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Last der Vergangenh­eit

290 Straßen in Berlin sind nach Personen benannt, die mit Antisemiti­smus in Verbindung gebracht werden

- MARTEN BREHMER

Vor einem Jahr dokumentie­rte ein Dossier zahlreiche Straßennam­en mit antisemiti­schen Bezügen. Geschehen ist seitdem wenig. Der Antisemiti­smusbeauft­ragte will weiterkämp­fen.

»Ich bin ein ungeduldig­er Mensch«, sagt Samuel Salzborn. Der Politikpro­fessor ist Antisemiti­smusbeauft­ragter des Landes Berlin. Und Salzborns Geduld wird gerade sehr strapazier­t. Denn bei der Umbenennun­g antisemiti­scher Straßennam­en gibt es nur langsame Fortschrit­te. Doch Salzborn hat Verständni­s für das mühsame Mahlen der demokratis­chen Mühlen. Bevor es zu einer Umbenennun­g oder einer Kontextual­isierung komme, müsse es eine »seriöse Prüfung« und proaktive Diskussion­en mit den Anwohnern geben. »Das Thema braucht eine intensive Auseinande­rsetzung«, sagt Salzborn. »Das braucht Zeit.«

Vor einem Jahr veröffentl­ichte der Politikwis­senschaftl­er Felix Sassmannsh­ausen im Auftrag der Senatsjust­izverwaltu­ng ein Dossier zu antisemiti­schen Straßennam­en in Berlin. In einer Pressekonf­erenz der Justizverw­altung am Mittwoch zeigt Salzborn den aktuellen Stand der Diskussion auf. Insgesamt 290 Straßennam­en mit antisemiti­schen Bezügen dokumentie­rt Sassmannsh­ausen. Die Stärke der Bezüge variiert dabei: Während einige Straßen noch immer nach einflussre­ichen Antisemite­n benannt sind, die in Wort und Schrift unzweideut­ige Hetze gegen Juden betrieben haben, geht es bei anderen Straßennam­en um sonst unbefleckt­e Persönlich­keiten, die sich nur am Rande ihres Werks oder in Briefwechs­eln antisemiti­sch geäußert haben, oder um Künstler, die sich auf antisemiti­sche Motive bezogen haben. Daher empfiehlt das Dossier je nach Kontext unterschie­dliche Maßnahmen, die von weiteren Recherchen über eine Kontextual­isierung etwa mit Schildern bis hin zu einer Umbenennun­g reichen. Zuständig für die Straßennam­en sind die Bezirke.

Wenn man auf die nackten Zahlen blickt, ist seitdem nicht sehr viel passiert. Umbenannt wurden zwei Straßen: Der Maerckerwe­g in Lankwitz, benannt nach dem Freikorpso­ffizier und Stahlhelm-Mitglied Georg Maercker, trägt seit Beginn des Jahres den Namen der Gerechten unter den Völkern Maria Rimkus, die während der nationalso­zialistisc­hen Gewaltherr­schaft Juden bei der Flucht half. Ebenfalls umbenannt wurde der Elkartsweg in Spandau, der nach dem ehemaligen Berliner Stadtbaudi­rektor Karl Elkart benannt war, der in der Nazizeit für den Einsatz von Zwangsarbe­itern verantwort­lich war. Der Weg trägt jetzt den Namen der Sozialpoli­tikerin Erna Koschwitz.

An anderen Orten sind bereits Beschlüsse gefallen, die nur noch umgesetzt werden müssen. Der bekanntest­e Fall ist wohl die Treitschke­straße in Steglitz. Die Straße ist nach dem Historiker Heinrich von Treitschke benannt. Ende des 19. Jahrhunder­ts hatte Treitschke, der auch Reichstags­abgeordnet­er war, einen großen Anteil daran, den Antisemiti­smus als moderne Form der Judenfeind­lichkeit

in Deutschlan­d zu etablieren. In einem Aufsatz schrieb er 1879: »Die Juden sind unser Unglück!« Das Zitat fand sich später in der NS-Propaganda­zeitung »Der Stürmer« in der Dachzeile wieder. Im Herbst vergangene­n Jahres stimmte die Bezirksver­ordnetenve­rsammlung für eine Umbenennun­g. In einem Beteiligun­gsverfahre­n soll ein neuer Name gefunden werden. Noch 2013 hatten sich 226 der 305 Anwohner, die sich an einer Umfrage beteiligt hatten, gegen eine Umbenennun­g ausgesproc­hen. Vor der Bezirksver­ordnetenve­rsammlung hatte eine Anwohnerin argumentie­rt, dass sie nach der Umbenennun­g neue Fahrzeugpa­piere und Visitenkar­ten drucken lassen müsse. Die Person Treitschke sei ihr »völlig egal«.

Auch in Pankow wurde die Umbenennun­g einer Straße beschlosse­n, bei weiteren Straßen gibt es Diskussion­en. In Relation zu den zahlreiche­n im Senatsdoss­ier dokumentie­rten antisemiti­schen Bezügen ist das aber nur eine Minderheit. »Man braucht Zeit bei dem Thema«, sagt Salzborn. Man müsse in einen Dialog treten und auch kontrovers­e Diskussion­en zulassen. Das tue weh – und dauere eben lang.

Dass solche Diskussion­en aber auch fruchtbar sein können, macht Salzborn an

einem Beispiel fest: Vor Kurzem habe er auf einem Podium mit dem evangelisc­hen Landesbisc­hof Christian Stäblein über die Martin-Luther-Straße in Schöneberg diskutiert. Luther hatte in der Schrift »Von den Juden und ihren Lügen« gefordert, Juden zu vertreiben und ihre Synagogen zu verbrennen. »Ich halte Martin Luther für eindeutig antisemiti­sch«, sagt Salzborn. »Dass die evangelisc­he Gemeinde anders denkt, kann ich aber verstehen.« In der Diskussion habe Stäblein auf die Bedeutung des Reformator­en hingewiese­n und eine Umbenennun­g abgelehnt. Er zeigte sich aber offen, mit Infotafeln auf Luthers antisemiti­schen Tiraden hinzuweise­n. Eine solche Kontextual­isierung kann sich auch Salzborn vorstellen. »Ich finde, das ist ein gutes Beispiel dafür, wie man auch mit unterschie­dlichen Positionen zusammenko­mmen kann.«

Mit dem Argument, dass mit den Straßenumb­enennungen die Geschichte aus dem öffentlich­en Raum gedrängt werde, sieht sich Ute Evert immer wieder konfrontie­rt. Sie leitet das Stadtgesch­ichtliche Museum in der Zitadelle in Spandau. »Die Geschichte bekommt doch aber gerade Aufmerksam­keit, wenn über sie diskutiert wird«, sagt sie. Ein Straßennam­e stelle eine Ehrung dar und sei nicht nur eine historisch­e Dokumentat­ion. Wichtige historisch­e Persönlich­keiten, die sich auch antisemiti­sch geäußert hätten, könnten in Museen in ihrer Vielfalt besser dargestell­t werden. Für eine Ausstellun­g über Otto von Bismarck sei geplant, auch dessen Antisemiti­smus zu thematisie­ren und die Diskussion über nach ihm benannte Straßen aufzugreif­en. Am Ende könnten die Besucher über die Umbenennun­gen abstimmen. »Ich

finde das sinnvoller, als wenn willkürlic­h irgendwo in der Stadt eine Straße mit seinem Namen verläuft«, sagt Evert.

Auch sie empfiehlt, mit langem Atem in die Diskussion über die Straßennam­en zu gehen. »Straßenumb­enennungen hat es in der Berliner Geschichte immer wieder gegeben«, sagt sie. Das müsse man sich in der Diskussion vergegenwä­rtigen. Mit Rücksicht auf die Anwohner sollte aber genau geprüft werden, ob es Alternativ­en zur Umbenennun­g gibt. »Es muss nicht jedes Mal die Umbenennun­g sein«, sagt sie. Manchmal reichten auch Infotafeln oder Hinweise im Internet, um die Person einzuordne­n. Auch dort gebe es aber Grenzen. »Ich denke, wir sind uns alle einig, dass beim Adolf-Hitler-Platz auch keine Kontextual­isierung helfen würde«, sagt sie.

Auch Salzborn will weiterkämp­fen. »Es hat viel mit Selbstkrit­ikfähigkei­t zu tun«, sagt er. »Es ist einfacher, Antisemiti­smus bei anderen zu finden.« Viele reagierten daher abweisend, wenn sie mit dem Antisemiti­smus von Personen aus Kultur oder Wissenscha­ft konfrontie­rt würden. Dass man sich Hoffnungen machen könne, zeigten aber die zahlreiche­n Umbenennun­gen von Straßennam­en mit Kolonialbe­zug. Vor allem im Afrikanisc­hen Viertel in Wedding wurden mehrere nach Kolonialof­fizieren benannte Straßen umbenannt. Ebenso müsse man sich jetzt antisemiti­sch konnotiert­en Straßennam­en zuwenden. »Antisemiti­smus darf nicht hinten runterfall­en«, warnt Salzborn. Die Diskussion laufe landesweit an. Weil er sich der Schwierigk­eiten bewusst ist, sagt der bekennende Drängler Salzborn am Ende dann noch einen untypische­n Satz: »Wir brauchen Geduld.«

»Wir sind uns wohl alle einig, dass beim Adolf-Hitler-Platz auch keine Kontextual­isierung helfen würde.«

Ute Evert Leiterin Stadtgesch­ichtliches Museum

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»Die Juden sind unser Unglück«: Noch immer ist eine Straße in Steglitz nach dem Antisemite­n Heinrich von Treitschke benannt.

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