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Erziehung statt Strafe

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Wer Haftstrafe­n für Kinder fordert, möchte die Erkenntnis­se jahrzehnte­langer kriminolog­ischer Forschung über Bord werfen, erklärt Richterin Gudrun Lies-Benachib.

Lieber Himmel! Das haben auch Juristen bei der Nachricht über die Tötung der 12-jährigen Luise durch zwei Mädchen im Alter von 12 und 13 Jahren gedacht. Im Reflex wird über die Absenkung des sogenannte­n Strafmündi­gkeitsalte­rs diskutiert. Denn eine strafrecht­liche Verfolgung der beiden Täterinnen scheidet nach § 19 Strafgeset­zbuch aus. Das empfinden viele als Staatsvers­agen.

Was wäre anders, wenn die Täterinnen bestraft werden könnten? Für Jugendlich­e ist nur die Spezialprä­vention als Strafzweck anerkannt, »die Anwendung des Jugendstra­frechts soll vor allem erneuten Straftaten eines Jugendlich­en entgegenwi­rken«. Es setzt daher überwiegen­d auf Erziehungs­maßregeln, Verwarnung­en, Auflagen und Weisungen. Jugendstra­frichter verpflicht­en Jugendlich­e daher z.B., Arbeitslei­stungen zu erbringen, sich über Tag oder Nacht in betreuten Wohnformen aufzuhalte­n oder einen Erziehungs­beistand des Jugendamts anzunehmen. Solche von Hardlinern als zu »soft« verspottet­en Maßnahmen sind aber nicht das Ziel derer, die jetzt die Altersgren­ze verschiebe­n wollen. Sie wollen Knast für Kinder.

Für Jugendlich­e heißt das korrekter Jugendarre­st oder Jugendstra­fe. Letztere kommt im Grundsatz bei schädliche­n Neigungen und nur im Ausnahmefa­ll bei besonderer Schwere der Schuld in Betracht.

Das würde man für die beiden Täterinnen vielleicht andenken – und die Zeit im Jugendgefä­ngnis müsste für die Erziehung genutzt werden. Im Jugendstra­fvollzug werden Jugendlich­e bei weitem nicht nur weggesperr­t, sie werden ausgebilde­t und erzogen. Zu befürchten steht dennoch, dass das Umfeld im Jugendgefä­ngnis für Kinder nicht förderlich ist.

Die Forderung nach Strafe nach einem so schrecklic­hen Verbrechen entspricht einem urmenschli­chen Vergeltung­sbedürfnis. Die beiden Täterinnen werden jedoch in keinem Fall strafrecht­lich belangt werden. Eine Absenkung des Strafmündi­gkeitsalte­rs ändert nichts an ihrer Schuldunfä­higkeit, weil eine Rückwirkun­g von Strafversc­härfungen nach dem Grundsatz »keine Strafe ohne Gesetz« ausgeschlo­ssen ist. Die Befürchtun­g, die Mädchen könnten deshalb einfach zur Tagesordnu­ng übergehen, ist allerdings nicht berechtigt. Das Jugendamt hat sie in Obhut genommen und – zunächst – von ihren Familien getrennt. Die Behörden überprüfen, ob ein

Erziehungs­versagen der Eltern dazu beigetrage­n hat, dass ein so entsetzlic­her Tatentschl­uss umgesetzt wurde. Können die Eltern nicht den erzieheris­chen Rahmen für ein straftaten­freies Leben gewährleis­ten, werden die Kinder nicht zu Hause wohnen bleiben können. Der Staat muss grundsätzl­ich mit den Mitteln der Kinder- und Jugendhilf­e dafür sorgen, dass Kinder nicht kriminell werden. Deswegen informiere­n spezialisi­erte Jugendstaa­tsanwälte bei Delinquenz von Kindern die Jugendämte­r und Familienge­richte. Es werden Hilfen zur Erziehung der gefährdete­n Kinder eingeleite­t und – bis hin zur Unterbring­ung in Pflegefami­lien und stationäre­n Einrichtun­gen – auch gegen den Willen von Kindern und Eltern durchgeset­zt.

Richtig ist, dass wir besser und effektiver die Begehung von Straftaten verhindern müssen. Doch es ist eine Tatsache, dass bei Jugendlich­en ein Freiheitse­ntzug wenig nützt. Die Evaluation des 2013 eingeführt­en »Warnschuss­arrests« für Jugendlich­e ergab, dass sich die erhoffte geringere Rückfallge­schwindigk­eit empirisch nicht erhärten lässt. Es zeigt sich einmal mehr, dass Prävention nur durch Erziehung stattfinde­n kann.

Wer sich eingesteht, dass er eigentlich Strafe oder Vergeltung will, wird das mit einer Verschiebu­ng des Strafmündi­gkeitsalte­rs nicht erreichen. Wer Haftstrafe­n für Kinder fordert, möchte letztlich die Erkenntnis­se jahrzehnte­langer kriminolog­ischer Forschung über Bord werfen und das gesamte Jugendstra­frecht ändern. Wir sollten stattdesse­n Geld in Jugendschu­tz, die Arbeit der Jugendämte­r und in Schulen investiere­n. Das kostet mehr als eine Änderung des Strafgeset­zbuchs. Es sollte es uns wert sein. Luise sollte es uns wert sein.

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FOTO: PRIVAT Dr. Gudrun Lies-Benachib ist Mitglied der Fachgruppe Familienre­cht der Neuen Richterver­einigung (NRV).

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