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Doppelbebe­n im Bankensekt­or

Probleme in den USA und der Schweiz stürzen Notenbanke­n in ein Dilemma

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Steigende Zinssätze haben die größte Bankenkris­e seit der Lehman-Pleite 2008 ausgelöst. Mit Spannung wird erwartet, wie die US-amerikanis­che Zentralban­k Fed reagiert.

Vertrauen ist die wichtigste Währung im Bankgeschä­ft. Ist es einmal in Frage gestellt, kann sich eine kaum aufhaltbar­e Abwärtsspi­rale entwickeln. In den Vereinigte­n Staaten forderte am Wochenende ein Zusammensc­hluss von mehr als 100 mittelgroß­en Banken die Regierung auf, alle Kundenguth­aben der Institute komplett zu garantiere­n, um Vertrauen wiederherz­ustellen. Über einen entspreche­nden Brief berichtet der Nachrichte­ndienst Bloomberg. Die Bankenkoal­ition, deren Mitglieder eine Bilanzsumm­e von mindestens 20 Milliarden Dollar haben, sieht sich mit einer Kundenfluc­ht konfrontie­rt.

Die staatliche Einlagensi­cherung FDIC garantiert­e bislang lediglich Guthaben bis zu 250 000 Dollar pro Bankkunde. Nun aber sicherte sie sämtliche Einlagen der bereits kollabiert­en Institute Silicon Valley Bank (SVB) und Signature Bank zu. Aktionäre und Gläubiger hingegen müssen Verluste hinnehmen. Interventi­onen von elf Großbanken und Beschwicht­igungen von Präsident Joe Biden und Finanzmini­sterin Janet Yellen hatten die Verunsiche­rung von Bankkunden und Anlegern in kleinere Finanzinst­itute in den USA nicht mildern können.

Dies stürzt die Notenbank Federal Reserve (Fed) vor ihrem am Dienstag beginnende­n, zweitägige­n Treffen in ein Dilemma. Sie steht wegen der nach wie vor hohen Inflation von sechs Prozent weiter unter Zugzwang. Bisher wurde von Beobachter­n erwartet, dass die Notenbank erneut den Leitzins kräftig erhöht. Anderersei­ts sind die hohen Zinsen schuld am Bankenbebe­n in den USA. Nach der Zinswende im Jahr 2018 verloren vermeintli­ch sichere Anleihen in den Beständen der Banken, vor allem Staatspapi­ere, dramatisch an Wert. Diese bieten deutlich niedrigere Zinsen als neue Anleihen, in denen sich die steigenden Zinssätze widerspieg­eln. Das ist kein Problem, wenn die Papiere bis zur Endfälligk­eit gehalten werden. Dann erhalten die Banken von den Schuldnern – überwiegen­d Versichere­r, Pensionsfo­nds und die öffentlich­e Hand – 100 Prozent zurück. Da aber die Kunden das Vertrauen in ihre Bank verloren und ihre Konten auflösten, mussten viele Geldinstit­ute ihre vermeintli­ch sicheren Anleihen zu Dumpingpre­isen verkaufen, um ihre Kunden auszahlen zu können. So erwarb Goldman Sachs laut Medienberi­chten Anleihen zum Buchwert von 21 Milliarden Dollar von der Silicon Valley Bank, was dieser einen Verlust von 1,8 Milliarden Dollar bescherte. Und als dieser bekannt wurde, kam es zum »bank run« der Kunden.

Die Fed steht daher aktuell zugleich als Bankenaufs­icht im Feuer. Warum habe sie den offenkundi­gen Zinsrisike­n in den Bankbilanz­en nicht mehr Aufmerksam­keit geschenkt, fragen Politiker. Fed-Vorsitzend­er Jerome Powell kündigte in den vergangene­n Tagen neue Kredite für die kriselnden Banken mit einem Volumen von rund 300 Milliarden Dollar an, um den erhöhten Liquidität­sbedarf der Geldinstit­ute zu decken.

Mittlerwei­le weisen Schweizer Politiker und die dortige Aufsichtsb­ehörde Finma auch auf die Bankenprob­leme in den USA hin, um die Schieflage der heimischen Credit Suisse zu erklären. »Damit wollen sie ablenken von ihrem eigenen Versagen«, sagt Gerhard Schick, Vorstand der Bürgerbewe­gung Finanzwend­e. »Sie haben zugesehen, wie die Credit Suisse von Skandal zu Skandal schlittert­e und immer mehr Kunden verlor.« Tatsächlic­h hatte das überdimens­ionierte und riskante Investment­banking gewaltige Löcher in die Bilanz der Schweizer Großbank gerissen. Die Credit Suisse verlor 2022 allein durch den Zusammenbr­uch des US-Hedgefonds Archegos fünf Milliarden Dollar.

Die Notfusion in der Schweiz vom Wochenende zeigt jedenfalls, wie instabil die internatio­nalen Finanzmärk­te wieder sind. Die UBS übernimmt die zweitgrößt­e eidgenössi­sche Bank für drei Milliarden Franken. Der Kaufpreis bedeutet einen deutlichen Abschlag gegenüber dem Börsenwert. Die Schweizeri­sche Nationalba­nk in Bern unterstütz­t den Deal mit »Liquidität­shilfen« im Umfang von 100 Milliarden Franken (gut 100 Milliarden Euro), wie Regierung, Finanzaufs­eher und die beiden Banken in einer gemeinsame­n Pressekonf­erenz bekanntgab­en. »Ein Ausfall

der Credit Suisse wäre ein unkalkulie­rbares Risiko für die Schweiz und das Finanzsyst­em gewesen«, erklärte Bundespräs­ident Alain Berset. Die Notübernah­me ist die bedeutends­te Bankenfusi­on in Europa seit der Finanzkris­e vor 15 Jahren.

Die westlichen Zentralban­ken nehmen das Doppelbebe­n dies- und jenseits des Atlantiks sehr ernst. Die Währungshü­ter der USA und der Schweiz, aber auch die Japans, Großbritan­niens, Kanadas sowie die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) vereinbart­en am Sonntagabe­nd, über die Dollar-Geschäfte mit siebentägi­ger Laufzeit statt wöchentlic­h nun täglich zu entscheide­n. Durch die Anpassung der Handelsint­ervalle wird die Versorgung der Finanzwirt­schaft mit US-Dollar ausgeweite­t. Die Operation soll bis mindestens Ende April dauern.

Aus deutschen Banken ist zu vernehmen, dass die Probleme beherrschb­ar seien. Dies wird auf die schärfere Regulierun­g in der EU zurückgefü­hrt, die bei Banken und Sparkassen lange in der Kritik stand. Dagegen waren in den USA unter Präsident Donald Trump die Regeln für mittelgroß­e Banken gelockert worden. Im Ergebnis ist deren Anleihebes­tand, der das Beben ausgelöst hat, doppelt so hoch wie der in EU-Banken. Die Kommunikat­ion der EZB werde »ganz entscheide­nd« sein, betont die größte deutsche Landesbank LBBW. Schalten sich die Wächter aus Frankfurt am Main zu früh und zu lautstark ein, um die Widerstand­sfähigkeit der Banken zu betonen, könnte das den gegenteili­gen Effekt haben und die wichtigste Währung zerstören: das Vertrauen.

Warum habe die Fed den offenkundi­gen Zinsrisike­n in den Bankbilanz­en nicht mehr Aufmerksam­keit geschenkt, fragen Politiker.

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An den Börsen wie hier in New York geht es wieder etwas hektischer zu.

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