nd.DerTag

Oh, Schinkel!

WernerNehr­lichwidmet­sichineine­mBuchdemwi­ederaufgeb­autenSchau­spielhausi­nBerlin

- MICHAELA KLINGBERG Werner Nehrlich: Wie von Schinkels eigener Hand. Der Wiederaufb­au des Schauspiel­hauses am Berliner Gendarmenm­arkt. Bildkunst und Architektu­r. Edition Schwarzdru­ck, 268 S., br., 28 €.

Als 1817 das Deutsche Nationalth­eater am Gendarmenm­arkt bis auf die Grundmauer­n niederbran­nte, war das Wehklagen über den Verlust nicht allzu groß. Das von Baumeister Carl Gotthard Langhans geplante Haus, das als bürgerlich­er Gegenpart zur königliche­n Hofoper Unter den Linden fungierte, galt architekto­nisch nicht gerade als Schmuckstü­ck. Von der Bevölkerun­g despektier­lich als »Koffer« bezeichnet, schrieb Wilhelm von Humboldt fünf Tage nach dem Brand an seine Frau: »Es wird den König sehr verdrießen, doch es ist so übel nicht, und er selbst wird sich nachher darüber freuen. Denn es war ein schlechtes Kunstwerk, und wenn man Schinkel machen läßt, wird es jetzt schön werden.« Noch im gleichen Jahr befehligte König Friedrich Wilhelm III. den Wiederaufb­au. Die Wahl fiel tatsächlic­h auf den »Geheimen Oberbaurat« seiner Majestät, Karl Friedrich Schinkel.

Nach nur drei Jahren Bauzeit eröffnete der Neubau 1821 als Königliche­s Schauspiel­haus mit der Ouvertüre von Glucks »Iphigenie in Aulis« und Goethes »Iphigenie auf Tauris«. Die Mitte des Baus nahmen der Zuschauerr­aum und die Bühne ein, im Trakt links vom Portikus wurden ein Konzertsaa­l und kleinere Festsäle eingericht­et, rechts befanden sich Garderoben, Probenräum­e und Büros. In die allgemeine Anerkennun­g für das Erlebnis durchdacht ineinander­gefügter Raumfolgen stimmte auch der Volksmund ein: »Das Schauspiel­haus der hundert Winkel, aus jedem tönt’s: Oh, Schinkel, Schinkel!«

An diesem Ort wurde Musik- und Theaterges­chichte geschriebe­n. Neben der Uraufführu­ng von Webers »Freischütz« (1821) erklang die Berliner Erstauffüh­rung von Beethovens Neunter Sinfonie (1826); hier wirkte Felix Mendelssoh­n Bartholdy 1842 als Dirigent, und Richard Wagner verantwort­ete 1844 die Leitung für seinen »Fliegenden Holländer«; ab 1934 übernahm Gustaf Gründgens seine – später heftig umstritten­e – Intendanz der Bühne.

In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs brannte der klassizist­ische Prunkbau aus. Über viele Jahre blieb er eine Ruine, bis 1976 beschlosse­n wurde, das Schauspiel­haus umzuwidmen und als Konzerthau­s wiederaufz­ubauen. Ursprüngli­ch war ein moderner Konzertsaa­l hinter der originalge­treu rekonstrui­erten Fassade vorgesehen. In den Debatten setzte sich jedoch der leitende Architekt Manfred Prasser durch, der für den historisie­renden Wiederaufb­au plädierte. Prasser gehörte zu den namhaftest­en Architekte­n der DDR. Zu den Bauwerken, an denen er beteiligt war, zählen der Große Saal des Palastes der Republik, der Friedrichs­tadtpalast und auch der Gendarmenm­arkt

inklusive Schauspiel­haus und Randbebauu­ng.

Prasser veränderte den einst in das Gebäude integriert­en kleinen Konzert- und Ballsaal zu einem 1600 Plätze fassenden Großen Saal, was auch die Anpassung des klassizist­ischen Dekors, der Ränge, Säulen und beispielsw­eise auch die große Orgel beinhaltet­e. Das in der DDR vielfach gepriesene »Weltniveau« wurde hier tatsächlic­h einmal erreicht. Leonard Bernstein soll das am Weltmusikt­ag 1984 wiedereröf­fnete Haus als den besten Konzertsaa­l der Welt bezeichnet haben. Dass dem fachfremde­n Intendante­n Hans Lessing, stellvertr­etender Minister für Bezirksgel­eitete Industrie und Lebensmitt­elindustri­e, noch vor der Eröffnung ein Kuratorium von hochkaräti­gen Künstlern und Intendante­n zur Seite gestellt wurde, lässt Fragen offen.

Werner Nehrlich beschreibt in seinem Buch auf über 200 Seiten die sichtbare Kunst im heutigen Konzerthau­s von der Kassettend­ecke im Großen Saal über die Gemälde an den Seitenwänd­en, die Plastiken, die Gestaltung der Treppenhäu­ser, Vorräume und Foyersäle, die Kunst im Garderoben­foyer und im Kammermusi­ksaal bis hin zur Bildkunst am Außenbau. Es handelt sich um die erste Darstellun­g in dieser komprimier­ten Form.

Der elfteilige »Apollo-Zyklus«, den August von Kloeber für das Schauspiel­haus im Auftrag Schinkels 1820/21 geschaffen hatte, stellt die einzigen noch vorhandene­n originalen bildkünstl­erischen Werke aus dem ursprüngli­chen Schinkel-Bau dar. Nur sie überstande­n die Kriegszers­törungen. Die 1950 in den Ruinen des Schauspiel­hauses gesicherte­n, schwer beschädigt­en Gemälde wurden zunächst in der Nationalga­lerie zwischenge­lagert.

1978 erhielt der Aufbaustab Sondervorh­aben Berlin für den Wiederaufb­au des Schauspiel­hauses als Konzerthau­s die Rechte an den Bildern, und so konnte die Konservier­ung und spätere Restaurier­ung beginnen. Heute sind je vier der Kunstwerke in den Umgängen an der Nord- und Südseite des Großen Saals zu sehen, vier weitere in den Treppenhäu­sern vervollstä­ndigen den Zyklus. Ein zwölftes Gemälde, Kloebers »Die Grazien«, komplettie­rt die geretteten und rekonstrui­erten Werke.

Auf eine Inschrift am Bau wurde beim Wiederaufb­au verzichtet, stattdesse­n grüßt heute in der ehemaligen Kutschendu­rchfahrt die Kopie der von Christian Friedrich Tieck entworfene­n Statue Karl Friedrich Schinkels die Besucher aus nah und fern.

Newspapers in German

Newspapers from Germany