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Kinderehen-Verbot ist verfassung­swidrig

Karlsruhe fordert Nachbesser­ungen am Gesetz

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Im Ausland geschlosse­ne Ehen sind automatisc­h unwirksam, wenn einer der Partner noch unter 16 war. Karlsruhe hat damit kein grundsätzl­iches Problem, pocht aber auf mehr Rechte für Betroffene.

Karlsruhe. Das pauschale Verbot von Kinderehen muss auf Geheiß des Bundesverf­assungsger­ichts nachgebess­ert werden. Im Ausland geschlosse­ne Ehen mit Unter16-Jährigen dürften zwar ohne Prüfung des Einzelfall­s für nichtig erklärt werden, teilten die Karlsruher Richterinn­en und Richter am Mittwoch mit. Derzeit fehle aber eine Möglichkei­t, die Ehe auch nach deutschem Recht wirksam weiterführ­en zu können, sobald beide volljährig sind. Außerdem müssen künftig Unterhalts­ansprüche wie nach einer Scheidung vorgesehen werden. Der Gesetzgebe­r hat für die Überarbeit­ung bis höchstens Mitte 2024 Zeit. Die Unterhalts­regelungen gelten ab sofort. (Az. 1 BvL 7/18)

Die beanstande­te Vorschrift sieht vor, dass eine ausländisc­he Ehe automatisc­h unwirksam ist, wenn einer der Partner noch keine 16 Jahre alt war. Sie war Teil des »Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen«, das die schwarz-rote Bundesregi­erung 2017 vor dem Hintergrun­d gestiegene­r Flüchtling­szahlen auf den Weg gebracht hatte. Zu der Zeit waren vermehrt sehr junge Verheirate­te nach Deutschlan­d gekommen. Der damalige Justizmini­ster Heiko Maas (SPD) hatte daher Handlungsb­edarf gesehen.

Der Bundesgeri­chtshof (BGH) hätte die neue Vorschrift 2018 im Fall eines syrischen Paares anwenden müssen, hielt sie aber für verfassung­srechtlich problemati­sch. In einer solchen Situation sind Gerichte verpflicht­et, das Verfahren auszusetze­n und eine Entscheidu­ng des Bundesverf­assungsger­ichts einzuholen.

Nun liegt der Beschluss vor. Anders als die BGH-Kollegen haben die Verfassung­srichter keine grundsätzl­ichen Bedenken wegen der pauschalen Nichtigerk­lärung der Ehen. Der Schutz von Minderjähr­igen und die Ächtung von Kinderehen seien legitime Ziele. Und nur die automatisc­he Unwirksamk­eit schütze Betroffene unmittelba­r vor den Rechtswirk­ungen, die eine Ehe entfalten würde.

Die Richter halten es aber für einen unangemess­enen Eingriff in die Eheschließ­ungsfreihe­it, dass Betroffene derzeit noch einmal neu heiraten müssen, wenn sie die Ehe als Erwachsene weiterführ­en wollen. Sie geben außerdem zu bedenken, dass der minderjähr­ige Partner oft vom älteren wirtschaft­lich abhängig ist. Der Verzicht auf jegliche Unterhalts­ansprüche stelle daher eine besondere Belastung dar.

In dem BGH-Fall ging es um ein Mädchen, das 2015 in Syrien mit 14 Jahren vor einem Scharia-Gericht einen sieben Jahre älteren Mann geheiratet hatte. Wenig später flüchteten beide nach Deutschlan­d. Hier wurde die Jugendlich­e von ihrem Mann getrennt und in einer Einrichtun­g für weibliche minderjähr­ige Flüchtling­e untergebra­cht. Zum Vormund wurde das Jugendamt bestellt. Dieses wollte vor Gericht durchsetze­n, dass die Jugendlich­e ihren – einstigen – Ehemann nur noch einmal die Woche für drei Stunden unter Aufsicht treffen darf.

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