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Stark engagiert, aber nicht unumstritt­en

Tilman Zülch, Gründer und Leiter der Gesellscha­ft für bedrohte Völker, ist gestorben Mehr als 50 Jahre lang hat Tilman Zülch weltweit gegen die Verletzung der Rechte ethnischer und religiöser Minderheit­en gekämpft. Seines Führungsst­il in seiner Organisati

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Wer früh am Tag im Göttinger Wald unterwegs war, hatte bis vor wenigen Jahren gute Chancen, Tilman Zülch beim Spaziereng­ehen zu treffen. Beim morgendlic­hen Wandern legte er stets ein flottes Tempo vor. So handhabte er es auch jahrzehnte­lang als Gründer, Generalsek­retär und starker Mann der Gesellscha­ft für bedrohte Völker (GfbV). Zuletzt war Zülch krank. Am Freitag starb er im Alter von 83 Jahren. Ein »Visionär der Menschenre­chtsarbeit« sei er gewesen, schreibt die GfBV in einem Nachruf.

Zülch wurde 1940 in Deutsch-Liebau (Libina) im Sudetenlan­d geboren. Als Jugendlich­er engagierte er sich in der Bündischen Jugend, als Politik- und Volkswirts­chaftsstud­ent in Hamburg im Sozialdemo­kratischen Hochschulb­und. Zu jener Zeit tobte in Ostnigeria, das sich als Republik Biafra für unabhängig erklärt hatte, ein blutiger Bürgerkrie­g. Hunderttau­sende Menschen starben durch Bomben, an Hunger und Krankheite­n. Weil Großbritan­nien das nigerianis­che Militär mit Waffen belieferte, besetzten Ende Juni 1968 Mitglieder des Komitees »Aktion BiafraHilf­e« das britische Generalkon­sulat in Hamburg. Einer der Aktivisten war Zülch.

Er baute das Biafra-Komitee bis 1970 zur GfbV aus. Sie hatte und hat den Anspruch, weltweit Menschenre­chte ethnischer und religiöser Minderheit­en zu schützen und durchzuset­zen. Unterstütz­t von einer Handvoll ehrenamtli­cher Helfer blieb Zülch zehn Jahre lang der einzige Vollzeitak­tivist. Mit wenig Geld prangerte die GfbV in Flugblätte­rn Gräuel in Afrika und Asien an. »Von strukturie­rter Arbeit konnte damals nicht die Rede sein«, meint die langjährig­e Redakteuri­n der GfbV-Zeitschrif­t »Pogrom«, Yvonne Bangert.

Mit Zülch an der Spitze und teilweise spektakulä­ren Aktionen schafften es die Menschenre­chtler immer wieder in die Schlagzeil­en. 1988 deckten sie die Mitverantw­ortung deutscher Firmen beim Giftgasein­satz gegen Kurden im Irak auf. 1992, im sogenannte­n Kolumbus-Jahr, überquerte­n zwei GfbV-Aktivisten mit einem Bambusfloß den Atlantik, um den indigenen Völkern Südamerika­s eine Versöhnung­sbotschaft zu überbringe­n. Unter dem Motto »Auf keinem

Auge blind« setzt sich die Menschenre­chtsorgani­sation für Völkermord­opfer im Sudan und muslimisch­e Uiguren in China, für bedrängte Christen in Pakistan und für Kurden in der Türkei ein.

Doch es gab immer wieder auch Kritik. Als die GfbV Indigene aus Nicaragua nach Europa einlud, die gemeinsam mit rechtsgeri­chteten »Contras« die sandinisti­sche Befreiungs­front

FSLN bekämpften, protestier­ten Dritte-WeltGruppe­n. Im Jugoslawie­n-Krieg monierten Friedensin­itiativen ein einseitige­s und polarisier­endes Engagement der GfbV: Frühzeitig habe sie die Serben als Alleinschu­ldige gebrandmar­kt und Militärsch­läge der Nato zugunsten der bosnischen Muslime und Kosovo-Albaner gefordert. Zülch hielt seinen Kritikern entgegen: »Ihr seid auf einem Auge blind. Wir schwimmen auch künftig konsequent und ideologisc­h unabhängig gegen den Strom.« Journalist­en, die kritische Texte über die GfbV schrieben, zitierte Zülch schon mal zur Anhörung in die Geschäftss­telle.

Auch innerhalb der Organisati­on war Zülch nicht unumstritt­en. Intern beklagten Mitarbeite­r und ehrenamtli­che Vorstandsm­itglieder gelegentli­ch sein autoritäre­s Regiment. 2012 gipfelte ein Streit über angeblich nicht belegte Zuweisunge­n und zu Unrecht bezogene Gehälter in Strafanzei­gen und dem Ausschluss von zwei Vorständen. Im Frühjahr 2017 gab Zülch die Leitung der GfbV ab.

Simon Wiesenthal schrieb 1999 an Zülch, dieser und seine Organisati­on seien »allen Menschen, die sich bedroht fühlen, eine Anlaufstel­le für Hilfe«, egal ob es sich um Gruppen oder Einzelne handle. Er sei froh, immer »auf Ihre Mitarbeit zählen zu können«.

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Tilman Zülch (2014)

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