Oh, Schinkel!
WernerNehrlichwidmetsichineinemBuchdemwiederaufgebautenSchauspielhausinBerlin
Als 1817 das Deutsche Nationaltheater am Gendarmenmarkt bis auf die Grundmauern niederbrannte, war das Wehklagen über den Verlust nicht allzu groß. Das von Baumeister Carl Gotthard Langhans geplante Haus, das als bürgerlicher Gegenpart zur königlichen Hofoper Unter den Linden fungierte, galt architektonisch nicht gerade als Schmuckstück. Von der Bevölkerung despektierlich als »Koffer« bezeichnet, schrieb Wilhelm von Humboldt fünf Tage nach dem Brand an seine Frau: »Es wird den König sehr verdrießen, doch es ist so übel nicht, und er selbst wird sich nachher darüber freuen. Denn es war ein schlechtes Kunstwerk, und wenn man Schinkel machen läßt, wird es jetzt schön werden.« Noch im gleichen Jahr befehligte König Friedrich Wilhelm III. den Wiederaufbau. Die Wahl fiel tatsächlich auf den »Geheimen Oberbaurat« seiner Majestät, Karl Friedrich Schinkel.
Nach nur drei Jahren Bauzeit eröffnete der Neubau 1821 als Königliches Schauspielhaus mit der Ouvertüre von Glucks »Iphigenie in Aulis« und Goethes »Iphigenie auf Tauris«. Die Mitte des Baus nahmen der Zuschauerraum und die Bühne ein, im Trakt links vom Portikus wurden ein Konzertsaal und kleinere Festsäle eingerichtet, rechts befanden sich Garderoben, Probenräume und Büros. In die allgemeine Anerkennung für das Erlebnis durchdacht ineinandergefügter Raumfolgen stimmte auch der Volksmund ein: »Das Schauspielhaus der hundert Winkel, aus jedem tönt’s: Oh, Schinkel, Schinkel!«
An diesem Ort wurde Musik- und Theatergeschichte geschrieben. Neben der Uraufführung von Webers »Freischütz« (1821) erklang die Berliner Erstaufführung von Beethovens Neunter Sinfonie (1826); hier wirkte Felix Mendelssohn Bartholdy 1842 als Dirigent, und Richard Wagner verantwortete 1844 die Leitung für seinen »Fliegenden Holländer«; ab 1934 übernahm Gustaf Gründgens seine – später heftig umstrittene – Intendanz der Bühne.
In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs brannte der klassizistische Prunkbau aus. Über viele Jahre blieb er eine Ruine, bis 1976 beschlossen wurde, das Schauspielhaus umzuwidmen und als Konzerthaus wiederaufzubauen. Ursprünglich war ein moderner Konzertsaal hinter der originalgetreu rekonstruierten Fassade vorgesehen. In den Debatten setzte sich jedoch der leitende Architekt Manfred Prasser durch, der für den historisierenden Wiederaufbau plädierte. Prasser gehörte zu den namhaftesten Architekten der DDR. Zu den Bauwerken, an denen er beteiligt war, zählen der Große Saal des Palastes der Republik, der Friedrichstadtpalast und auch der Gendarmenmarkt
inklusive Schauspielhaus und Randbebauung.
Prasser veränderte den einst in das Gebäude integrierten kleinen Konzert- und Ballsaal zu einem 1600 Plätze fassenden Großen Saal, was auch die Anpassung des klassizistischen Dekors, der Ränge, Säulen und beispielsweise auch die große Orgel beinhaltete. Das in der DDR vielfach gepriesene »Weltniveau« wurde hier tatsächlich einmal erreicht. Leonard Bernstein soll das am Weltmusiktag 1984 wiedereröffnete Haus als den besten Konzertsaal der Welt bezeichnet haben. Dass dem fachfremden Intendanten Hans Lessing, stellvertretender Minister für Bezirksgeleitete Industrie und Lebensmittelindustrie, noch vor der Eröffnung ein Kuratorium von hochkarätigen Künstlern und Intendanten zur Seite gestellt wurde, lässt Fragen offen.
Werner Nehrlich beschreibt in seinem Buch auf über 200 Seiten die sichtbare Kunst im heutigen Konzerthaus von der Kassettendecke im Großen Saal über die Gemälde an den Seitenwänden, die Plastiken, die Gestaltung der Treppenhäuser, Vorräume und Foyersäle, die Kunst im Garderobenfoyer und im Kammermusiksaal bis hin zur Bildkunst am Außenbau. Es handelt sich um die erste Darstellung in dieser komprimierten Form.
Der elfteilige »Apollo-Zyklus«, den August von Kloeber für das Schauspielhaus im Auftrag Schinkels 1820/21 geschaffen hatte, stellt die einzigen noch vorhandenen originalen bildkünstlerischen Werke aus dem ursprünglichen Schinkel-Bau dar. Nur sie überstanden die Kriegszerstörungen. Die 1950 in den Ruinen des Schauspielhauses gesicherten, schwer beschädigten Gemälde wurden zunächst in der Nationalgalerie zwischengelagert.
1978 erhielt der Aufbaustab Sondervorhaben Berlin für den Wiederaufbau des Schauspielhauses als Konzerthaus die Rechte an den Bildern, und so konnte die Konservierung und spätere Restaurierung beginnen. Heute sind je vier der Kunstwerke in den Umgängen an der Nord- und Südseite des Großen Saals zu sehen, vier weitere in den Treppenhäusern vervollständigen den Zyklus. Ein zwölftes Gemälde, Kloebers »Die Grazien«, komplettiert die geretteten und rekonstruierten Werke.
Auf eine Inschrift am Bau wurde beim Wiederaufbau verzichtet, stattdessen grüßt heute in der ehemaligen Kutschendurchfahrt die Kopie der von Christian Friedrich Tieck entworfenen Statue Karl Friedrich Schinkels die Besucher aus nah und fern.