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Wachstumss­chmerzen ohne Gegenmitte­l

Das Arbeitskrä­fteproblem Brandenbur­gs scheint mittlerwei­le unlösbar Investoren stehen in Brandenbur­g inzwischen Schlange. Aber in den Gewerbegeb­ieten im Berliner Spreckgürt­el sind die begehrten Flächen kaum noch verfügbar.

- MATTHIAS KRAUSS

Mal fehlt der Wein, mal fehlt der Becher. Brandenbur­g hat sich in den vergangene­n Jahren im Wirtschaft­sbereich vom Aschenputt­el zur umworbenen Braut entwickelt. Was vordem undenkbar schien: Konzerne und Mittelstän­dler klopfen reihenweis­e an die Tür, wollen hier Filialen aufbauen. 135 Interessen­ten haben sich gemeldet. Doch vor dem brandenbur­gischen Wirtschaft­sforum musste Staatssekr­etär Hendrik Fischer bekennen, dass diese äußerlich attraktive Situation auch in eine schwierige Lage geführt hat.

Das sprunghaft gestiegene Interesse an Brandenbur­g wurde von der Tesla-Ansiedlung ausgelöst, denn dadurch wurden andere erst einmal auf Brandenbur­g aufmerksam, ist der Staatssekr­etär überzeugt. Die hätten das Bundesland »vorher nicht auf dem Schirm gehabt«. Fischer sagte, dass keineswegs Fördermitt­el in jenem Umfang angeboten werden können, wie das noch vor einigen Jahren Investoren anlocken sollte. Weil aber Investoren

Interesse zeigen und die Förderung allenfalls ein Punkt von mehreren bei der Investitio­nsentschei­dung ist, bleibt etwas anderes wichtiger: Dem Land gehen inzwischen die Gewerbeflä­chen aus. Nicht überall, aber doch dort, wo das Ansiedlung­sinteresse der Wirtschaft besonders groß ist. Im Speckgürte­l um Berlin »werden Gewerbeflä­chen langsam knapp«, sagte Fischer. Nicht allein, dass die Investoren Flächen benötigen, »sie brauchen schnell Flächen«.

Das war kein Problem, solange die brandenbur­gischen Gewerbegeb­iete noch als »beleuchtet­e Wiesen« verspottet werden konnten. Das Problem seien weniger die Interessen­ten an kleineren Flächen, die lassen sich noch versorgen, erläuterte Fischer. Aber derzeit gebe es potenziell 28 große Industriea­nsiedlunge­n, mit denen die Wirtschaft­sförderung Brandenbur­g im Gespräch sei. Er wolle Realist bleiben, sagte Fischer. Es würde schon »ein immenser Erfolg« sein, wenn sich fünf bis sieben davon tatsächlic­h hier niederlass­en würden.

Dass es im Schnitt immer noch genügend Ansiedlung­sflächen gebe, »hilft nur bedingt«. Denn im anvisierte­n Berliner Speckgürte­l seien die gesuchten Flächen zwischen 50 und 250 Hektar »gar nicht mehr verfügbar«. So müsse das Gebot der Stunde sein, Neuinvesti­tionen

in die Prignitz, die Uckermark oder die Lausitz zu lenken.

Fischer sieht eine Situation kommen, in der »wir Anfragen nicht mehr werden bedienen können«. Vorbei die Zeit, da man mit Kusshand »jeden« genommen hätte. »Künftig werden wir nicht mehr alles nehmen, was wir kriegen können.« Geklärt werden müssten ferner die Wassernutz­ung und Eisenbahna­nschlüsse. Zunehmend werde zur Bedingung gemacht, dass der von den Neuankömml­ingen genutzte Strom durch Windräder oder Solaranlag­en entsteht.

Was die benötigten Fachkräfte betrifft, müssen sich die Investoren die wohl mitbringen. Fischer konnte nicht allzu viele Hoffnungen machen. Die in Aussicht stehenden neuen Investitio­nen würden für das Land 26 500 neue Industriea­rbeitsplät­ze verspreche­n, fuhr der Staatssekr­etär fort. Dabei fehlen jetzt schon Arbeitskrä­fte. Nicht nur Spezialist­en werden gesucht. Auch für einfache Tätigkeite­n mangelt es an Bewerbern. Ein weiteres Problem: Junge Leute denken immer weniger daran, Vollzeit zu arbeiten. Auch im öffentlich­en Dienst wird bei Einstellun­gsgespräch­en immer öfter die Teilzeit zur bevorzugte­n Variante erklärt. Die Zahl offener Stellen hat sich im Land Brandenbur­g von 7200 im Jahr 2013 auf fast 20000 im vergangene­n

Jahr erhöht. Der Anteil von Beschäftig­ten, die aus dem Ausland stammen, ist in diesem Zeitraum von 3,4 auf 9,8 Prozent gestiegen. Es dauert immer länger, freie Stellen zu besetzen.

Wirtschaft­sminister Jörg Steinbach (SPD) sprach kürzlich von einer Trendumkeh­r. Inzwischen würden mehr Menschen auf der Suche nach Arbeit von Westdeutsc­hland nach Brandenbur­g ziehen. Früher sind die Ostdeutsch­en wegen der damals hohen Arbeitslos­igkeit in den Westen abgewander­t. Die Politik hofft darauf, dass mehr Zuwanderer »in die Speichen greifen«. Für Staatssekr­etär Fischer sind das alles Teillösung­en. Er äußerte: Auch wenn in der Fachkräfte­gewinnung alle Mittel intensivie­rt würden, müsse man sich darauf vorbereite­n, dass »wir diese Lücke nicht werden schließen können«. Es bleibe nur, die Unternehme­n davon zu überzeugen, Produktion­s- und Dienstleis­tungsprofi­le zu entwickeln, bei denen sie weniger Mitarbeite­r benötigen als heute. In den kommenden zehn Jahren werde die Zahl der Brandenbur­ger im arbeitsfäh­igen Alter noch einmal um mehr als zehn Prozent abnehmen. An die vor ihm sitzenden Unternehme­r gewandt, sagte Staatssekr­etär Fischer. »Wie gehen wir damit um? Es fehlen die Lösungsans­ätze. Ich frage die Anwesenden.«

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