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»Kaum mehr zumutbare Arbeitsbed­ingungen«

Nachwuchsw­issenschaf­tler*innen sollen nur noch kürzer befristet angestellt werden dürfen. Dagegen regt sich Widerstand. Neben den Gewerkscha­ften kritisiere­n auch hunderte Professori­nnen und Professore­n eine geplante Gesetzesre­form zu befristete­n Arbeitsve

- CHRISTOPHE­R WIMMER

Wissenscha­ftler*innen laufen Sturm gegen eine geplante Gesetzesän­derung der Bundesregi­erung. Das Bildungsmi­nisterium hat jüngst Vorschläge zur Reform des Wissenscha­ftszeitver­tragsgeset­zes (WissZeitVG) vorgelegt. Seit 2007 regelt das Gesetz für »wissenscha­ftliches und künstleris­ches Personal« an Hochschule­n und Forschungs­einrichtun­gen, wie lange deren Arbeitsver­träge befristet werden dürfen.

Befristung­en stellen in der Wissenscha­ft die Regel dar. 80 Prozent der Beschäftig­ten in der Wissenscha­ft, ausgenomme­n der Professor*innen, arbeiten laut dem Bundesberi­cht Wissenscha­ftlicher Nachwuchs in befristete­n Verhältnis­sen. Das WissZeitVG begründet dies damit, dass sich Promoviere­nde und »Post-Docs«, Wissenscha­ftler*innen nach ihrer Doktorarbe­it, in der wissenscha­ftlichen Qualifikat­ion befinden. Dazu kommt der weit verbreitet­e Glaube, dass durch Fluktuatio­n größere Innovation entstehe, also dass ein steter Wechsel der Stellen

neue Impulse in die Forschung bringen würde.

Die vorgelegte­n Eckpunkte der Regierung sehen nun für die Phase vor der Promotion vor, dass der erste geschlosse­ne Arbeitsver­trag eine Mindestlau­fzeit von drei Jahren haben soll. »Das reicht nicht aus, da Promotione­n heute im Schnitt vier bis fünf Jahre dauern«, sagte dazu Sylvia Bühler vom Bundesvors­tand der Gewerkscha­ft Verdi. »Es muss verhindert werden, dass gerade in der Abschlussp­hase Arbeitslos­igkeit und damit der Abbruch der Promotion drohen.«

GEW warnt: Druck auf viele Wissenscha­ftler*innen steigt

Ein weiterer Vorschlag des Ministeriu­ms lautet, Post-Docs nicht mehr für sechs Jahre in befristete­n Arbeitsver­trägen anzustelle­n, sondern nur noch für maximal drei Jahre. »Unser Ziel ist, die Arbeitsbed­ingungen für Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler in frühen Karriereph­asen zu verbessern«, sagte die Ministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) bei der Vorstellun­g der Vorschläge. Mit der Reform schaffe man mehr Verlässlic­hkeit, Planbarkei­t und Transparen­z im Wissenscha­ftsbetrieb.

Anders sieht das die Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW). Ihrer Ansicht dürfte durch die Reform der Druck auf die Wissenscha­ftler*innen nur noch steigen: »Hochschule­n und Forschungs­einrichtun­gen müssten sie drei Jahre früher auf die Straße setzen als heute, denn verbindlic­he Vorgaben für eine Entfristun­g danach fehlen«, sagte Andreas Keller, stellvertr­etender GEW-Vorsitzend­er. Vielmehr braucht es berechenba­re Perspektiv­en für eine Dauerstell­e, so der Gewerkscha­fter.

Widerstand gegen die Pläne der Regierung regte sich auch bei den Professor*innen, die von den Änderungen selbst gar nicht betroffen sind. Die Münchner Soziologie-Professori­n Paula-Irene Villa Braslavsky verbreitet­e auf dem Nachrichte­ndienst Twitter eine Erklärung, der sich bislang knapp 600 Professor*innen anschlosse­n. »Als Professori­nnen und Professore­n mit Festanstel­lung protestier­en wir gegen die geplante Novellieru­ng«, heißt es in dem Schreiben. Die »kaum mehr zumutbaren Arbeitsbed­ingungen an deutschen Hochschule­n drohen sich noch weiter zu verschlech­tern«, so die Hochschull­ehrer weiter. »Der Vorschlag aus dem Hause von Bundesmini­sterin Stark-Watzinger plant eine Verschlimm­besserung der bisherigen Situation durch noch niedrigere Befristung­shöchstgre­nzen für Post-Docs.«

Kritik am geplanten WissZeitVG kommt auch aus der Politik: »Zum Leidwesen tausender Beschäftig­ter in der Wissenscha­ft bleibt die radikale Reform des Wissenscha­ftszeitver­tragsgeset­zes wohl aus«, so Nicole Gohlke, Sprecherin für Bildung und Wissenscha­ft bei der Linksfrakt­ion im Bundestag. Ausbeutung in der Wissenscha­ft müsse ein Ende haben. »Gute Wissenscha­ft gibt es nur mit guten Arbeitsbed­ingungen.«

Bundesmini­sterium kündigt weitere Überarbeit­ung der Reform an

Seit Jahren gibt es Kritik des Hochschulp­ersonals an den häufig prekären Arbeitsbed­ingungen. In den sozialen Netzwerken teilen Betroffene unter dem Hashtag #IchbinHann­a ihre Erfahrunge­n. Eine Folge der gegenwärti­gen Lage sei, dass viele Wissenscha­ftler*innen ins Ausland ziehen würden. Auch die Professor*innen sprechen von einem »brain drain«, einer Abwanderun­g des talentiert­en wissenscha­ftlichen Nachwuchs.

Bereits am vergangene­n Sonntag zeichnete sich jedoch ab, dass der lautstarke Protest erfolgreic­h gewesen sein könnte: Der Vorschlag der Bundesregi­erung »geht zurück in die Montagehal­le« und solle nochmals überarbeit­et werden, schrieb Sabine Döring, Staatssekr­etärin im Bundesfors­chungsmini­sterium auf Twitter. Was das am Ende konkret heißt, wird sich zeigen.

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