Deutschlandtempo für die Autobahn
Ampel-Beschlüsse weichen das Klimaschutzgesetz auf
Mehr als 30 Stunden tagte der Koalitionsausschuss von SPD, Grünen und FDP. Mit seinen Beschlüssen werden Klima- und Verkehrswende blockiert. Und die Grundsicherung für Kinder war offenbar gar kein Thema.
Nach langen Verhandlungen haben sich SPD, Grüne und FDP auf Änderungen beim Klimaschutz sowie in der Verkehrspolitik und im Streit um die Wärmewende verständigt. Vom versprochenen Fortschritt ist wenig zu sehen.
Wenn am Morgen nach der mühsam erzielten Einigung bereits unhörbar Zweifel am Erreichten anklingen, was sagt das dann über die ausgehandelten Kompromisse aus? Grünen-Chefin Ricarda Lang lobte am Mittwoch in Interviews die Ergebnisse des Koalitionsausschusses, echte Begeisterung ist allerdings nicht herauszuhören. Im Deutschlandfunk spricht die Parteivorsitzende fast pflichtschuldig über die erzielten Fortschritte, dann aber ebenso von einem »schweren Kompromiss, der auch wehtut« und stellt schließlich klar: »Das, was wir beschlossen haben, das reicht noch nicht.« Weniger um diplomatische Töne bemüht äußern sich manche Grüne, die nicht direkt Teil der Ampel-Koalition sind. »Als junger Mensch möchte ich zum gestrigen Koalitionsausschuss betonen: Ich bin entsetzt, wie offensichtlich scheiß egal SPD und FDP der Klimaschutz ist – und damit auch meine Zukunft und künftiger Generationen. Olaf Scholz und Christian Lindner versagen beim Klimaschutz«, twitterte Timon Dzienus, CoBundessprecher der Grünen Jugend.
Tatsächlich ist es teils extrem erklärungsbedürftig, was SPD, Grüne und FDP am Dienstagabend der Öffentlichkeit als »Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung« präsentierten. Umweltund Naturschutzverbände zerreißen die Einigung tags darauf in der Luft, ihre Kritik klingt vernichtend, es ist von politischen Rückschritten die Rede.
Besonders große Empörung löst die geplante Änderung des Klimaschutzgesetzes aus. In der aktuell geltenden Fassung muss jeder Sektor, also etwa Energie, Gebäude und Verkehr, eigene Vorgaben für die Reduzierung des CO2-Ausstoßes einhalten. Einzelne Bereiche tun sich mit den vereinbarten Klimazielen jedoch extrem schwer, ganz besonders der Verkehrssektor, der in die Zuständigkeit von Bundesminister Volker Wissing (FDP) fällt. Daran dürfte sich auch in Zukunft wenig ändern, denn künftig soll die Einhaltung der Klimaschutzziele »anhand einer sektorübergreifenden und mehrjährigen Gesamtrechnung überprüft werden«. Übersetzt heißt das: Übt sich Wissing in Arbeitsverweigerung beim Klimaschutz, sollen mögliche Fortschritte in anderen Bereichen die Bilanz ausgleichen. Erst wenn alle Sektoren zusammen zwei Jahre hintereinander das vereinbarte Gesamtsziel verfehlen, sieht die Koalition Handlungsbedarf. Dann müssen die Ministerien weitere Vorschläge erarbeiten, wie sie die CO2-Ziele bis 2030 doch noch erreichen können.
»Was die Ampelparteien im Koalitionsausschuss beschlossen haben, ist ein Frontal-Angriff auf das Klimaschutzgesetz«, kommentiert der Geschäftsführer des WWF Deutschland, Christoph Heinrich, die vorgestellten Ergebnisse.
Die Bundesregierung habe »ihren Fortschrittsanspruch aufgegeben«, die vorgesehene Schwächung der Sektorziele sei »absolut inakzeptabel«, so Heinrich. Ähnlich drastisch fällt die Einschätzung vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) aus. »Das aktuelle Klimaschutzgesetz wird weichgespült. Wir halten diese Entscheidung für falsch«, so der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt. Greenpeace-Vorstand Martin Kaiser urteilt: »Dieser Ampel-Marathon bringt für den Klimaschutz viel zu wenig, an wichtigen Stellen wirft er ihn sogar zurück.«
Einig sind sich die drei Verbände darin, wer aus ihrer Sicht die Hauptverantwortung für das Verhandlungsergebnis trägt. »Zwei Wochen nach der drastischen Warnung des Weltklimarates ist vom selbsternannten ›Klimakanzler‹ keine Spur«, meint Bandt. Greenpeace wirft Olaf Scholz vor, den »größten klimapolitischen Erfolg seiner Partei, das Klimaschutzgesetz« entkernt zu haben. Tatsächlich hatte die SPD im Bundestagswahlkampf 2021 auf ein Plakatmotiv mit Scholz geschrieben, er wolle »Kanzler für Klimaschutz« sein.
Wie sehr sich die SPD von diesem Versprechen inzwischen entfernt hat, zeigen weitere Beschlüsse aus dem Koalitionsausschuss. Beispiel Verkehrspolitik: War bisher angedacht, die Planungsverfahren für Infrastrukturprojekte im Bereich der Energiewende zu beschleunigen, soll dieses Ziel künftig auch für den Schienenverkehr sowie eine »eine eng begrenzte Zahl« an Fernstraßen gelten. Dazu zählen Bundesstraßen und Autobahnen. Um wie viele Projekte es im Bereich Straßenbau konkret geht, lässt das Ergebnispapier offen. Eine Größenordnung nennt aber Bundesjustizminister Marco Buschmann. Auf Twitter schrieb der FDP-Politiker von einer »ultraschnellen Planung und Genehmigung von 144 Autobahnprojekten«, worunter zum Beispiel auch ein Lückenschluss der Autobahn A52 zwischen Gelsenkirchen und Essen falle, die durch Buschmanns Wahlkreis verläuft.
Die Grünen indes versuchen, besonders zwei Punkte aus dem Beschlusspapier als Fortschritt zu verkaufen: Es solle »kein Kilometer Autobahn mehr geplant werden, ohne die Möglichkeiten der Erzeugung erneuerbarer Energien auszuschöpfen«, heißt es. Konkret ist die Rede davon, Photovoltaikanlagen entlang von Autobahnen und Bahnstrecken zu errichten, beim Neubau von Autobahnen soll dies verpflichtend sein. Noch gewichtiger ist eine Einigung hinsichtlich des Ausbaus und der Erneuerung des Schienennetzes. Ab 2024 soll die Maut für Lastkraftwagen um eine CO2-Komponente erweitert werden, deren Einnahmen nicht in den Straßen- sondern den Gleisbau fließen sollen. Emissionsfreie
Lkw sind von der Abgabe zunächst gar nicht, später nur teilweise betroffen. »Damit durchbrechen wir den von Schwarz-Gelb 2011 eingeführten Zwang, Mautgelder nur in Straßenbau zu investieren«, betont die Grünen-Haushaltsexpertin Paula Piechotta.
Zu einem unter das Stichwort Wärmewende fallenden und seit Wochen heftig diskutierten Vorhaben findet sich im 16-seitigen Beschluss des Koalitionsausschusses nur vages. Eine zunächst geplante Austauschpflicht für alte Öl- und Gas-Heizungen scheint endgültig vom Tisch zu sein, in dem Papier heißt es lediglich, »dass ab dem 1. Januar 2024 möglichst jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit Erneuerbaren Energien betrieben werden soll«. Das dazugehörige Gesetz soll im April vom Kabinett beschlossen werden, ausdrücklich heißt es, die Regelung solle »pragmatisch ausgestaltet« sein und »unbillige Härten« vermeiden. Was das alles konkret heißt, wird sich jedoch erst zeigen, wenn der finale Gesetzentwurf vorliegt.
Das kritisiert auch Janine Wissler. Im Bereich Wärmewende solle ein sozialer Ausgleich nur weiter geprüft werden, »aber keiner weiß, mit welchem Geld, keiner weiß wie viel«, kritisiert die Linke-Bundesvorsitzende. Geradezu genüsslich stürzte sich die Union vor allem auf die geplanten Änderungen am Klimaschutzgesetz. Ihre wirtschaftspolitische Sprecherin Julia Klöckner (CDU) erklärte, die Ampel falle beim Klimaschutz hinter Ziele und Maßnahmen der Großen Koalition aus der vergangenen Legislaturperiode zurück.
»Zwei Wochen nach der drastischen Warnung des Weltklimarates ist vom selbsternannten ›Klimakanzler‹ keine Spur.«
Olaf Bandt
BUND-Vorsitzender