Schritte zur Vergesellschaftung
Die Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen skizziert den Weg zur Verwirklichung des Volksentscheids
Egal, wer den nächsten Berliner Senat stellt: Die beteiligten Parteien stehen in der Pflicht, den Volksentscheid zur Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne umzusetzen. Aktivisten beschreiben den Weg dahin. »Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.« Artikel 15 Satz 1 des Grundgesetzes
Die Zeichen stehen auf Vergesellschaftung. Mit dem gewonnenen Volksentscheid zur Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne in Berlin haben über eine Million Berliner*innen oder 59,1 Prozent der Wähler*innen dem Berliner Senat den eindeutigen politischen Auftrag erteilt, »alle Maßnahmen einzuleiten, die zur Überführung von Grund und Boden in Gemeineigentum zum Zwecke der Vergesellschaftung nach Artikel 15 des Grundgesetzes erforderlich sind«. Unsere Initiative hat mit der Forderung nach Vergesellschaftung und der inhaltlichen sowie konzeptuellen Bearbeitung der Frage, was Vergesellschaftung heißen kann, Artikel 15 aus seinem langen Dornröschenschlaf erweckt.
Vergesellschaftung heißt jedoch nicht bloß, dem Markt und den Konzernen die Wohnungen dauerhaft zu entziehen, sondern zugleich darüber zu entscheiden, wie sie am besten dem Gemeinwohl dienen können und zu einem wahrhaften Gemeineigentum unserer Stadt und der darin lebenden Menschen werden sollen. Diese Frage impliziert diejenige nach der Verwaltung und Bewirtschaftung der vergesellschafteten Wohnungen sowie insbesondere nach der Einbindung der Mieter*innen und anderer relevanter Gruppen. Mit vielen dieser Fragen beschäftigt sich die engagierte Mieter*innenschaft Berlins schon lange. Für einen Wohnungsbestand dieser Größe und mit diesen Möglichkeiten gibt es jedoch keine historischen Erfahrungswerte und bislang auch keine ausgearbeiteten Konzepte. Diese Leerstelle wird nun gefüllt.
Die ersten Ideen unserer Initiative für die gemeinwirtschaftliche Verwaltung des vergesellschafteten Wohnungsbestands liegen schon eine Weile zurück. Bereits unser erster, ausführlicher Beschlusstext für das Volksbegehren vom Oktober 2018 enthielt konkrete Ideen für eine zu bildende Anstalt öffentlichen Rechts, die seitdem die Grundlage unserer weiteren Arbeit bildeten. Auch im überarbeiteten, am 26. September 2021 zur Abstimmung gestellten Beschlusstext vom Sommer 2020, der nach Vorgaben der zuständigen Senatsverwaltung für Inneres und Sport im Vergleich zur ursprünglichen Fassung stark gekürzt werden musste, waren davon noch einige Aspekte enthalten. In unserer Broschüre „Vergesellschaftung und Gemeinwirtschaft“vom Frühjahr 2020 wurde das Konzept für die Anstalt öffentlichen Rechts weiter ausgearbeitet und historisch in die gemeinwirtschaftliche Tradition eingebettet. Seitdem hat insbesondere die AG Vergesellschaftung der Initiative weiter am Konzept gearbeitet und stand in produktivem Austausch mit verschiedenen Expert*innen.
Warum eine Anstalt öffentlichen Rechts?
Nach Artikel 15 Satz 1 Grundgesetz können unter anderem Grund und Boden zum Zwecke der Vergesellschaftung in Gemeineigentum oder andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Die davon erfasste Überführung von Wohnungsbeständen in Gemeineigentum muss durch ein Vergesellschaftungsgesetz geregelt sein, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Ein solches Vergesellschaftungsgesetz reicht aber allein nicht aus, denn dieses Gemeineigentum wiederum benötigt eine rechtliche Trägerin, die die Bestände gemeinwirtschaftlich verwaltet. Das soll die Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) Gemeingut Wohnen leisten.
Die AöR soll sich aus der Bewirtschaftung der Wohnungen finanzieren. Sie zahlt die Entschädigung für die vergesellschafteten Wohnungen, indem sie Schuldverschreibungen ausgibt und tilgt. Ebenso kann sie selbst Kredite aufnehmen und tilgen. Das Land Berlin fungiert als Gewährträger, haftet also für die Verbindlichkeiten der AöR – die jedoch durch ihren Immobilienbesitz ohnehin kreditwürdig ist. Nach einer Konsolidierungsphase sind auch eigene Neubauprojekte und der Ankauf weiterer Bestände denkbar.
Entscheidende Vorteile
Anstalten öffentlichen Rechts sind öffentlichrechtliche Einrichtungen des Landes, die mit einer öffentlichen Aufgabe betraut sind, oft im Rahmen der Daseinsvorsorge. Anstalten öffentlichen Rechts sind die typische Rechtsform öffentlich-rechtlicher Unternehmen. In Berlin sind etwa die Stadtreinigungsbetriebe), die Wasserbetriebe sowie die Verkehrsbetriebe Anstalten öffentlichen Rechts.
Unternehmen der öffentlichen Hand können auch privatrechtlich organisiert sein, beispielsweise in Form der GmbH oder Aktiengesellschaft. Diese Privatrechtsformen sind jedoch grundsätzlich einer auf Gewinnerzielung ausgerichteten Logik unterworfen. Ihre rechtlichen Vorgaben schränken zudem die Spielräume für die Ausgestaltung der Unternehmen und somit auch die Mitbestimmungsmöglichkeiten durch Mieter*innen ein.
Diese Erfahrung machen seit Jahren die Mieter*innen in den landeseigenen Wohnungsunternehmen, die als GmbH oder Aktiengesellschaft organisiert sind und deren Mieter*innenräte und -beiräte nur einen sehr begrenzten Einfluss haben. Vorstöße der Mieter*innenschaft für eine stärkere Beteiligung werden mit Verweis auf die Unternehmensform abgeschmettert, wie das lange Ringen um die gesetzliche Verankerung der Rechte von Mieter*innenbeiräten im Wohnraumversorgungsgesetz zeigt.
Die weitgehende Gestaltungsfreiheit öffentlich-rechtlicher Anstalten ermöglicht dabei echte Teilhabe und eine gemeinsame Verwaltung durch alle, die ihre Themen etwas angehen: Mieter*innen, Stadtgesellschaft, Beschäftigte und Senat. Da eine AöR kein privatrechtliches, sondern ein öffentlich-rechtliches Unternehmen ist, gelten bestimmte Anforderungen an die öffentliche Verwaltung auch für sie. Dazu gehören Transparenzanforderungen, das Personalvertretungsrecht, bei entsprechender Ausgestaltung die Tarifbindung oder auch ganz allgemein das Demokratieprinzip. Zugleich ist die AöR als rechtlich selbstständiges und aus der Verwaltung ausgegliedertes Unternehmen hinreichend flexibel.
Wir wollen eine Anstalt errichten, die das Recht zur Selbstverwaltung hat und somit keiner Fachaufsicht unterliegt. Das Land Berlin kann der AöR daher keine fachlichen Vorgaben zum Verwaltungshandeln machen und die AöR regelt ihre Angelegenheiten selbst. Ein Beispiel für eine funktionierende binnendemokratische AöR mit Recht zur Selbstverwaltung ist das Studierendenwerk Berlin.
Aufgabe und Zweck der Anstalt
Aufgabe der AöR ist die Versorgung der Berliner Bevölkerung mit dauerhaft bezahlbarem Wohnraum, sowohl durch Verwaltung, Instandhaltung und (ökologische) Modernisierung der vergesellschafteten Bestände als auch perspektivisch durch Neubau und Ankauf. Sinnvolle und nachhaltige, nicht auf Mietsteigerung ausgerichtete Bewirtschaftungsstandards sowie ein erhöhter Kündigungsschutz verbessern die Wohnqualität. Wesentlich ist die Beteiligung aller von den Entscheidungen der AöR betroffenen Gruppen an der Entscheidungsfindung, also der Mieter*innen, der Beschäftigten und der Stadtgesellschaft. Partizipation entschärft Konflikte beispielsweise bei der Gewerbeentwicklung und Nachverdichtung, erhöht die Akzeptanz der Maßnahmen und bietet Räume für eine gelebte Demokratie. Bei ihrer Tätigkeit achtet die AöR die Klimaziele und leistet einen Beitrag zum Klimaschutz. Die Vergabepraxis bei Neuvermietungen berücksichtigt bestehende Ungerechtigkeiten und Dringlichkeiten auf dem Wohnungsmarkt. Sie stellt gute Arbeitsbedingungen für ihre Beschäftigten sicher.
Sachfremde Geschäftstätigkeiten, die nicht direkt der Bewirtschaftung der Wohnungsbestände dienen, sind der Anstalt untersagt. Die Geschäfte der Anstalt sind auf Berlin begrenzt. Eventuelle Ausnahmen sind im Vergesellschaftungsgesetz präzise festzulegen. Mögliche Ausnahmen, soweit rechtlich nicht mit Artikel 15 kollidierend, sind der Bau, Ankauf und die Vermietung von Wohnungen im Land Brandenburg, soweit sie im direkten Einzugsgebiet Berlins liegen und der in Berlin arbeitenden Bevölkerung als Wohnsitz dienen.
Erträge aus der Bewirtschaftung werden nicht ausgeschüttet oder querfinanziert, sondern dürfen ausschließlich für die Aufwendungen nach dem Vergesellschaftungsgesetz sowie für die Erfüllung ihrer im AöR-Gesetz festgelegten Aufgaben genutzt werden. Die Zweckbindung ist gesetzlich festzulegen. Auch ein Privatisierungsverbot der Wohnungsbestände soll nicht nur in der Satzung der AöR, sondern auch gesetzlich verankert werden, um das Gemeingut für kommende Generationen zu sichern. Wir fordern darüber hinaus, ein Privatisierungsverbot auch in die Landesverfassung aufzunehmen, um das Gemeingut noch stärker abzusichern. Für einen Weiterverkauf wäre dann zunächst eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit im Abgeordnetenhaus erforderlich.
Sinnvolle und nachhaltige, nicht auf Mietsteigerung ausgerichtete Bewirtschaftungsstandards und ein erhöhter Kündigungsschutz verbessern die Wohnqualität.
Wir fordern, ein Privatisierungsverbot auch in die Landesverfassung aufzunehmen, um das Gemeingut noch stärker abzusichern.
Gemeinwirtschaftliche Selbstverwaltung
Unser Ziel ist eine gemeinwirtschaftliche Selbstverwaltung der vergesellschafteten Wohnungsbestände. Dies bedeutet, dass die AöR einerseits gemeinwirtschaftlich arbeitet: für die Versorgung der Stadtbevölkerung und ohne Gewinnerzielungsabsicht. Andererseits ist diese Gemeinwirtschaft an die demokratische Selbstverwaltung der Beteiligten gebunden. Nur so ist Gemeineigentum im Sinne von Artikel 15 Grundgesetz zu verstehen. Die Selbstverwaltung wird durch verschiedene Formen von Einfluss- und Entscheidungsmöglichkeiten umgesetzt. Dabei verwenden wir die Begriffe Teilhabe, Partizipation, Mitwirkung, Mitbestimmung und Mitentscheidung, um den Oberbegriff der gemeinwirtschaftlichen Selbstverwaltung fassbar zu machen und mit Leben zu füllen.
Im Verwaltungsrat der hier entworfenen AöR sind Mieter*innen, Beschäftigte, Senat und Stadtgesellschaft beteiligt. Da die Mieter*innen in den Beständen der AöR wohnen, haben sie ein besonderes Interesse, diese auch auf dezentraler Ebene mitzuverwalten. Dies soll durch eine Struktur von Mieter*innenräten auf mehreren Ebenen geleistet werden, die einen zentralen Teil der gemeinwirtschaftlichen Selbstverwaltung der Gemeingut Wohnen AöR bilden.