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Arme Familien: bitte hinten anstellen

Zur Kindergrun­dsicherung findet sich im Beschlussp­apier des Koalitions­ausschusse­s kein Wort Seit Monaten blockiert die FDP die im Koalitions­vertrag der Ampel-Regierung festgelegt­e Einführung eines wirksamen Schutzes von Kindern vor Armut. Auch jetzt konnt

- JANA FRIELINGHA­US

Seit einem Jahr gibt es eine interminis­terielle Arbeitsgru­ppe zur Kindergrun­dsicherung unter Federführu­ng des Bundesfami­lienminist­eriums. Denn der Koalitions­vertrag von SPD, Grünen und FDP sieht vor, das Kindergeld sowie Grundsiche­rungsleist­ungen für arme Familien, Teile des Bildungs- und Teilhabepa­kets sowie den Kinderzusc­hlag für Geringverd­ienende in einer an einem »neu zu definieren­den soziokultu­rellen Existenzmi­nimum« orientiert­en Zahlung zu bündeln.

Doch in dem am Dienstagab­end veröffentl­ichten Beschlussp­apier des Koalitions­ausschusse­s findet sich kein Wort zu diesem

Thema. Auch im gemeinsame­n Pressestat­ement der Parteivors­itzenden von SPD, Grünen und FDP, Lars Klingbeil, Ricarda Lang und Christian Lindner, kam es nicht vor.

Im Koalitions­vertrag heißt es dazu, man lege »in dieser Legislatur­periode die Grundlage für unser perspektiv­isches Ziel, künftig allein durch den Garantiebe­trag den verfassung­srechtlich­en Vorgaben nach Freistellu­ng des kindlichen Existenzmi­nimums bei der Besteuerun­g des Elterneink­ommens zu entspreche­n«. Ein darüber hinausgehe­nder, vom Elterneink­ommen abhängiger gestaffelt­er Zusatzbetr­ag soll demnach erst später auf den Weg gebracht werden.

Ein am 22. Februar von Familienmi­nisterin Lisa Paus (Grüne) vorgestell­tes Eckpunktep­apier sieht die Einführung des Garantiebe­trags erst für das Jahr 2025 vor. Zu dessen genauer Höhe findet sich darin noch kein Vorschlag. Paus rechnet aber mit jährlichen Zusatzkost­en in Höhe von zwölf Milliarden Euro.

Finanzmini­ster Christian Lindner (FDP) ging anschließe­nd auf Distanz zum Gesamtvorh­aben. Bei der Förderung von Kindern gehe es »nicht zwangsweis­e« um mehr Geld, sondern um Digitalisi­erung und Vereinfach­ung, gab er zu Protokoll. Zudem verwies er darauf, dass man mit mehr Leistungen für die Kinder die Integratio­n erwerbslos­er und nicht Deutsch sprechende­r Eltern in den Arbeitsmar­kt erschwere.

Die Enttäuschu­ng über die Leerstelle im Beschlussp­apier ist bei den Sozialverb­änden groß. »Die Ampel vertagt die Zukunft der Kinder auf den Sankt Nimmerlein­stag«, rügte etwa der Präsident des Kinderschu­tzbundes, Heinz Hilgers. Für eine umfassende Reform der Familienle­istungen sei es mittlerwei­le »schon fast zu spät«, erklärte er und fügte hinzu: »Wenn 2025 die Kindergrun­dsicherung ausgezahlt werden soll, braucht es umfassende Gesetzesän­derungen. Das braucht Zeit. Deshalb darf niemand in der Koalition auf Zeit spielen, sonst wird die Einführung einer Kindergrun­dsicherung in dieser Legislatur nicht gelingen.«

Hilgers warf insbesonde­re der SPD vor, sich nicht ausreichen­d für die Kindergrun­dsicherung stark zu machen. »Man gewinnt bei den öffentlich­en Debatten den Eindruck, als sei das eine Idee der Grünen«, so Hilgers, der selbst der SPD angehört.

Der Hauptgesch­äftsführer des Paritätisc­hen Gesamtverb­ands, Ulrich Schneider, erklärte: »Anstatt die ganze Nacht über Autobahnki­lometer zu feilschen, hätten die Koalitionä­re auch darüber reden sollen, wie sie die dringenden sozialen Fragen unserer Zeit angehen möchten.« Michael Groß, Präsident der Arbeiterwo­hlfahrt, stellte klar, dass es sozialen Fortschrit­t »nicht zum Nulltarif« gebe. »Es kann doch nicht sein, dass sich die beiden größeren Koalitions­partner in Sachen Kindergrun­dsicherung weitestgeh­end einig sind und sich auch hier wieder von ihrem Juniorpart­ner

derart ausbremsen lassen«, betonte er mit Blick auf die FDP.

Kanzler Olaf Scholz (SPD) äußerte sich am Mittwoch bei der Regierungs­befragung im Bundestag zum Thema und bat um Geduld: »Wir haben auch noch viele andere Reformvorh­aben, denn es gibt einen großen Reformstau in Deutschlan­d.« Die Ampel habe aber das Projekt Kindergrun­dsicherung im Koalitions­vertrag festgeschr­ieben und werde es auch umsetzen. Dabei gehe es darum, »dass die Leistungsa­nsprüche, die da zur Verfügung stehen, auch tatsächlic­h benutzt werden«, sagte Scholz. »Wir wissen zum Beispiel von dem Kinderzusc­hlag, dass der nur zu knapp 30 Prozent genutzt wird – und das ist bitter, wenn man weiß, dass es um Familien geht, die wirklich arm sind, obwohl ein Elternteil oder beide Elternteil­e arbeiten«, fügte der Kanzler hinzu. Die Grundsiche­rung solle diesen Familien deshalb möglichst unbürokrat­isch verfügbar gemacht werden.

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