nd.DerTag

Schande im Straßenbil­d

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Personalau­sweise beantragen, Fahrzeugpa­piere neu austellen lassen und Kontakten die neue Adresse mitteilen: Den Stress, der mit einer Straßenumb­enennung verbunden ist, wünscht man niemandem. Manchmal ist er aber notwendig. Noch immer tragen zahlreiche Straßen die Namen von Antisemite­n. Gerade in der einstigen Reichshaup­tstadt Berlin ist es ein fatales Signal, wenn aus Bequemlich­keit auf die Umbenennun­g verzichtet wird.

Vor allem, weil ein kurzes Zurückerin­nern zeigt, dass man nicht immer so zaghaft war. Nach der Wiedervere­inigung wurden unzählige Straßennam­en aus der DDR-Zeit geändert. Es ist wahr, dass damals mit Straßennam­en auch Menschen geehrt wurden, die im Namen des Sozialismu­s Verbrechen begangen hatten. Wahr ist aber auch, dass im antikommun­istischen Eifer Namen getilgt wurden, die an unbescholt­ene Persönlich­keiten erinnerten. Selbst Widerstand­skämpfern gewidmete Straßen wurden umbenannt. Darum, ob die Anwohner neue Visitenkar­ten drucken mussten, kümmerte sich niemand.

Warum fehlt dieses Tempo heute? Wohl auch, weil die Beschäftig­ung mit den Straßennam­en unbequeme Wahrheiten zutage fördert. Wie bei keiner anderen Nation war der Kampf um Demokratie in Deutschlan­d mit Antisemiti­smus verbunden. Am Ende des Wartburgfe­sts stand eine Bücherverb­rennung, bei der Werke jüdischer Autoren den Flammen übergeben wurden.

Nötig ist aber auch Selbstrefl­exion. Bevor sich der spätere Weggefährt­e von Karl Marx der Arbeiterbe­wegung zuwandte, war Franz Mehring in der bürgerlich­en Demokratie­bewegung aktiv und äußerte sich nachweisli­ch antisemiti­sch. An dem Platz, der heute nach ihm benannt ist, steht das nd-Gebäude. Weil er sich später von der Judenfeind­lichkeit distanzier­te, ist eine Umbenennun­g wohl nicht nötig. Ein Hinweis mit einer Tafel wäre aber angemessen.

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FOTO: PRIVAT An Umbenennun­gen führt kein Weg vorbei, meint Marten Brehmer

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