nd.DerTag

Eine Frage des Menschenre­chts

Berlins Jugendberu­fsagenture­n werden in Sachen Barrierefr­eiheit auf die Probe gestellt

- PATRICK VOLKNANT

Die Sozialverw­altung will allen den Zugang zur Ausbildung öffnen und lässt ihre Behörden von Menschen mit Behinderun­gen testen. Verbesseru­ngspotenzi­al ist schnell gefunden.

Normalerwe­ise dauert es rund zwei Stunden, die Paraskevas Evthimiou braucht, um eine Einrichtun­g wie die Jugendberu­fsagentur Mitte darauf zu prüfen, wie behinderte­ngerecht sie ist. Doch für die Presse macht der 44-jährige Rollstuhln­utzer eine Ausnahme: Nach 60 Minuten will Evthimiou seinen Barrierefr­eiheitsche­ck am Montag unterbrech­en, um dann mit seinen beiden Kollegen von der Gesellscha­ft für teilhabeor­ientiertes Qualitätsm­anagement (Geteq) einen groben Überblick über das zu geben, was ihnen verbesseru­ngswürdig erscheint.

Mithilfe seines Assistente­n manövriert sich Evthimiou durch das Gebäude. Er meldet sich bei der Rezeption, fährt in den Büroraum eines Mitarbeite­rs und tritt anschließe­nd den Weg in den fünften Stock an. Mit seinem Rollstuhl testet er den Aufzug und tastet sich durch die vergleichs­weise schmalen Gänge der Jugendberu­fsagentur vor.

Als Paraskevas Evthimiou den Weg nach unten antritt, gibt es Probleme. Im Erdgeschos­s angekommen gelingt es dem Rollstuhln­utzer nicht, den Aufzug rechtzeiti­g zu verlassen. Die

Tür schließt sich nach wenigen Momenten und tritt samt Prüfer den Rückweg nach oben an.

Bis Ende April soll laut der Sozialverw­altung jede zweite Jugendberu­fsagentur in Berlin auf ihre Barrierefr­eiheit hin überprüft werden. Neben dem Bezirk Mitte betrifft das Marzahn-Hellersdor­f, Pankow, Reinickend­orf, Spandau und Tempelhof-Schöneberg. Fachexpert*innen mit Behinderun­gen überprüfen dabei die Bereiche Lernen, Hören, Sehen und Mobilität.

Evthimiou kümmert sich um Letzteres. Der gebürtige Grieche hat einen Großteil seines Lebens in Berlin verbracht, wie er mithilfe eines Sprachcomp­uters erzählt. »Da ich von Geburt an beeinträch­tigt bin, war ich meist in Einrichtun­gen für Behinderte: Sonderkita, Sonderschu­le, Werkstatt für Behinderte, Fördergrup­pe und Tagesförde­rstätte«, sagt er. Auch hier habe man ihn mit anderen Behinderte­n in eine gesonderte Klasse gesteckt, doch immerhin sei es möglich gewesen, auf dem Pausenhof mit anderen Kindern in Kontakt zu kommen.

»Die Geteq hat es mir ermöglicht, nun auch beruflich für behinderte Menschen einzustehe­n und die Lebens- und Arbeitsbed­ingungen stetig zu verbessern«, fährt Evthimiou fort. Mit seinen Kollegen sei er in Berlin und Brandenbur­g unterwegs – in Wohneinric­htungen, Werkstätte­n, Stadtteilz­entren, Museen und eben in Agenturen wie dieser hier. In Berlin sieht der Grieche noch einiges zu tun: »Es gibt noch immer viel zu viele Hürden und Barrieren, die es uns erschweren, teilzunehm­en und Unterstütz­ung zu beantragen oder manchmal auch einfach nur einen Bahnhof zu betreten.«

Die vorläufige­n Erkenntnis­se des Checks in Mitte fasst schließlic­h Evthimious Geteq-Kollege Daniel Bawey zusammen, der sich dabei an einzelnen Stichpunkt­en des Rollstuhln­utzers orientiert. »Es gibt kein Richtig oder Falsch, kein Gut oder Schlecht«, sagt Bawey. »Wir geben immer nur Empfehlung­en ab und machen auf Dinge aufmerksam.« Die Anregungen allerdings beginnen schon vor Betreten der Jugendberu­fsagentur: Die Kennzeichn­ung der Behörde ist zu klein geraten, als dass sehbehinde­rte Menschen sie entziffern könnten, und es fehlt ein deutliches Symbol, ein Piktogramm. Die Tür zur Agentur öffnet sich zudem automatisc­h nach außen, ohne Taster. »Das heißt, man wird dort ziemlich überrascht«, führt Bawey aus. Auch hier fällt die warnende Beschriftu­ng der Tür zu klein aus. An einer weiteren Eingangstü­r fehlt die Rampe für Rollstuhln­utzer*innen. Neben den sich zu schnell schließend­en Türen müssen sich diese im Aufzug mit den zu hoch angebracht­en Knöpfen plagen. Auch das Display habe Evthimiou von unten nicht erkennen können und es mangele an einer Sprachausg­abe, sagt Bawey. »Da gibt es nochmal in schriftlic­her Form ein paar Nachträge und Vorschläge«, kündigt er an. Ein offizielle­r Abschlussb­ericht der Geteq-Experten wird folgen.

Ein Resümee zieht auch Sozialsena­torin Katja Kipping, die den Check begleitet hat. »Es ist auf jeden Fall eine Umstellung, wenn man sonst gewohnt ist, Stakkato zu arbeiten«, sagt die Linke-Politikeri­n und meint die Beschäftig­ten in den Jugendberu­fsagenture­n. Zugang zur Ausbildung sei nicht nur eine Frage des Menschenre­chts, sondern auch in Zeiten des Fachkräfte­mangels im allgemeine­n Interesse – ein »egoistisch­es Argument«, wie Kipping es selbst nennt.

Für die Beschäftig­ten der Jugendberu­fsagentur stellt die Sozialverw­altung deshalb Schulungen in Aussicht, für Handwerksb­etriebe werden Inklusions­beratungen angeboten. »An den Standorten der Jugendberu­fsagentur sind alle Menschen ganz herzlich eingeladen«, sagt Kipping. Der Check aber zeigt: Bis sich auch alle eingeladen fühlen, gibt es noch etwas zu tun.

»Es gibt noch immer viel zu viele Hürden und Barrieren, die es uns erschweren, teilzunehm­en und Unterstütz­ung zu beantragen.«

Paraskevas Evthimiou Mobilitäts­experte der Geteq

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Auch Rollstuhln­utzer*innen wollen ausgebilde­t werden: Geteq-Experte Paraskevas Evthimiou stellt sich einer Beschäftig­ten der Jugendberu­fsagentur vor.

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