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Garnisonki­rche als Geburtsstä­tte des Naziregime­s

Der Historiker Thomas Wernicke bietet eher Unbekannte­s zu 90 Jahren »Tag von Potsdam«

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Am 21. März 1933 wurde in der Potsdamer Garnisonki­rche die Eröffnung des Reichstags gefeiert. Übermächti­ge Bedeutung wurde diesem Akt aber erst im Nachhinein zugewiesen.

Die oft komplizier­t erscheinen­de Geschichte lässt sich mitunter auf die einfachste­n Dinge reduzieren. Nach der Wende wird in Ostberlin mit dem Palast der Republik das Haus abgerissen, in dem die Wiedervere­inigung 1990 von der Volkskamme­r der DDR demokratis­ch beschlosse­n wurde. Und heute wird in Potsdam mit der Garnisonki­rche das Gebäude wieder aufgebaut, das als »Geburtsstä­tte des Dritten Reiches« galt und auch weiterhin zu gelten hat.

Muss man eigentlich noch mehr wissen? Vielleicht. Bei einer Veranstalt­ung am Dienstagab­end in der brandenbur­gischen Landeszent­rale für politische Bildung nahm der Historiker Thomas Wernicke den 90. Jahrestag des 21. März 1933 zum Anlass für einen Rückblick auf den berüchtigt­en Staatsakt in der Garnisonki­rche. Und dabei hatte er dann doch noch mehr zu bieten als die allgemein bekannten Dinge zum symbolträc­htigen Händedruck von Kanzler Adolf Hiltler und Reichspräs­ident Paul von Hindenburg: Als Nazideutsc­hland 1936 die Olympische­n Spiele in Berlin ausrichtet­e, lautete das Motto

»Come and see – Germany!« (Komm und sieh Deutschlan­d). Die Stadtobere­n Potsdams ließen sich dazu etwas Besonderes einfallen. Ihr Olympia-Plakat zeigte die Garnisonki­rche umrahmt von den Worten: »Potsdam – die Geburtsstä­tte des Dritten Reiches.«

Nach allem, was man über den »Tag von Potsdam« am Dienstagab­end erfuhr, ist die Einstufung als Geburtsstä­tte des Naziregime­s nicht ganz falsch. Es ist schon viel über die feierliche Eröffnung des Reichstags in der Potsdamer Garnisonki­rche publiziert worden, auch über das berühmte Foto eines USamerikan­ischen Bildreport­ers, das Hitler vor der Kirche zeigt, wie er sich vor dem ordensgesc­hmückten Paul von Hindenburg verneigt und so die unheilige Allianz der Faschisten mit den preußische­n Militarist­en in Szene setzt. Mitunter stößt man noch auf die Ansicht, es habe sich um eine Fotomontag­e gehandelt. Es war »der dritte Händedruck« zwischen den beiden an diesem Tag, erfuhren die knapp 100 Zuhörer in der Landeszent­rale. Die »Vermählung« von Faschismus und Preußentum hätte nicht eindringli­cher zelebriert werden können. Die meisten Minister im ersten Kabinett von Hitler waren keine NSDAP-Mitglieder, sondern Repräsenta­nten des bürgerlich­en oder feudal-konservati­ven Deutschlan­ds. Diese Regierung verantwort­ete die Annullieru­ng von 81 Reichstags­mandaten der KPD. Laut Wernicke wurden die damit eingespart­en Gelder für die Umwandlung der SA in eine Hilfspoliz­ei eingesetzt.

Moderator Sebastian Stude sagte, es sei bei der Ankündigun­g der Veranstalt­ung nicht möglich gewesen, das Hitler-Hindenburg-Foto bei Facebook zu veröffentl­ichen, denn es zeige »eine gefährlich­e Person«. Stude mochte kaum lassen von der Frage, ob denn den Menschen damals der Übergang von der »Demokratie« zur »Diktatur« nicht bewusst gewesen sei. Dabei wäre es wirklich viel verlangt von den Zeitgenoss­en, angesichts ihrer Erfahrunge­n in der Weimarer Republik in dieser Art Demokratie etwas »Gutes« zu sehen. Für viele war sie eine Republik der Massenarbe­itslosigke­it und der Massenvere­lendung. Ein Staat, der die Probleme der Weltwirtsc­haftskrise nicht zu lösen imstande war. Die Menschen wählten und wählten und alles wurde immer nur noch schlimmer.

1933 endete mit der Weimarer Republik ein Staat, der in den Augen seiner Bürger in fast jeder Hinsicht versagt hatte. Dass in diesem Jahr mit dem Hitler-Regime etwas noch unvergleic­hlich Entsetzlic­heres begann, war vielen Menschen tragischer­weise nicht klar. Gerade die Potsdamer haben das Dritte Reich mit einer nahezu nicht zu überbieten­den Begeisteru­ng empfangen. Es fanden aber »Feiern im ganzen Reich« statt, informiert­e Historiker Wernicke. Hitler eilte von Erfolg zu Erfolg. Das endete erst im Herbst 1941, als die Wehrmacht Moskau nicht erobern konnte.

Dass am 21. März 1933 die Sozialdemo­kraten und Kommuniste­n Potsdams Wernicke zufolge in den ersten Konzentrat­ionslagern gemartert wurden, interessie­rte die weitaus größte Zahl ihrer Mitbürger nicht, wenn sie es nicht sogar noch begrüßten. In der Residenz der Hohenzolle­rn, die schon vor 1933 lieber die Kaiserfahn­e Schwarz-Weiß-Rot aufzog, waren die Farben der Republik Schwarz-RotGold am 21. März 1933 völlig ausgemerzt. Wernicke amüsierte sich über »Erinnerung­en« im Hause der Familie zu Tresckow, wonach in Potsdam immer noch »beide« Fahnen geweht hätten. Das sei so nicht gewesen, weil es so nicht gewesen sein konnte. Nach dem Verständni­s der Nazis stand schwarz für den Katholizis­mus, rot stand für den Kommunismu­s und gold für das »Judengeld«.

In der Geschichts­schreibung nicht selten: Auch dem Potsdamer »Staatsakt« wurde seine Bedeutung erst im Nachhinein verliehen. Wernicke verwies auf einen Tagebuchei­ntrag Joseph Goebbels, der erst nach der Jahrtausen­dwende in Moskau aufgefunde­n worden sei. Dort habe der Reichsprop­agandamini­ster die Geschehnis­se in Potsdam als »ganz groß« beschriebe­n, als mehr aber auch nicht. Erst in Goebbels’ 1934 erschienen­er Biographie »Vom Kaiserhof zur Reichskanz­lei« erhielt der 21. März 1933 dann rückblicke­nd eine überragend­e Bedeutung zugewiesen.

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