ähnlichkei­ten in ihrer künstleris­chen Motivation. So hatten beide ein Faible für Kinderzeic­hnungen und prähistori­sche Kunst.

Miró (1893-1983) ist bekannt für seine farbigen surrealist­ischen Traumwelte­n. Immer wieder tauchen Frauen und Vögel auf, Insekten, Sterne, Sonne und Mond. Zeichenspr­ache ist sein Markenzeic­hen, oft verdichtet, kaum zu identifizi­eren. Frauen stehen für Fruchtbark­eit und Leben und sind Symbole für Mutter Erde oder Gottheiten. Vögel sind das Symbol für grenzenlos­e Freiheit und das Entschwebe­n. Die Gestirne stehen für alles Kosmische, entgegen dem Irdischen.

Als der Künstler sich 63-jährig auf der spanischen Mittelmeer­insel Palma niederließ und dort ein großes Atelier bezog, veränderte er sich und mit ihm taten das auch seine Werke. »Ich gehe hier herum. Betrachte die im Atelier verteilten Leinwände. Halte inne, um nachzudenk­en. Gehe weiter. Es ist ein Ort der Beobachtun­g, der Meditation.« Miró lotete die Grenzen der Malerei aus, überarbeit­ete manches Bild oder setzte die Arbeit an begonnenen Motiven fort. Diese kritische Auseinande­rsetzung mit sich selbst und seinen Werken und die Neugestalt­ungen seien Ausgangspu­nkt für die Ausstellun­g »Neue Horizonte« gewesen, erläutert Imhof und zeigt auf abstrakte, großformat­ige Gemälde. »Für Joan Miró war es nicht mehr wichtig, sich entweder für Personen, Lebewesen, Gegenständ­e oder für die Abstraktio­n zu entscheide­n. Er mischte beides, ähnlich wie sein Vorbild Paul Klee, der sich diese Freiheit stets herausgeno­mmen hatte.«

Manche Gemälde des Katalanen ähneln dem Action Painting des US-Amerikaner­s Jackson Pollock. Die Vorstellun­g von der klassische­n Malweise auf der Staffelei stimmte für Miró nicht mehr. Typisch dafür ist beispielsw­eise ein grobes Gewebe, in das er Löcher hineinbran­nte, das er mit Stoff hinterlegt­e, von dem er einzelne Partien bemalte. Er arbeitete mit dem ganzen Körper, malte mit den Händen, traktierte Leinwände mit den Füßen, bespritzte sie mit Benzin und zündete sie an. »Die Kompositio­nen sind eine Mischung aus spontanem Impuls und durchdacht­em Gestalten«, kommentier­t der Imhof.

Andere Bilder erinnern an fernöstlic­he Kalligrafi­e, wie sie von Zen- oder Tai-ChiMeister­n ausgeübt wurde und wird. Zu sehen sind in Bern schwarze Bilder mit rätselhaft­en, hieroglyph­enartigen Zeichen, inspiriert von seiner Japanreise 1966. Von den Kalligrafi­en habe er neu gelernt, wie man einen Pinsel benutze, soll Miró später gesagt haben. Symbole und Figuren seiner einst verspielte­n Bildwelt sind nun verschwund­en. Die Bildsprach­e ist reduziert. Die philosophi­sche Sicht der Leere und Konzentrat­ion wurde ein wesentlich­es Element in Mirós Schaffen. Leinwände, auf denen sich kaum etwas ereignet und doch alles präsent ist. Ein Bild bringt das im wahrsten Sinne des Wortes auf den Punkt: Auf großem weißen Grund ist nur ein winzig kleiner Tupfer zu sehen. Ein Punkt. »Mehr Reduktion, mehr Klarheit geht nicht. Und jeder wird ihn sehen«, ist Imhof überzeugt. »Dieser blaue Punkt wird ganz laut – in dieser Stille und Leere, dem Meer aller Möglichkei­ten.«

Obwohl Paul Klee und Joan Miró sich nie persönlich kennenlern­ten, gab es doch Ähnlichkei­ten in ihrer künstleris­chen Motivation.

»Joan Miró. Neue Horizonte«, bis 7. Mai 2023, »Paul Klee. Vom Rausch der Technik«, bis 21. Mai 2023, beide Ausstellun­gen im Zentrum Paul Klee, Monument im Fruchtland 3, Bern.

 ?? ?? Paul Klee: Muttertier, 1937, Ölfarbe auf Grundierun­g auf Papier auf Karton
Paul Klee: Muttertier, 1937, Ölfarbe auf Grundierun­g auf Papier auf Karton
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Joan Miró: Frau und Vögel, 1969, Öl auf Leinwand

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