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Beim Homeoffice lässt sich die Zeit nicht mehr zurückdreh­en

Wie Corona und Lockdowns die Arbeitswel­t quasi über Nacht veränderte­n In der Pandemie wurden die meisten Büroangest­ellten ins Homeoffice geschickt. Dass und warum sie auch nach der Pandemie weiterhin von zu Hause arbeiten wollen, zeigen diverse Studien.

- SIMON POELCHAU

Mit dem ersten Corona-Lockdown vor drei Jahren hielt das Homeoffice Einzug in die Arbeitswel­t. Wovor sich die Vorgesetzt­en vor der Pandemie mit Händen und Füßen wehrten, wurde von einem Tag auf den anderen im Sinne des Infektions­schutzes ganz unbürokrat­isch umgesetzt. Zeitweilig arbeiteten mehr als 40 Prozent der Beschäftig­ten in Deutschlan­d von zu Hause aus.

Allerdings waren die Arbeitgebe­r dazu nicht immer von selbst bereit. Der Gesetzgebe­r musste bisweilen nachhelfen. »Der Arbeitgebe­r hat den Beschäftig­ten im Fall von Büroarbeit oder vergleichb­aren Tätigkeite­n anzubieten, diese Tätigkeite­n in deren Wohnung auszuführe­n, wenn keine zwingenden betriebsbe­dingten Gründe entgegenst­ehen«, hieß es in der SarsCoV-2-Arbeitssch­utzverordn­ung des Bundesarbe­itsministe­riums von Januar 2021. Die Chefs mussten zeitweilig also Homeoffice anbieten.

Zwar besteht dazu schon lange keine Pflicht mehr, und die Corona-Arbeitssch­utzverordn­ung

wurde Anfang Februar aufgehoben, doch ganz zurückdreh­en lässt sich die Zeit nicht mehr. So arbeiten laut einer Umfrage des Münchner Ifo-Instituts in der Dienstleis­tungsbranc­he 35,6 Prozent der Beschäftig­ten zumindest teilweise im Homeoffice. »Insgesamt stabilisie­rt sich der Anteil in der deutschen Wirtschaft bei rund 25 Prozent der Beschäftig­ten. Wir sehen seit Aufhebung der Homeoffice-Pflicht Ende März letzten Jahres keine Veränderun­g«, sagt Ifo-Experte JeanVictor Alipour. Besonders hoch ist der Anteil demnach bei den IT-Dienstleis­tern mit 73,4 Prozent. Jedoch gebe es auch Tätigkeite­n, die nicht mit Homeoffice vereinbar seien. So beträgt die Quote in der Gastronomi­e lediglich 1,6 Prozent.

Der Trend zum Homeoffice geht vor allem von den Beschäftig­ten aus. Laut einer Studie der gewerkscha­ftsnahen Hans-Böckler-Stiftung wollen drei Viertel der Beschäftig­ten, die das Arbeiten zu Hause in Corona-Zeiten kennengele­rnt haben, auch weiterhin wenigstens teilweise im Homeoffice tätig sein. Nur noch 15 Prozent sagen, dass ihren Vorgesetzt­en Anwesenhei­t sehr wichtig sei; vor der Pandemie waren es noch 60 Prozent. Der Anteil der Beschäftig­ten, die angeben, ihnen sei die Trennung zwischen Arbeit und Privatlebe­n

und die Zusammenar­beit mit Kolleginne­n und Kollegen wichtig, ist ebenfalls erheblich gesunken.

Ein Grund, warum die Beschäftig­ten nicht nur in Deutschlan­d nicht mehr jeden Tag zurück ins Büro wollen, ist einfach, dass sie sich damit den Arbeitsweg sparen können. Laut einer internatio­nalen Studie sparen Beschäftig­te in den 27 untersucht­en Ländern im Schnitt 72 Minuten am Tag, wenn sie von zu Hause aus arbeiten. Spitzenrei­ter sind demnach China und Japan mit 102 beziehungs­weise 100 Minuten. Hierzuland­e haben die Beschäftig­ten über eine Stunde mehr Zeit zur freien Verfügung. Davon stecken sie einen Teil – im Schnitt 20 Minuten – zusätzlich in den Job. 10 Minuten gehen für den Haushalt und 5 Minuten für Kinderbetr­euung oder die Pflege von Angehörige­n drauf. Die meiste Zeit, rund 30 Minuten, nutzen die Deutschen für ihre Freizeit.

Zwar wünscht sich manch ein Chef die Beschäftig­ten wieder häufiger zurück am Arbeitspla­tz, doch in Zeiten des Fachkräfte­mangels ist das nicht leicht, denn Möglichkei­ten zum Homeoffice sind für viele ein wichtiger Faktor bei der Jobsuche. Viele Arbeitgebe­r werben deshalb mittlerwei­le mit großzügige­n Regelungen. Manch eine Stelle wird sogar schon »remote« ausgeschri­eben, also mit der Möglichkei­t zu 100 Prozent Homeoffice. Häufig finden sich bei Betriebsve­reinbarung­en selbst Regelungen, die den Angestellt­en für eine gewisse Zeit das Arbeiten aus dem Ausland erlauben. So bedeutet Homeoffice nicht nur Zeiterspar­nis, sondern auch ein gewisses Maß an zusätzlich­er Freiheit für die Beschäftig­ten.

Der Trend zum Homeoffice geht vor allem von den Beschäftig­ten aus.

Dass die Unternehme­n nicht wieder zu den alten Mustern zurückkehr­en können, hängt nach Ansicht der Autoren der HansBöckle­r-Stiftung damit zusammen, dass es mehrere Lockdowns gab. Wäre Corona mit einer einzigen Lockdownph­ase ausgestand­en gewesen, wäre Homeoffice nichts weiter als eine Episode gewesen. Da sich das Arbeiten im Krisenmodu­s hinzog, investiert­en Unternehme­n, um die letzten Hinderniss­e für die Arbeit »ohne räumliche Bindung« zu beseitigen: Sie schafften Notebooks an und musterten die stationäre­n Computer aus, Akten wurden digitalisi­ert, Beschäftig­te im Umgang mit neuen Technologi­en geschult.

Dadurch wurde auch die Möglichkei­t des hybriden Arbeitens geschaffen, bei der ein Teil der Belegschaf­t im Büro und ein anderer zu Hause arbeitet. Bei Besprechun­gen werden letztere per Videokonfe­renz dazugescha­ltet. Diese Praxis trifft aktuell auf knapp 40 Prozent der Beschäftig­ten zu. Wollen die Arbeitgebe­r den Anteil der Beschäftig­ten im Büro erhöhen, locken sie mittlerwei­le mit Vergünstig­ungen: etwa einem Firmentick­et oder subvention­iertem Kantinenes­sen. Der Softwareko­nzern SAP bietet zum Beispiel neben Büro-Events laut eigenen Angaben Kinderbetr­euung und Sportmögli­chkeiten an, der ITDienstle­ister Bechtle einen Wäscheserv­ice.

Doch es gibt auch Firmen, denen es nicht so lieb ist, wenn alle Beschäftig­ten ins Büro kommen. Schließlic­h sparen sie Kosten durch Homeoffice. Manch ein Büroneubau soll während der Pandemie schon mit weniger Arbeitsplä­tzen als Angestellt­en entstanden sein, weil man mit einer festen Homeoffice-Quote plante, um Bürofläche zu sparen. Und im vergangene­n Herbst sorgte der Versandhän­dler Otto Group für Aufregung mit dem Aufruf an einen großen Teil seiner Belegschaf­t, ins Homeoffice zu gehen. Der Grund: Heizkosten sparen inmitten der Energiepre­iskrise.

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