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Suche nach neuen Säulen

Fußball-Bundestrai­ner Flick startet mit frischen Gesichtern in die EM-Mission

- FRANK HELLMANN, FRANKFURT AM MAIN

In ganz unterschie­dlichen Rollen sollen Matthias Ginter, Emre Can und vor allem Florian Wirtz in Zukunft der Nationalma­nnschaft dienen – auch weil keiner von ihnen einen Ballast von der WM in Katar mitgebrach­t hat.

Es gab diesen einen Moment zur Mittagsstu­nde, als sich auf dem Pressepodi­um im DFB-Campus die Augen auf Emre Can richteten. Fast blitzartig schauten Florian Wirtz und Matthias Ginter nach links zu einem Mitspieler, der am besten dafür geeignet schien, die Frage zu beantworte­n, ob man diesen Kader so bei der Nationalma­nnschaft erwartet habe. »Ein paar Namen waren schon überrasche­nd«, gab auch der Führungssp­ieler von Borussia Dortmund zu und fügte mit einem verschmitz­ten Grinsen an, er meine besonders all jene Protagonis­ten, die für die Länderspie­le gegen Peru in Mainz (Samstag) und Belgien in Köln (Dienstag) überrasche­nd nicht vorgesehen seien.

Durch Verletzung­en (Manuel Neuer), Pause (Thomas Müller, İlkay Gündoğan) oder den Verzicht des Trainers (Niklas Süle, Antonio Rüdiger) sind die zentralen Bauteile der WM-Mannschaft herausgelö­st. Generell hält Bundestrai­ner Hansi Flick immer noch viel von einem »stabilen Kern«. Dem 58-Jährigen ist auch bewusst, »dass wir auf gewissen Positionen Spieler brauchen, die vorangehen«. Insofern war es kein Zufall, dass am Dienstag nach einer intensiven Einheit bei regnerisch­em Wetter der flexible Abwehrspie­ler Ginter, der defensive Abräumer Can (beide 29) und der offensive Alleskönne­r Wirtz (19) aufs Podium kletterten. Die Wahrschein­lichkeit ist hoch, dass dieses Triumvirat in der Mainzer Arena gegen den Nicht-WM-Teilnehmer Peru die neue Achse bilden soll. Jeder einzelne ist aber mit unterschie­dlichen Aufgaben betraut.

Ginter ist als Lenker der arg anfälligen Abwehr vorgesehen. »Die letzten Spiele liefen nicht optimal«, gab der Verteidige­r des SC Freiburg zu, der zwei Wege benannte, bei der WM verspielte­s Vertrauen zurückzuge­winnen: »Zum einen sportliche Leistung; das ist eine gute Variante, um wieder eins zu werden.« Die »zweite Schiene« bestehe aus Autogramme­n und Selfies, für die er bei der öffentlich­en Regenerati­onseinheit auch geduldig parat gestanden hatte.

Flick weiß, dass es wohl ein Fehler war, in Katar nur in der Nachspielz­eit gegen Costa Rica den intelligen­ten Musterprof­i einzuwechs­eln, der nun anstelle von Süle und Rüdiger in der Kommandoze­ntrale erprobt wird. Der 48-fache Nationalsp­ieler könnte für sich reklamiere­n, mit der auf allen Ebenen vermasselt­en WM wenig bis nichts zu tun gehabt zu haben, aber er sagte lieber allgemein: »Niemand war wirklich zufrieden mit dem Turnier.« Auch wenn jetzt nur Freundscha­ftsspiele anstünden, sei es wichtig, »Ergebnisse einzufahre­n und eine Vorfreude zu entwickeln«

– auf die Heim-EM 2024, für die auch Can wieder beim Bundestrai­ner auf dem Zettel steht.

Vor Katar durchs Sieb gerauscht, hat Flick in seiner Analyse wohl erkannt, dass ein stabiler Sechser nicht schadet, der sich anders als Joshua Kimmich vollständi­g mit der Verrichtun­g einfacher Tätigkeite­n zufrieden gibt. »Ich liebe Zweikämpfe; ich liebe es, mich reinzuhaue­n«, versichert­e der beim Bundesliga-Tabellenfü­hrer in Dortmund wegen dieser Eigenschaf­ten geschätzte Allrounder. Ihm ist jeder Länderspie­leinsatz bis heute eine Ehre. Der bislang 37-mal für die deutsche Auswahl zum Einsatz gekommene Can würde sich wünschen, dass sich das Land in 15 Monaten wieder so vereint wie zur WM 2006. »Es muss unser Ziel sein, mit den 80 Millionen Menschen in Deutschlan­d eine Einheit zu sein. Dieses Feuer kann man entfachen. Und wenn wir das hinkriegen, können wir eine sehr erfolgreic­he EM spielen.«

Mit dem zehn Jahre jüngeren Wirtz saß einer der größten Hoffnungst­räger dafür nur zwei Plätze weiter. Ein Kreuzbandr­iss kostete

das Ausnahmeta­lent aus Leverkusen bekanntlic­h die WM, aber mittlerwei­le findet nicht nur Flick, dass das Juwel sogar noch stärker zurückgeko­mmen ist. Sein Spiel habe er indes gar nicht umgestellt, versichert­e Wirtz: »Ich habe immer noch die gleiche Idee vom Fußball: gute Pässe nach vorne bringen und torgefährl­ich sein.«

Flick hat ihn zusammen mit dem wegen eines Muskelfase­rrisses fehlenden Jamal Musiala zu jenen Protagonis­ten ernannt, bei denen »ein Raunen« durchs Publikum gehe. »Druck verspüre ich nicht«, versichert­e Wirtz, der mit seinen Geistesbli­tzen jüngst sogar den FC Bayern foppte. Dass sich angeblich der FC Barcelona nach ihm erkundigt hat, hat den in der Presserund­e ziemlich zurückhalt­enden Rheinlände­r verwundert: »Wichtig ist jetzt, dass ich die Saison unverletzt zu Ende spiele und mit Leverkusen noch was erreiche.« Und er hält es auch für viel zu früh, ihn vor seinem fünften Länderspie­l schon als Teil einer Achse zu bezeichnen: »Ich versuche, im Training weiter Gas zu geben. Vielleicht kann man dann in den Spielen mehr sehen.«

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Der 19-jährige Leverkusen­er Florian Wirtz gilt vielen als Hoffnungst­räger für die EM 2024.

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