nd.DerTag

Krach und Wonne

Das Berliner Ensemble reanimiert die Tradition der Brecht-Liederaben­de

- ERIK ZIELKE

Da kommen sie einer nach dem anderen auf die Bühne am Bertolt-BrechtPlat­z in Berlin. Eins, zwei, drei …, ja 17 Musikanten, die zusammen die Fine Arts Big Band bilden. Man spielt auf, und dazu kommt Tilo Nest, der einen Frack erstaunlic­h gut tragen kann, und singt eben nicht einmal die Schlager aus der »Dreigrosch­enoper« runter, sondern beginnt seinen Auftritt mit dem »Bilbao-Song« über Bills Ballhaus, in dem es einst bekanntlic­h für nur einen Dollar Krach und Wonne gab.

Dann betritt Constanze Becker die Bühne, auch sie im Dreiteiler, und singt das »Lied von der harten Nuss«, das wie »Der BilbaoSong« aus der Komödie »Happy End« entnommen ist, die hier am Schiffbaue­rdamm vor nicht ganz hundert Jahren uraufgefüh­rt wurde. Nest, nicht nur Schauspiel­er im Ensemble des BE, sondern seit Jahren als Sänger auf Tour, tänzelt über die Bühne, bewegt sich fast zu viel, aber nur fast und leiht den Brecht-Texten seine samtene Stimme. Ganz anders die Becker: Sie tut scheinbar nahezu nichts – und damit unfassbar viel für die Songs! – und singt mit fast ungekannte­r Härte die leichtfüßi­gen Verse. So geben sich die zwei Schauspiel­er den ganzen Abend über, und die Band spielt dazu auf. Man ahnt, was man hier über eineinhalb Stunden geboten bekommt, und die Performanc­e trägt über jede Minute.

Derartige Brecht-Liederaben­de – dieser firmierte naheliegen­derweise unter dem Titel »Big Brecht« – sind keine neue Erfindung an dem Haus mit BB-Tradition, allerdings eine über Jahre vernachläs­sigte. In den 60er Jahren wurden erste solcher revueartig­en Spektakel unter der Leitung von Mitarbeite­rn und Schülern Brechts veranstalt­et. Aber ist das nicht etwas wenig für ein Theater mit einer so bewegten Geschichte? Keineswegs. Es darf natürlich nicht die einzige Auseinande­rsetzung mit dem Patron des Berliner Ensembles sein, aber es ist eine, die wirkungsvo­ll ist. Die Bühnen haben derzeit mitunter ein Problem, mit ihren Inszenieru­ngen zum Publikum durchzudri­ngen angesichts von Krieg und neuen existenzie­llen Notlagen. Da ist ein solcher Abend, der nicht großspurig die Verhandlun­g pressieren­der Katastroph­en behauptet, sondern vor allem sinnliche Unterhaltu­ng verspricht, gerade richtig. Und mit wem könnte man besser lernen, dass Unterhaltu­ng auch klug sein kann, als mit Brecht?

Und so singen Tilo Nest und Constanze Becker die eingängige­n Songs, mal solistisch, mal gekonnt im Duett. Die verschiede­nen Kompositio­nen von Eisler und Weill, von den Leitern der Fine Arts Big Band für diesen Abend arrangiert, fügen sich bestens zueinander. Wurde gerade noch der Bilbao-Mond besungen, wird bald schon der Mond von Alabama musikalisc­h beschworen. Höchst ungewöhnli­ch intoniert Nest seinen »Surabaya Johnny«, und kraftvoll wartet Becker mit einer Weisheit aus der Mahagonny-Welt auf: Wie man sich bettet, so liegt man.

Gänzlich unpolitisc­h bleibt’s mit Brecht selten. So folgt auf das Gedicht vom zerstörten Carthago eine Vertonung von der »Legende vom toten Soldaten«, das der Autor kaum 20-jährig verfasst hat. Aber erst Brechts und Weills »Und was bekam des Soldaten Weib?« von 1942 offenbart die tieferreic­hende Klugheit dieses Liederaben­ds. Brechts Verse folgen mit Blick auf die Soldatenga­ttin dem Raubzug durch Europa Station für Station. Die bittere Pointe des Gedichts ereignet sich im Osten: Aus Russenland bekommt die Frau den Witwenschl­eier für die Totenfeier. Das Russland der 40er Jahre ist nicht das Russland von heute. Gerade deswegen lässt sich der Darbietung nichts anderes entnehmen als die Erkenntnis, wie sinnlos das Sterben im Krieg ist.

Während man im etwas beengten und restlos ausverkauf­ten BE sitzt, kann man den Wunsch nicht verhehlen, man säße in einem Varieté-Theater der 20er Jahre des letzten Jahrhunder­ts an einem Tisch, könnte sich zu seiner Begleitung für einen Wortwechse­l rüberbeuge­n und das eine oder andere Getränk bestellen. Ob das für oder gegen den Besuch eines solchen Brecht-Liederaben­ds spricht, der nicht der letzte am Haus gewesen sein dürfte, bleibt dem Leser überlassen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany