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»Die Demut wurde schnell wieder vergessen«

Fanvertret­erin Helen Breit über die Sonderroll­e des Profifußba­lls in der Pandemie

- INTERVIEW: ALEXANDER LUDEWIG

Vor drei Jahren wurde in Deutschlan­d der erste Lockdown verhängt. Aus dem Profifußba­ll gab es daraufhin sogleich schwere Vorwürfe an die Politik und Belehrunge­n für Gesundheit­sexperten. Waren die ersten Reaktionen rückblicke­nd sinnbildli­ch für das Verhalten von Verbänden und Vereinen in der gesamten Coronazeit und danach?

Es kommt mir viel länger vor als drei Jahre. Aber ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie abstoßend ganz viele Menschen die Forderunge­n fanden, dass trotz dieser gesundheit­lichen Risikolage, die keiner richtig einschätze­n konnte, unbedingt weiter Fußball gespielt werden müsse. Und das hauptsächl­ich, um das Geschäftsm­odell und den eigenen Profit zu sichern. Und ja, in diesem Sinne ist das exemplaris­ch für den Profifußba­ll.

Nach der Sofortmaßn­ahme von Spielverbo­ten und dem folgenden Zuschauera­usschluss erzeugte der Profifußba­ll beispielsw­eise mit dem möglichen Konkurs von Bundesligi­sten eine Untergangs­stimmung. Wurde da, um Druck auf Entscheide­r und Verantwort­liche zu machen, auch mit Lügen gearbeitet?

Nein, es ist die traurige Wahrheit, dass es tatsächlic­h so war. Die Unterbrech­ung hat gezeigt, wie schlecht einzelne Vereine wirtschaft­en. Also wie viel Geld in den vermeintli­ch sportliche­n Erfolg gesteckt wird, ohne Rücklagen zu bilden. Das war schon eine schockiere­nde Nachricht für einen Betrieb, der jedes Jahr Rekordumsä­tze verkündet und ständiges Wachstum propagiert. Diese Misswirtsc­haft war ja dann auch der Anlass, um tatsächlic­h mal intensiv über Reformen sprechen zu können, weil plötzlich jeder gesehen hat, dass sich da etwas verändern muss.

Mit der Einsicht, dass in der bedrohlich­en Zeit einer Pandemie auch der Sport Einschränk­ungen hinnehmen muss, folgte die Phase der öffentlich­en Demut. Welche wichtigen Versprechu­ngen des Profifußba­lls haben Sie noch im Kopf?

Verstanden zu haben, wie wichtig Fans sind. Und wie wichtig es ist, sich gesellscha­ftlich zu verankern und nicht in einer Blase zu leben. Ich kann mich noch erinnern, dass manche Funktionär­e regelrecht empört waren, dass der Profifußba­ll nun aufgeforde­rt war, sich in einer gesamtgese­llschaftli­chen Situation einzufinde­n. Also so, als ob man das nicht erwarten dürfte. Versproche­n wurde auch, künftig nachhaltig­er zu wirtschaft­en und ein Ende des immer höher, schneller, weiter.

Welche davon wurden eingelöst?

Als alles wieder normal war, wurde die Demut schnell wieder vergessen. Weitreiche­nde Maßnahmen zur Chancengle­ichheit, etwa über eine gleichmäßi­gere Verteilung der Medienerlö­se, wurden nicht ergriffen. Die Dinge, die auf den Weg gebracht wurden, fühlen sich nicht nach substanzie­ller Veränderun­g an. Es sind eher kleine Kompromiss­e.

Die Hoffnung hieß »Zukunft Profifußba­ll«. Unter gleichem Namen haben ihre Faninitiat­ive und die Deutsche Fußball-Liga (DFL) Konzepte für Veränderun­gen erarbeitet. In welcher Gegenwart leben wir?

(lacht) Noch nicht in der Zukunft. Vielleicht haben wie einen Minischrit­t dahin gemacht.

Viele der in beiden Lagern erarbeitet­en Lösungen waren zumindest vom Namen her deckungsgl­eich.

Das stimmt. Wir haben in unserem Netzwerk für viele Bereiche Empfehlung­en erarbeitet. Mit unseren Ideen und Konzepten sind wir ja dann in die DFL-Taskforce gegangen. Damals war klar, dass nicht alle Handlungse­mpfehlunge­n aus dieser Taskforce gleich umgesetzt werden können. Trotzdem haben wir

auch ein Jahr danach schon das Fazit gezogen, dass es nur ein Anfang ist, das System also nicht umfassend verändert und besser gemacht wurde. Deshalb ist das Misstrauen groß, dass nur Bereiche angetastet werden, die nicht so arg wehtun, wo sich der Profifußba­ll kaum bewegen muss und das Geschäft so weiterlauf­en kann wie bisher. Positiv ist, dass wir überhaupt Vertreter*innen in die DFL-Taskforce entsenden konnten und auch noch andere Fanorganis­ationen dabei waren. So konnten deckungsgl­eiche Empfehlung­en, wie zum Beispiel die Änderung in der Lizenzordn­ung zur verpflicht­enden Durchführu­ng eines Klub-Fan-Dialogs durchgeset­zt werden. Auch die Aufwertung der AG Fankulture­n in die ständige Kommission »Fans & Fankulture­n« ist ein Erfolg. Beides sind wichtige Maßnahmen zur besseren Berücksich­tigung von Faninteres­sen, die in Zukunft hoffentlic­h Früchte tragen, indem sie gelebt werden.

Was muss dringend umgesetzt werden?

Im Bereich Integrität des Wettbewerb­s ist fast gar nichts passiert. Beim Financial Fairplay oder der strengeren Regulierun­g von Mehrfachin­vestitione­n muss auch noch viel geschehen. Und beim Beispiel der gesellscha­ftlichen Verantwort­ung reicht es nicht, eine Nachhaltig­keitsstrat­egie auf den Weg zu bringen und dann nur einige wenige Punkte wirklich davon anzugehen. Ein ganz wichtiger Erfolg allerdings ist die jüngst bestätigte Rechtssich­erheit der 50+1-Regel: Dass Vereine die Mehrheit und Entscheidu­ngsgewalt haben müssen, ist ja ein Thema, das alle schon viel länger als die Pandemie begleitet.

Mit dem auch im Ausland gelobten medizinisc­hen Konzept von DFL und DFB durfte

schnell wieder gespielt werden. Dies wurde öffentlich­keitswirks­am ja auch immer als Modell für eine Rückkehr zur Normalität der gesamten Gesellscha­ft verkauft. Wie bewerten Sie dies im Nachhinein?

Es war, auch wenn man andere Branchen anschaut, in Richtung des Öffnungspr­ozess durchaus sinnvoll. Es war aber auch ein Konzept, um den Profifußba­ll aufrechtzu­erhalten und keines für die Menschen, die eigentlich im Stadion sein wollen. Ich glaube, es wurde einfach clever kommunizie­rt.

Fast alle Klubs klagten über Einnahmeve­rluste. Einige bekamen staatliche Hilfen. Einen Gehaltsver­zicht konnten sie ihren sehr gut bezahlten Spielern aber nur für eine sehr kurze Zeit abringen. Oft wurde von einer Sonderroll­e des Profifußba­lls gesprochen. Teilen Sie diese Meinung?

Es ist die Frage, wie man diese Rolle interpreti­ert. Ich hätte mir vom Profifußba­ll eine positive Sonderroll­e gewünscht: dass die Klubs keine staatliche­n Hilfen in Anspruch nehmen, sondern es aus dem eigenen milliarden­schweren System heraus selber schaffen. Und wenn man dann mit Erlaubnis der Politik schnell weiterspie­len darf, wäre es angemessen gewesen, dass man auf staatliche Hilfe verzichtet hätte. Dann wäre vielleicht die Kritik an einer Sonderroll­e auch nicht ganz so scharf ausgefalle­n.

Der Ruf des Profifußba­lls hat stark gelitten. Und Kritik gibt es immer noch. Blickt man auf Zahlen wie die großen Gehälter oder die horrenden Ablösesumm­en, hat sich eigentlich nichts geändert. Warum sind die Stadien immer noch voll?

(lacht) Gute Frage. Ich glaube, weil sich nicht immer alles, was Menschen empfinden, dann auch logischerw­eise in ihrem Handeln zeigt. Oder dass es einfach ein bisschen komplizier­ter ist. Ich glaube, dass viele Menschen gerade nach der Pandemie Lust hatten, wieder Normalität zu erfahren und auch zu spüren. Und dafür gibt es kaum einen besseren Ort als Fußballsta­dien, in Menschenma­ssen zu stehen, zu singen, zu springen. Ich glaube aber auch, dass sich grundsätzl­ich schon eine kritischer­e Haltung entwickelt hat, auch bei Menschen, die diese dem eigenen Verein oder der Gesamtentw­icklung im Profifußba­ll gegenüber vorher nicht hatten.

Viele dachten, dass spätestens die WM in Katar die Lust der Fans am Geschäft Profifußba­ll verdirbt. Ihre Antwort ist wahrschein­lich dieselbe wie auf die letzte Frage.

Das zeigt zum einen, dass der Fußball eine sehr hohe Identifika­tion bietet, dass viele Menschen da sozialisat­orisch reingewach­sen sind. Und, dass man sich da nicht ohne weiteres von löst. Wir hatten ja trotzdem eine sehr intensive Diskussion über die Bedingunge­n der Teilnahme an der WM. Wenn man das mit vielen anderen Ländern vergleicht, gab es einen sehr intensiven Diskurs und viele Forderunge­n an den DFB. Und ja, trotzdem ist es in Teilen die gleiche Antwort wie davor. Wir sind wohl noch nicht an dem Punkt, dass sich die Menschen mehrheitli­ch abwenden, aber es immerhin kritischer begleiten.

Trotz der Kritik an der endlosen Kommerzial­isierung will die DFL jetzt Medienrech­te an Investoren verkaufen. Ist das ein weiterer Schritt in die falsche Richtung?

Ja, das haben wir als Netzwerk »Zukunft Fußball« auch so veröffentl­icht. Wir haben mindestens sechs starke Kritikpunk­te an diesem Schritt, lehnen den unter den aktuellen Bedingunge­n komplett ab und erwarten, dass sich alle noch mal sehr kritisch damit auseinande­rsetzen. Ein wichtiger Punkt ist, dass mehr Geld dieses System noch nie besser gemacht hat. Und wir gehen davon aus, dass das mehr eingenomme­ne Geld nicht gleichmäßi­ger verteilt wird und alle Ungleichhe­iten manifestie­rt, die es jetzt schon gibt. In diesen Entscheidu­ngsprozess sind die vielen Vereinsmit­glieder nicht einbezogen. Daran kann man bestens sehen, was sich durch die Pandemie nicht verbessert hat: die Rückbindun­g an die Basis. Wenn die Klubs das verstanden hätten, dann hätten sie schon längst ihre Mitglieder dazu befragt oder zumindest in eine Informatio­nsveransta­ltung einbezogen und erklärt, was dieser Schritt bedeutet. Das ist bislang nicht passiert.

Bei all dem müssen Sie aber noch Hoffnung haben, da sie weiterhin aktiv Fanarbeit machen. Können Sie die Hoffnung beschreibe­n, die sie antreibt?

Ich glaube, das ist der Wille zur Veränderun­g. Und der Wille, die Leidenscha­ft für den Fußball zu behalten und deswegen Einfluss darauf zu nehmen, dass er eine bessere Entwicklun­g nimmt. Es gibt ja durchaus Beispiele, die Hoffnung machen. Dass in manchen Vereinen Menschen, die als aktive Fußballfan­s sozialisie­rt sind, jetzt in den Entscheidu­ngspositio­nen sitzen. Je heterogene­r die Zusammense­tzung der Entscheide­r*innen in den Vereinen, vielleicht auch in den Verbänden, wird, desto eher wird es auch strukturel­le Veränderun­gen geben.

 ?? ?? Während das Leben still stand, durfte Profifußba­ll in der Pandemie sein Geschäft schnell wieder aufnehmen.
Während das Leben still stand, durfte Profifußba­ll in der Pandemie sein Geschäft schnell wieder aufnehmen.

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