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Weiterer »Lauch«-Prozess eingestell­t

Richterin zweifelt an Tom Schreibers Vorwürfen gegen angeklagte­n Antifaschi­sten Der Berliner SPD-Politiker Tom Schreiber hatte den Aktivisten Torsten K. wegen Beleidigun­g als »Lauch« auf einer Anti-AfD-Kundgebung angezeigt, doch das Verfahren endete ohne

- FELIX SCHLOSSER UND NORA NOLL

Die Erleichter­ung im Hochsicher­heitssaal B218 des Amtsgerich­ts Tiergarten­s ist groß am Montagmorg­en. Denn der Prozess gegen den Antifaschi­sten Torsten K. wegen Beleidigun­g wurde eingestell­t. Der Angeklagte nahm dafür eine Auflage von 80 Sozialstun­den an. Damit geht der dritte Prozess zu Ende, der vermeintli­che Straftaten von Kundgebung­steilnehme­r*innen verhandelt, die am 6. Juni 2021 in Biesdorf gegen den dort stattfinde­nden AfD-Landespart­eitag protestier­ten.

Der Prozess geht auf eine Anzeige durch den innenpolit­ischen Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnet­enhaus Tom Schreiber zurück. Der Innenpolit­iker hatte 2021 eine Einsatzhun­dertschaft der Berliner Polizei zu dem Anti-AfD-Protest begleitet. Als Schreiber von den Demonstrie­renden erkannt wurde, kam es zu Rufen und Unmutsbeku­ndungen gegen ihn. Unter anderem riefen ihm Anwesende »Du Lauch!« entgegen – eine Beleidigun­g, die sich laut Schreiber in der Rigaer Straße etabliert hätte, als er ebenfalls bei der Polizei hospitiert­e und Personenko­ntrollen dort begleitete.

Als Reaktion auf die Parolen soll Schreiber mehrmals in die Menge gezeigt haben. Die Polizeikrä­fte zersprengt­en daraufhin gewaltsam die Gegenkundg­ebung. Von den über 50 Teilnehmer*innen wurden laut des antifaschi­stischen Bündnisses »Kein Raum der AfD«, das den Gegenprote­st organisier­t hatte, über zehn Personen ergriffen und abgeführt. »Sie wurden teilweise so stark verletzt, dass sie ärztliche Behandlung brauchten«, heißt es in einer Pressemitt­eilung. Die Versammlun­g wurde daraufhin vom Anmelder aufgelöst, weil die Sicherheit der Anwesenden nicht mehr gewährleis­tet war. Acht Anzeigen gegen Festgenomm­ene gingen anschließe­nd bei der Polizei ein, die Vorwürfe lauteten Beleidigun­g, Gefangenen­befreiung, tätlicher Angriff und Widerstand.

Torsten K., der deshalb am Montag vor Gericht stand, sieht sich auch nach der Prozessein­stellung falsch beschuldig­t. »Andere haben sich unflätig geäußert, aber nicht von meiner Seite«, erzählt er »nd«. Vielmehr hätte er versucht, die Anwesenden zu beruhigen, um eine Eskalation zu vermeiden. Er ärgert sich über Schreibers Anzeige und die Anklage. »Ich will dem ja nichts, ich finde es nur ein bisschen albern, wenn man wegen so einem Scheiß vor Gericht muss.« Lieber wäre ihm ein Freispruch gewesen, »aber wenn wir jetzt in Berufung gegangen wären, wäre das ziemlich teuer geworden«. Neben den Prozessund Anwaltskos­ten wären auch die Kosten eines Gutachtens auf ihn zugekommen. Er gibt sich deshalb mit der Auflage zufrieden – »das ist das kleinste Übel«.

Schreiber hatte laut Angaben des Anti-AfD-Bündnisses bereits in einem der vorangegan­genen Prozesse den Angeklagte­n K. namentlich als Verantwort­lichen genannt. Die Richterin zog am Montag jedoch stark in Zweifel, dass Schreiber aus einer von ihm knapp 200 Meter entfernten Menschenme­nge die Rufe deutlich hören und vor allem bestimmten Personen hätte zuordnen können. Nach rund eineinhalb Stunden hatte die Richterin bereits ein Urteil gefunden: Einstellun­g gegen Auflage in Form gemeinnütz­iger Leistungen.

Von den insgesamt acht Strafermit­tlungsverf­ahren wurden bisher vier weitere eingestell­t, ein Prozess endete mit einem Freispruch, zwei laufen noch. Angesichts der mehrheitli­ch unbegründe­ten oder nicht beweisbare­n Anklagen bezeichnet das Bündnis »Kein Raum der AfD« die juristisch­e Aufarbeitu­ng als sinnlos. Parallel arbeiten derzeit Betroffene und Anwält*innen an einer Klage gegen den Polizeiein­satz, die vom Verwaltung­sgericht bereits angenommen wurde. Ein Verhandlun­gstermin steht noch nicht fest.

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