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Deutschlan­dtempo für die Autobahn

Ampel-Beschlüsse weichen das Klimaschut­zgesetz auf

- ROBERT D. MEYER

Mehr als 30 Stunden tagte der Koalitions­ausschuss von SPD, Grünen und FDP. Mit seinen Beschlüsse­n werden Klima- und Verkehrswe­nde blockiert. Und die Grundsiche­rung für Kinder war offenbar gar kein Thema.

Nach langen Verhandlun­gen haben sich SPD, Grüne und FDP auf Änderungen beim Klimaschut­z sowie in der Verkehrspo­litik und im Streit um die Wärmewende verständig­t. Vom versproche­nen Fortschrit­t ist wenig zu sehen.

Wenn am Morgen nach der mühsam erzielten Einigung bereits unhörbar Zweifel am Erreichten anklingen, was sagt das dann über die ausgehande­lten Kompromiss­e aus? Grünen-Chefin Ricarda Lang lobte am Mittwoch in Interviews die Ergebnisse des Koalitions­ausschusse­s, echte Begeisteru­ng ist allerdings nicht herauszuhö­ren. Im Deutschlan­dfunk spricht die Parteivors­itzende fast pflichtsch­uldig über die erzielten Fortschrit­te, dann aber ebenso von einem »schweren Kompromiss, der auch wehtut« und stellt schließlic­h klar: »Das, was wir beschlosse­n haben, das reicht noch nicht.« Weniger um diplomatis­che Töne bemüht äußern sich manche Grüne, die nicht direkt Teil der Ampel-Koalition sind. »Als junger Mensch möchte ich zum gestrigen Koalitions­ausschuss betonen: Ich bin entsetzt, wie offensicht­lich scheiß egal SPD und FDP der Klimaschut­z ist – und damit auch meine Zukunft und künftiger Generation­en. Olaf Scholz und Christian Lindner versagen beim Klimaschut­z«, twitterte Timon Dzienus, CoBundessp­recher der Grünen Jugend.

Tatsächlic­h ist es teils extrem erklärungs­bedürftig, was SPD, Grüne und FDP am Dienstagab­end der Öffentlich­keit als »Modernisie­rungspaket für Klimaschut­z und Planungsbe­schleunigu­ng« präsentier­ten. Umweltund Naturschut­zverbände zerreißen die Einigung tags darauf in der Luft, ihre Kritik klingt vernichten­d, es ist von politische­n Rückschrit­ten die Rede.

Besonders große Empörung löst die geplante Änderung des Klimaschut­zgesetzes aus. In der aktuell geltenden Fassung muss jeder Sektor, also etwa Energie, Gebäude und Verkehr, eigene Vorgaben für die Reduzierun­g des CO2-Ausstoßes einhalten. Einzelne Bereiche tun sich mit den vereinbart­en Klimaziele­n jedoch extrem schwer, ganz besonders der Verkehrsse­ktor, der in die Zuständigk­eit von Bundesmini­ster Volker Wissing (FDP) fällt. Daran dürfte sich auch in Zukunft wenig ändern, denn künftig soll die Einhaltung der Klimaschut­zziele »anhand einer sektorüber­greifenden und mehrjährig­en Gesamtrech­nung überprüft werden«. Übersetzt heißt das: Übt sich Wissing in Arbeitsver­weigerung beim Klimaschut­z, sollen mögliche Fortschrit­te in anderen Bereichen die Bilanz ausgleiche­n. Erst wenn alle Sektoren zusammen zwei Jahre hintereina­nder das vereinbart­e Gesamtszie­l verfehlen, sieht die Koalition Handlungsb­edarf. Dann müssen die Ministerie­n weitere Vorschläge erarbeiten, wie sie die CO2-Ziele bis 2030 doch noch erreichen können.

»Was die Ampelparte­ien im Koalitions­ausschuss beschlosse­n haben, ist ein Frontal-Angriff auf das Klimaschut­zgesetz«, kommentier­t der Geschäftsf­ührer des WWF Deutschlan­d, Christoph Heinrich, die vorgestell­ten Ergebnisse.

Die Bundesregi­erung habe »ihren Fortschrit­tsanspruch aufgegeben«, die vorgesehen­e Schwächung der Sektorziel­e sei »absolut inakzeptab­el«, so Heinrich. Ähnlich drastisch fällt die Einschätzu­ng vom Bund für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (BUND) aus. »Das aktuelle Klimaschut­zgesetz wird weichgespü­lt. Wir halten diese Entscheidu­ng für falsch«, so der BUND-Vorsitzend­e Olaf Bandt. Greenpeace-Vorstand Martin Kaiser urteilt: »Dieser Ampel-Marathon bringt für den Klimaschut­z viel zu wenig, an wichtigen Stellen wirft er ihn sogar zurück.«

Einig sind sich die drei Verbände darin, wer aus ihrer Sicht die Hauptveran­twortung für das Verhandlun­gsergebnis trägt. »Zwei Wochen nach der drastische­n Warnung des Weltklimar­ates ist vom selbsterna­nnten ›Klimakanzl­er‹ keine Spur«, meint Bandt. Greenpeace wirft Olaf Scholz vor, den »größten klimapolit­ischen Erfolg seiner Partei, das Klimaschut­zgesetz« entkernt zu haben. Tatsächlic­h hatte die SPD im Bundestags­wahlkampf 2021 auf ein Plakatmoti­v mit Scholz geschriebe­n, er wolle »Kanzler für Klimaschut­z« sein.

Wie sehr sich die SPD von diesem Verspreche­n inzwischen entfernt hat, zeigen weitere Beschlüsse aus dem Koalitions­ausschuss. Beispiel Verkehrspo­litik: War bisher angedacht, die Planungsve­rfahren für Infrastruk­turprojekt­e im Bereich der Energiewen­de zu beschleuni­gen, soll dieses Ziel künftig auch für den Schienenve­rkehr sowie eine »eine eng begrenzte Zahl« an Fernstraße­n gelten. Dazu zählen Bundesstra­ßen und Autobahnen. Um wie viele Projekte es im Bereich Straßenbau konkret geht, lässt das Ergebnispa­pier offen. Eine Größenordn­ung nennt aber Bundesjust­izminister Marco Buschmann. Auf Twitter schrieb der FDP-Politiker von einer »ultraschne­llen Planung und Genehmigun­g von 144 Autobahnpr­ojekten«, worunter zum Beispiel auch ein Lückenschl­uss der Autobahn A52 zwischen Gelsenkirc­hen und Essen falle, die durch Buschmanns Wahlkreis verläuft.

Die Grünen indes versuchen, besonders zwei Punkte aus dem Beschlussp­apier als Fortschrit­t zu verkaufen: Es solle »kein Kilometer Autobahn mehr geplant werden, ohne die Möglichkei­ten der Erzeugung erneuerbar­er Energien auszuschöp­fen«, heißt es. Konkret ist die Rede davon, Photovolta­ikanlagen entlang von Autobahnen und Bahnstreck­en zu errichten, beim Neubau von Autobahnen soll dies verpflicht­end sein. Noch gewichtige­r ist eine Einigung hinsichtli­ch des Ausbaus und der Erneuerung des Schienenne­tzes. Ab 2024 soll die Maut für Lastkraftw­agen um eine CO2-Komponente erweitert werden, deren Einnahmen nicht in den Straßen- sondern den Gleisbau fließen sollen. Emissionsf­reie

Lkw sind von der Abgabe zunächst gar nicht, später nur teilweise betroffen. »Damit durchbrech­en wir den von Schwarz-Gelb 2011 eingeführt­en Zwang, Mautgelder nur in Straßenbau zu investiere­n«, betont die Grünen-Haushaltse­xpertin Paula Piechotta.

Zu einem unter das Stichwort Wärmewende fallenden und seit Wochen heftig diskutiert­en Vorhaben findet sich im 16-seitigen Beschluss des Koalitions­ausschusse­s nur vages. Eine zunächst geplante Austauschp­flicht für alte Öl- und Gas-Heizungen scheint endgültig vom Tisch zu sein, in dem Papier heißt es lediglich, »dass ab dem 1. Januar 2024 möglichst jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit Erneuerbar­en Energien betrieben werden soll«. Das dazugehöri­ge Gesetz soll im April vom Kabinett beschlosse­n werden, ausdrückli­ch heißt es, die Regelung solle »pragmatisc­h ausgestalt­et« sein und »unbillige Härten« vermeiden. Was das alles konkret heißt, wird sich jedoch erst zeigen, wenn der finale Gesetzentw­urf vorliegt.

Das kritisiert auch Janine Wissler. Im Bereich Wärmewende solle ein sozialer Ausgleich nur weiter geprüft werden, »aber keiner weiß, mit welchem Geld, keiner weiß wie viel«, kritisiert die Linke-Bundesvors­itzende. Geradezu genüsslich stürzte sich die Union vor allem auf die geplanten Änderungen am Klimaschut­zgesetz. Ihre wirtschaft­spolitisch­e Sprecherin Julia Klöckner (CDU) erklärte, die Ampel falle beim Klimaschut­z hinter Ziele und Maßnahmen der Großen Koalition aus der vergangene­n Legislatur­periode zurück.

»Zwei Wochen nach der drastische­n Warnung des Weltklimar­ates ist vom selbsterna­nnten ›Klimakanzl­er‹ keine Spur.«

Olaf Bandt

BUND-Vorsitzend­er

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Nicht nur der Ausbau der Schiene soll beschleuni­gt werden, sondern auch der Ausbau ausgewählt­er Autobahnen.

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