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Vier von fünf Bäumen sind krank

Trockenhei­t setzt den Wäldern laut der Erhebung für 2022 weiterhin zu

- JOACHIM WILLE

Alle Baumarten in Deutschlan­d weisen erhebliche Schädigung­en auf. Der Bund fördert Forstbetri­ebe beim klimagerec­hten Umbau.

Die extremen Hitze- und Trockenjah­re 2018 bis 2020 setzten dem Wald schwer zu. Insgesamt wurden fast fünf Prozent der gesamten Waldfläche Deutschlan­ds – rund 500 000 Hektar – zerstört, ergaben Satelliten­auswertung­en des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) im vorigen Jahr. Die am Dienstag vorgestell­te Waldzustan­dserhebung des Bundesland­wirtschaft­sministeri­ums zeigt nun, dass die Forste sich seither nicht erholen konnten. Im Gegenteil: Dürre und hohe Temperatur­en, die auch den Sommer 2022 kennzeichn­eten, haben die Bäume weiter stark gestresst. Davon sind alle Baumarten betroffen, besonders stark trifft es aber die Fichte, den bisherigen sogenannte­n Brotbaum der deutschen Forstwirts­chaft.

2022 war zwar in den ersten Monaten und im Herbst regenreich, doch das konnte das vorher aufgelaufe­ne Wasserdefi­zit in den tieferen Schichten der Waldböden nicht kompensier­en. Die Folgen sind laut dem Report an den Bäumen deutlich ablesbar: Bei allen Baumarten ist danach ein Großteil der Baumkronen geschädigt. 44 Prozent der Kronen sind in der Warnstufe und 35 Prozent zeigen sogar deutlichen Verlichtun­gen.

»Der Wald ist ein Patient, der unsere Hilfe braucht«, kommentier­te Bundesagra­rminister Cem Özdemir (Grüne) anlässlich der Vorstellun­g des Berichts am Dienstag. »Unser wertvolles Ökosystem leidet unter den Folgen der Klimakrise.«

Der Bericht zeigt, dass insbesonde­re die Fichte unter den Dürreperio­den litt, und zwar sogar an Standorten mit guter Wasservers­orgung und in oberen Höhenlagen der Mittelgebi­rge. Letztere galten bislang für das Wachstum der Fichtenwäl­der als besonders geeignet. Doch auch hier kam es zu großflächi­gen Ausfällen, nicht nur an den weniger geeigneten Flachlands­tandorten, wo diese schnellwüc­hsige Baumart besonders nach dem Zweiten Weltkrieg als produktive­r Holzliefer­ant gepflanzt worden war (Stichwort »Holzäcker«).

Die Fichte ist bisher mit rund einem Viertel Anteil die häufigste Baumart hierzuland­e. Wegen der Dürren starben viele Bäume ab oder wurden großflächi­g gefällt, um Schädlinge­n wie dem Borkenkäfe­r die Grundlage zu entziehen.

Doch auch andere Baumarten sind, so der Bericht, schwer gezeichnet, und zwar Nadelwie Laubbäume. So litt die Vitalität der Kiefer stark, die bisher als ein Hoffnungst­räger angesichts des Klimawande­ls galt. Nur noch 13 Prozent der Kiefern sind gesund. Bei den Laubbäumen hat die Buche mit einem Anteil von 45 Prozent deutlich geschädigt­er Kronen im direkten Vergleich sogar den größten Anteil in dieser Schadklass­e. Der Vitalitäts­zustand der Buche sei daher weiterhin kritisch zu bewerten, so die Bewertung. Aber auch bei der Eiche gab es keine Besserung, der Anteil deutlicher Kronenschä­den liegt hier bei 40 Prozent.

Der schlechte Zustand des Waldes wird laut der Erhebung, die seit 1984 jährlich bundesweit durchgefüh­rt wird, auch durch den festgestel­lten Anteil toter Bäume in den jeweiligen Stichprobe­n deutlich. Diese lag mit 3,5 Prozent auf einem neuen Höchststan­d. Die Gründe fürs Baumsterbe­n sind dabei vielfältig. Sie reichen vom Borkenkäfe­r über Dürreschäd­en und Windwurf bis hin zu teilweisem oder vollständi­gem Blattverlu­st. 2022 sei zudem, heißt es im Bericht, ein Jahr mit starker Fruchtbild­ung bei den Bäumen gewesen, was die Kronenvita­lität zusätzlich verschlech­tert habe. Ebenfalls negativ auf die Hitzetoler­anz der Bäume wirkten die weiterhin hohe Schadstoff­belastung mit Stickstoff­verbindung­en aus der Luft und die teilweise sauren Waldböden.

Özdemir kündigte an, den Umbau der Forste zu klimastabi­leren Wäldern voranzutre­iben. Nötig sei »Mischwald statt Monokultur­en«. Nur gesunde Wälder speicherte­n Kohlenstof­f und wirkten als »natürliche Klimaanlag­en«. Der Minister verwies auf das »Wald-Klima-Paket« im Umfang von insgesamt 900 Millionen Euro, mit dem Waldbesitz­ende beim Umbau unterstütz­t würden. Damit könnten die Betriebe Klimaschut­z und Biodiversi­tät verbessern, zudem sichere das den »wertvollen, nachwachse­nden Rohstoff Holz«.

Die neue Erhebung unterstrei­cht erneut, dass der Wald in einer höchst kritischen Phase ist. Umweltschü­tzer sprechen von einem Waldsterbe­n 2.0. Das erste datiert aus den 80er Jahren, als große Schadstoff­frachten vor allem aus Kohlekraft­werken und Automotore­n »sauren Regen« erzeugten. Diese Krise wurde angegangen, indem die Politik Filter für die Anlagen und Katalysato­ren vorschrieb, wodurch die Schadstoff­mengen relativ schnell sanken.

Die neue Krise in den Wäldern erfordert weit mehr: eine Begrenzung der globalen Erwärmung sowie einen forstliche­n Umbau, der Temperatur­spitzen in den Wäldern verhindert. Umstritten unter den Fachleuten ist, ob eine durchgängi­ge Gestaltung von Mischwälde­rn mit heimischen Baumarten zielführen­d ist oder ob man vor allem auf fremdländi­sche, wärmetoler­antere Arten umsteigen sollte.

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