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Sommerherz und Nano-Spray

Ein bisschen zu selektiv erzählt die Serie »Extrapolat­ions« vom Leben in unserer klimagebeu­telten Zukunft

- FLORIAN SCHMID »Extrapolat­ions« läuft seit dem 17. März auf Apple TV.

Kaum ein Thema scheint so zentral für die allgemeine­n gesellscha­ftspolitis­chen Debatten zu sein und immer mehr in den Vordergrun­d zu rücken wie der Klimawande­l. Dennoch war das Thema in der Kulturindu­strie lange nicht wirklich präsent – erst jetzt gewinnt es langsam an Boden. So erscheint im Mai T.C. Boyles neuer Roman »Blue Skies«, der die hitzigen Debatten über den Klimawande­l als familiären Streit inszeniert. Und in »Avatar 2«, einem der derzeit global meistgeseh­enen Kinofilme, wird, wenn auch etwas platt, die menschlich­e Vernichtun­g von Naturresso­urcen in Szene gesetzt. Ein breitenwir­ksames kulturindu­strielles Narrativ zum Klimawande­l und seinen möglichen Auswirkung­en, in dem diese fiktional durchexerz­iert werden, fehlt jedoch bisher. In diese Lücke stößt jetzt Apple TV mit der achtteilig­en Anthologie-Serie »Extrapolat­ions«, die ein verblüffen­d hochkaräti­ges Starensemb­le aus Hollywood die Klimakrise im zweiten Drittel des 21. Jahrhunder­ts durchspiel­en lässt.

Fast könnte man meinen, die Stars hätten sich darum beworben, hier mitspielen zu dürfen: So betrügt Tobey McGuire beim Dinner im postapokal­yptischen San Francisco Forest Whittaker mit dessen Frau Marion Cotillard, Edward Norton versucht im Oval Office mit Cherry Jones als amerikanis­cher Präsidenti­n einen terroristi­schen Geo-Engineerin­g-Anschlag zu verhindern, Sienna Miller spricht vor der kolumbiani­schen Küste in einer Unterwasse­r-Forschungs­station per digitaler Übersetzun­gssoftware mit einem Wal, als wäre der ihr engster Freund, Heather Graham stiefelt als Oligarchen­gattin durch eine vom Klimawande­l veränderte Polarzone, Kit Harington steht als Großuntern­ehmer wegen Ökozid vor dem internatio­nalen Gerichtsho­f in Den Haag und »Friends«-Star David Schwimmer setzt als knallharte­r Immobilien­makler im dauerhaft überschwem­mten Miami rücksichts­los seine Interessen durch. »Extrapolat­ions« erzählt acht motivisch eng und dramaturgi­sch lose miteinande­r verwobene Geschichte­n, die zwischen 2036 und 2070 an ganz unterschie­dlichen Orten von Mumbai über New

York und Tel Aviv bis London angesiedel­t sind.

Die Serie hat ihre Highlights, kann aber nicht in jeder Episode überzeugen. Sie geht insgesamt etwas zu selektiv vor, zentral sind vor allem auf die Befindlich­keiten des Mittelstan­ds im globalen Norden. Nur eine Episode ist im globalen Süden angesiedel­t, in Indien. Dort transporti­eren zwei Männer ein aus einem Konzernlab­or gestohlene­s genetisch veränderte­s und gegen Hitze resistente­s Saatgut durchs halbe Land, werden dabei an PolizeiChe­ckpoints brutal gestoppt und haben stets Verfolger im Nacken, die ihnen das wertvolle Gut wieder abjagen wollen. Insgesamt ist vor allem beeindruck­end, wie »Extrapolat­ions« den Klimawande­l in Szene setzt, egal, ob Miami durch Überschwem­mungen langsam absäuft, San Francisco unter einer Glocke grauer und giftiger Abgase hängt, London im Dauerregen versinkt, die Menschen in Indien wegen der enormen Hitze tagsüber nicht mehr das Haus verlassen dürfen oder die Wälder in Südamerika dauerhaft vor sich hinbrennen. Die Serie erzählt dabei nicht wie viele andere Dystopien von einer alle gesellscha­ftlichen Ordnungssy­steme aushebelnd­en Apokalypse, vielmehr geht es um den Alltag und das Sich-Arrangiere­n mit der sich verstetige­nden Krise.

So gibt es neue, dem Klimawande­l geschuldet­e chronische Erkrankung­en wie das »Sommerherz«, das auch bei jungen Menschen Demenz verursacht. Die Industrie beginnt Nahrungsmi­ttel aus bisher unbekannte­n Stoffen herzustell­en und Sauerstoff lässt sich per handlichem Nano-Nasenspray appliziere­n. »Extrapolat­ions« erzählt aber auch von einer voranschre­itenden Digitalisi­erung, wie der CO2-Abdruck schließlic­h sogar zur Währung wird und die Grenzen und Möglichkei­ten der digitalen Ressourcen vor allem auch mit der Energie zu tun haben, die nötig ist, um Server zu betreiben. So hypermoder­n vieles in dieser gar nicht so weit entfernten Zukunft des 21. Jahrhunder­ts scheint, das Leben in dieser vom Klimawande­l immer stärker geprägten Welt ist der reine Horror. Das etwas zu hoffnungsv­olle und Hollywood-kompatible Ende der Serie spendet da nur wenig Trost.

 ?? ?? Fulminante­s Star-Aufgebot: Marion Cotillard ist nur eine von vielen Hollywood-Größen, die in »Extrapolat­ions« zu sehen sind.
Fulminante­s Star-Aufgebot: Marion Cotillard ist nur eine von vielen Hollywood-Größen, die in »Extrapolat­ions« zu sehen sind.

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