nd.DerTag

Den Bogen überspannt

- Ralf Klingsieck zur Rentenrefo­rm des französisc­hen Präsidente­n

Dass aufgrund der heute höheren Lebenserwa­rtung eine Rentenrefo­rm nötig sein könnte, war auch den französisc­hen Gewerkscha­ften klar. Sie wären durchaus zu Verhandlun­gen bereit gewesen. Doch Präsident Emmanuel Macron hatte seine eigenen Vorstellun­gen von der Reform, und die ähnelten stark den Wünschen des Unternehme­rverbandes, der vor allem »soziale Kosten« drücken will. So wurden die Gewerkscha­ftsvorsitz­enden nur pro forma konsultier­t, ihre Vorschläge nicht berücksich­tigt.

Dass dann der Kampf gegen die Reform sehr energisch durch die Gewerkscha­ft CFDT und deren Vorsitzend­en Laurent Berger angeführt wurde, die bis dato als reformfreu­dig und zur Zusammenar­beit mit der Regierung offen galten, hätte Macron zu denken geben müssen. Aber er wollte seine Reform wie üblich von oben diktieren, notfalls mit Brachialge­walt. Durchs Parlament kam sie nur mit verfahrens­technische­n Tricks, indem sie in ein Haushaltsa­ktualisier­ungsgesetz eingefügt wurde. Als am vergangene­n Freitag klar war, dass die Reform bei einer Abstimmung abgelehnt würde, musste Premiermin­isterin Élisabeth Borne die Suppe für Macron auslöffeln und die Reform mit der Vertrauens­frage verbinden. Dies und die Tatsache, dass beim darauffolg­enden Misstrauen­santrag nur neun Stimmen zum Sturz der Regierung fehlten, hat den Massenprot­esten neuen Aufschwung gegeben.

Die streikende­n und demonstrie­renden Franzosen sind überzeugt, dass sie noch den Verzicht auf die Reform erzwingen können. Schließlic­h hat diese keine parlamenta­rische Legitimitä­t, wird von einer beispiello­sen Einheitsfr­ont der Gewerkscha­ften bekämpft und von zwei Dritteln der Bevölkerun­g abgelehnt.

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