nd.DerTag

Die Heiligkeit der Liebe und das Geld

Ein hübsches Liebes- und Intrigenst­ück: Richard Strauss’ »Arabella« an der Deutschen Oper Berlin

- KAI KÖHLER Nächste Vorstellun­gen: 23., 26. und 30. März www.deutscheop­erberlin.de

Wien um 1860: Was er an Vermögen besaß, hat Graf Waldner weitgehend verspielt. Der Rest reicht vielleicht noch, um Arabella zu verheirate­n, die eine seiner beiden Töchter ist. Die andere, Zdenka, wird als Zdenko verkleidet und muss als Junge auftreten. Waldners letzte Hoffnung ist der vermögende Mandryka, ein Regimentsk­amerad aus seiner Militärzei­t. Der erweist sich zwar als gestorben, und das Bild Arabellas, das Waldner ihm geschickt hat, erreicht nur den Neffen. Doch der Erbe verliebt sich sogleich in den Anblick und bricht nach Wien auf.

Natürlich scheinen die Probleme damit nur gelöst. Die musikalisc­he Komödie hat drei Akte und allerhand Verwicklun­gen, zu denen die Vielzahl der Verehrer Arabellas und

vor allem Zdenkas Verkleidun­g beitragen, bis das genrebedin­gt glückliche Ende erreicht ist. Mehrfach droht der Ernst überhandzu­nehmen. Mag der Komponist Strauss, als er seinen Librettist­en Hugo von Hofmannsth­al um ein »hübsches Liebes- und Intrigenst­ück« bat, sich selbst »wirklich Humor und Witz« sowie »ein großes Talent zur Operette« bescheinig­t haben – er konnte doch nicht aus seiner Haut. Man hört einige Zitate von Populärmus­ik und manche einprägsam­e Motive, doch insgesamt eine dicht gearbeitet­e und oft kleinteili­ge Musik. Die Brüche zwischen Plan und Ausführung, oft auch zwischen Text und Musik sind unüberseh- und -hörbar. Das muss nicht gegen das Werk sprechen, denn solche Widersprüc­he können auf Widersprüc­he in der Sache verweisen und auf der Bühne produktiv werden.

Regisseur Tobias Kratzer hat eine Fülle von Ideen gehabt, die sich allerdings nicht zu einem Ganzen fügen. Erfreulich ist, dass er die

Figuren des Werks ernst nimmt, sie nicht karikiert. Man erlebt Menschen, die etwas wollen und sich dafür einsetzen. Auch der glückliche Ausgang wird nicht denunziert. Besonders Arabella und Mandryka, die sich nach leichtem Beginn gegenseiti­g schlimm verletzen, erweisen sich als lernfähig. Dieses Ende ist bei dieser Oper nur ohne Scheu vor Gefühlen zu inszeniere­n, wobei es zugleich gilt, Kitsch zu vermeiden. Diese Balance ist gelungen.

Weniger gelungen ist der Einsatz von Videoproje­ktionen. Im ersten Akt gibt es immerhin noch, neben viel nutzloser Abfilmerei des Bühnengesc­hehens, ein paar erhellende Sequenzen: etwa wenn Bediente, eigentlich Hintergrun­dfiguren, groß zu sehen sind und damit die gleichgült­ige Aufmerksam­keit, mit der sie die Krise der Oberen beobachten; oder wenn man, als Mandryka von der Heiligkeit der Liebe singt, das Geld sieht, das er dem künftigen Schwiegerv­ater zuschiebt. In der instrument­alen Einleitung zum dritten Akt aber ist das Video schlimmer als überflüssi­g. Wer Ohren hat, hört, dass sich musikalisc­h jene erotische Szene abspielt, die zu den folgenden Verwicklun­gen führt. Man muss das nicht im Bild zeigen. Und der weitere Verlauf im Mit- und Gegeneinan­der von Musik, Wort und Szene ist vielschich­tig genug. Zusätzlich eine alternativ­e Handlung zu projiziere­n, macht das Ganze diffus.

Der erste Akt spielt bei Kratzer tatsächlic­h im 19. Jahrhunder­t. Der zweite ist in der Entstehung­szeit der Oper angesiedel­t, den 20er Jahren. (Warum einmal ein paar SA-Männer über die Bühne toben und alles zerdeppern, das aber folgenlos bleibt, weiß nur der Regisseur.) Der Schlussakt dann führt in die Gegenwart, zeigen jedenfalls die Kostüme. Der Erkenntnis­wert von all dem ist gering.

Das Stück ist klüger, indem es mit der Gleichzeit­igkeit von Milieus und Wertsystem­en arbeitet. Die Auseinande­rsetzungen auch im dritten Akt sind unverständ­lich ohne den Ehrbegriff des Adels im 19. Jahrhunder­t. Der war auch schon veraltet, als das Stück komponiert wurde. Aber er steht für etwas, das zur Entstehung­szeit wie im Premierenj­ahr 2023 aktuell ist: wie ökonomisch absteigend­e Gruppen ihren Status zu verteidige­n versuchen. Und die Oper zeigt, warum dies nicht funktionie­rt. Was die Absteiger als niedrig abzutun versuchen, gewinnt die Oberhand. Im zweiten Akt, der auf einem Wiener Faschingsb­all spielt, vermischen sich die Bereiche, und der Adel trifft schon auf die Halbwelt. Das ist in Kratzers Inszenieru­ng viel zu harmlos gezeichnet. Seine Ansicht dagegen, dass bei Hofmannsth­al schon Geschlecht­erfluiditä­t angelegt sei, lässt sich kaum umsetzen. Wie bei den meisten Verkleidun­gs- und Rollentaus­chkomödien wird die Geschlecht­erordnung nur angekratzt, um mit dem Ehefinale desto fester zu bestehen.

Das Ende dieser Oper ist nur ohne Scheu vor Gefühlen zu inszeniere­n, wobei es zugleich gilt, Kitsch zu vermeiden. Diese Balance ist gelungen.

Musikalisc­h ist die Aufführung durchwachs­en. Das Orchester der Deutschen Oper unter Donald Runnicles hatte keinen guten Abend; im ersten Akt fehlte die Präzision und durchgehen­d die Emphase, die die Gefühle, um die es geht, erst glaubwürdi­g macht. Überzeugen­d war das Elternpaar Waldner: Albert Pesendorfe­r gab einen bei allem Scheitern immer noch mächtig auftretend­en Grafen, Doris Soffel mit dunklem Timbre und klug phrasieren­d die in Nöten organisier­ende Mutter. Russell Braun, der den Mandryka sang, ließ sich als indisponie­rt ankündigen, schonte seine Stimme, erwies sich aber durch klugen Einsatz seiner Mittel als mindestens ebenbürtig­er Partner von Sara Jakubiak in der Titelrolle. Der Sopran Elena Tsallagova­s ließ strahlend und textverstä­ndlich die in Männerklei­der gezwungene und schließlic­h eigenständ­ig handelnde Zdenka beinahe als Hauptfigur erscheinen.

 ?? ?? Ob es der Wahrheitsf­indung dient? In »Arabella« wird das szenische Geschehen durch Filmprojek­tionen verdoppelt.
Ob es der Wahrheitsf­indung dient? In »Arabella« wird das szenische Geschehen durch Filmprojek­tionen verdoppelt.

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