nd.DerTag

Wenig Geld, mehr Krankheite­n

Der Kongress »Armut und Gesundheit« thematisie­rt die Folgen von Benachteil­igung

- ULRIKE HENNING

Bundespräs­ident Steinmeier beklagte, dass gesundheit­liche Probleme armer Menschen der größeren Öffentlich­keit kaum bekannt seien. Der Kongress »Armut und Gesundheit« bringt genau dieses Thema regelmäßig zur Sprache.

Seit 1995 findet der Kongress »Armut und Gesundheit« in Berlin bereits statt, organisier­t von der Arbeitsgem­einschaft Gesundheit Berlin-Brandenbur­g e.V., der sowohl Institutio­nen als auch Einzelpers­onen angehören. Die Veranstalt­ung dient dem Austausch zu Projekten und zur Wirksamkei­t von gesundheit­spolitisch­en Ansätzen, häufig auf kommunaler Ebene. In diesem Jahr spielt auch die Nachbereit­ung der Corona-Pandemie eine Rolle.

Gesundheit­liche Chancen und Risiken verteilten sich während der letzten drei Jahre erwartbar – mit Ausnahme der ersten Pandemiewe­lle, in der Reisende (und damit sozioökono­misch stärkere Personen) einen größeren Anteil am Infektions­geschehen hatten. Die genauen Daten stellt Claudia Hövener zur Verfügung, die am Robert-Koch-Institut (RKI) das Fachgebiet »Soziale Determinan­ten der Gesundheit« leitet. Nach ihrer Aussage ist der Zusammenha­ng zwischen sozioökono­mischer und gesundheit­licher Ungleichhe­it schon länger nachgewies­en – insbesonde­re für nichtübert­ragbare Leiden, darunter Herz-Kreislauf- und chronische Atemwegser­krankungen.

Für das Maß der Benachteil­igung wurden die Kriterien Bildung, Beschäftig­ung und Einkommen herangezog­en. In Gebieten, die in dieser Beziehung besonders schlecht dastehen, gab es eine 1,5 mal so hohe Beteiligun­g am Infektions­geschehen wie in bessergest­ellten Regionen. Nachweisba­r seien solche Effekte bis auf Kreisebene, erläutert Hövener. Auch die Todesfälle und die schweren Krankheits­verläufe seien bundesweit entspreche­nd verteilt. Man könne also durchaus von einer »ungleichen Pandemie« sprechen. Covid-19 trat zudem auch bei Personen häufiger auf, die mehr Vorerkrank­ungen hatten oder stärker exponiert waren, zum Beispiel bei Pflegekräf­ten.

Ähnliche Verteilung­smuster zeigten sich bei der psychische­n Gesundheit von Kindern und Jugendlich­en. So zeigen sich die sozialen Unterschie­de etwa in der subjektive­n Einschätzu­ng der Eltern zu dem Thema: In Familien mit höherem Einkommen ist die Wahrschein­lichkeit, dass diese hier mit »ausgezeich­net« werten, deutlich höher. Deutlich geringer ist sie, wenn die Kinder mit einem Elternteil allein leben.

Nun gibt es für diverse benachteil­igte Gruppen mal mehr, mal weniger Angebote, mit denen die gesundheit­lichen Effekte von Armut kompensier­t werden sollen. Auf dem Berliner Kongress wird etwa über Hilfen für ungewollt Schwangere gesprochen, über Substanzko­nsum bei jüngeren Wohnungslo­sen, Einsamkeit oder das Impfverhal­ten in Gruppen mit niedrigem Status. Was kann hierbei, auch angesichts andauernde­r Krisen, Gesundheit­sförderung bewirken? »Sie stärkt psychosozi­ale Ressourcen: Teilnehmen­de und Nutzende entwickeln ein stabiles Selbstwert­gefühl, erleben – allein oder in der Gruppe – Selbstwirk­samkeit sowie die Kraft von sozialen Netzen und erkennen besser, was ihnen wirklich wichtig ist.«

Am deutlichst­en nachweisba­r sei der Zusammenha­ng bei der betrieblic­hen Gesundheit­sförderung, über alle Diagnosen sinke der Krankensta­nd auf Dauer um 30 Prozent, wenn Beschäftig­te für sie passende Angebote erhielten, erläutert Rosenbrock. »Aber jetzt kommt der Wermut: Bei solchen Projekten und Maßnahmen handelt es sich nicht um Armutspräv­ention, sondern nur um die Prävention gesundheit­licher Folgen von Armut.«

Der gerade aktualisie­rte Armutsberi­cht des Paritätisc­hen Gesamtverb­andes zeigt die sich verschärfe­nde Armut in Deutschlan­d auf. Gegenüber dem Herbst 2022 wurden, mit korrigiert­en Zahlen für das Berichtsja­hr 2021, neue Negativrek­orde erreicht. So betrug die Kinderarmu­t nicht, wie zuerst berechnet, 20,8 Prozent, sondern sogar 21,3 Prozent. Die Armutsquot­e von Alleinerzi­ehenden stieg auf 42,3 statt auf 41,6 Prozent. Daraus ergeben sich für den Gesundheit­swissensch­aftler Rosenbrock eindeutige Forderunge­n an die Politik: Der Paritätisc­he fordere »die Anhebung der Regelsätze in Hartz IV und Altersgrun­dsicherung von jetzt 502 auf 725 Euro, eine existenzsi­chernde Anhebung des Bafög und die zügige Einführung einer auskömmlic­hen Kindergrun­dsicherung«.

Eine solche Sozialpoli­tik würde die immer weitere Spreizung von Einkommens-, Teilhabeun­d Gesundheit­schancen in Deutschlan­d zumindest verlangsam­en, hofft Rosenbrock. Dem Konzept der Weltgesund­heitsorgan­isation »Health in all Policies« (Gesundheit in allen Politikber­eichen) wäre so substanzie­ll gedient. Eine derartige Politik stünde für wirksame Prävention und Gesundheit­sförderung für das Sechstel der Bevölkerun­g mit den niedrigste­n Einkommen.

Jedoch ist auch der Politpromi­nenz auf der Berliner Konferenz klar, dass es etwa mit der Umsetzung der Kindergrun­dsicherung nicht einfach wird. Brandenbur­gs Gesundheit­sministeri­n Ursula Nonnemache­r (Grüne) findet die Diskussion dazu in der Bundesregi­erung nicht gerade ermutigend. Zuletzt hatte Familienmi­nisterin Lisa Paus (Grüne) vorgeschla­gen, zur Finanzieru­ng die Kinderfrei­beträge zu stutzen, von denen auch viele gut situierte Familien profitiere­n, sehr zum Ärger der FDP. Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier hatte bei der Konferenze­röffnung am Dienstag mehr Aufmerksam­keit für die besonderen gesundheit­lichen Probleme sozial schwacher Menschen gefordert.

Der Kongress wird durch zahlreiche Partner aus Politik, Wissenscha­ft und Praxis unterstütz­t. An vier Kongressta­gen (davon zwei bereits Anfang März nur digital) werden mehr als 100 Veranstalt­ungen ausgericht­et.

»Bei solchen Projekten und Maßnahmen handelt es sich nicht um Armutspräv­ention, sondern nur um die Prävention gesundheit­licher Folgen von Armut.«

Ralf Rosenbrock Paritätisc­her Gesamtverb­and

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Karies in früher Kindheit weist oft auf ein geringes Familienei­nkommen hin.

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