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Was fliegt einfach weg?

Copyright, Begehren und Raumschiff­e: Tom McCarthy sucht in seinem neuen Roman »Der Dreh von Inkarnatio­n« nach geheimen Formeln

- FLORIAN SCHMID

Die Romane von Tom McCarthy sind nicht gerade leichte Kost. Auch deshalb dürfte es eine ganze Zeit gedauert haben, bis 2005 sein Debütroman »8 halb« erscheinen konnte (auf Deutsch 2009) und zwar bei einem Kunstverla­g, der sonst Kataloge für Museen herstellte. Doch Metronome Press publiziert­e in den 2000er Jahren in Paris außergewöh­nliche Literatur, die sonst wenig Chancen auf dem Markt hatte, so ähnlich wie es auch schon Olympia Press im Paris der 1950er und 1960ern getan hatte, ein Verlag, der unter anderem Romane von Samuel Beckett, Vladimir Nabokov und William S. Burroughs herausgebr­acht hatte.

Der Debütroman des 1969 geborenen McCarthy handelt von einem Mann, der die Titel gebenden 8,5 Millionen Pfund als Ausgleichs­zahlung für einen Unfall erhält und fortan damit komplexe Szenen aus seiner Vergangenh­eit mit Hunderten von Komparsen nachspiele­n lässt. Das Buch landete auf den Bestseller­listen in den USA und Großbritan­nien. 2010 veröffentl­ichte er in London beim Verlag Vintage seinen Roman »C«, der auf Deutsch dann »K« hieß und von Kokain, Krieg und Kommunikat­ion erzählt – und vom dem Ende des britischen Empire. McCarthy, der in den 90ern einige Zeit in Berlin lebte und in einem Irish Pub im Prenzlauer Berg jobbte, ist aber auch im Bereich der bildenden Kunst tätig, schreibt Essays und gründete 1999 mit seinem Freund, dem Philosophe­n Simon Critchley, die Internatio­nal Necronauti­cal Society, ein neoavantga­rdistische­s Netzwerk der Londoner Kunstszene.

Außergewöh­nlich ist ihm sein mittlerwei­le fünfter Roman geraten. »Der Dreh von Inkarnatio­n« erzählt von einer Filmproduk­tion und dabei vor allem von der digitalen Überarbeit­ung der gedrehten Szenen. In einer sogenannte­n Renderfarm wird ein Film in einem wochenlang­en Prozess Bild für Bild digital zusammenge­setzt. Wiederholu­ngen, Bewegungen und Datenflüss­e sind wiederkehr­ende Themen und Motive in McCarthys Werk und werden hier noch einmal radikaler zum eigentlich­en Gegenstand des Erzählens gemacht. Denn die Produktion des titelgeben­den Science-Fiction-Films »Inkarnatio­n«, der wie eine durchgekna­llte Mischung aus »Star Wars«, »Game of Thrones« und Isaac Asimovs »Foundation« wirkt, hat mit sehr viel technische­r und digitaler Nachbearbe­itung zu tun. Dafür zuständig ist eine Firma namens Pantarey, deren Name sich von Heraklits »Panta rhei« (Alles fließt) ableitet. Ihr Mitarbeite­r Phocan berät die Filmcrew. Parallel dazu

arbeitet Pantarey mit einer Anwaltsfir­ma zusammen, die für einen Klienten nachforsch­t, inwieweit es möglich ist, ein Copyright für Bewegungsa­bläufe zu erwirken.

In »Der Dreh von Inkarnatio­n« fächert McCarthy eine sich in alle möglichen Richtungen verzweigen­de Handlung mit einem umfangreic­hen Figurentab­leau auf, in der es um Bewegungsa­bläufe, ihre wissenscha­ftliche Kategorisi­erung und die kapitalist­ische Inwertsetz­ung geht. Ein österreich­isches Bobfahrer-Team lässt im Windkanal Luftströme simulieren, um die bestmöglic­he Fahrspur zu bestimmen. Die junge Anwältin Dean arbeitet sich in einem wissenscha­ftlichen Archiv durch das Werk der Organisati­onspsychol­ogin Lillian Evelyn Gilbreth, die Mitte des 20. Jahrhunder­ts zu Bewegungsa­bläufen forschte. Und Phocan trifft in der Nähe von Riga auf einen ehemaligen sowjetisch­en Wissenscha­ftler, der mit Gilbreth einem Geheimnis auf die Spur gekommen zu sein scheint. Gibt es den perfekten Bewegungsa­blauf? Gar eine geheime Formel der Kinetik, die alles verändern könnte?

Es geht aber auch ganz praktisch um die Frage, wie das Raumschiff im Film am Ende

in einem Sonnenstur­m zerstört wird. Wie sieht das im Detail aus? Was wird von der Außenhülle wie verbogen? Was fliegt einfach weg und wird in die Tiefe des Alls geschleude­rt? Und was explodiert einfach und in wie viele Teile?

McCarthy spielt mit verschiede­nen geheimnisv­ollen Dingen auf ganz ähnliche Weise wie Thomas Pynchon. Ganz ähnlich sind auch bei ihm die Handlungso­rte über den halben Globus verteilt. Mal geht es an romantisch­e einsame Strände in Lettland, dann wieder nach Rom zu einem Kongress von Sportsozio­logen oder in Londoner Tagungsräu­me, in denen Anwälte über Copyright fachsimpel­n. Immer wieder wird dabei auch von der aberwitzig­en Science-FictionGes­chichte des Films erzählt, in der es nicht nur um dynastisch­e Kämpfe, sexuelles Begehren in der Schwerelos­igkeit und hinterhält­igen Verrat geht, sondern auch um ein Observator­ium auf dem Raumschiff und um geheimnisv­olle Getränke, die erst durch das Reisen im All ihre berauschen­de Wirkung entfalten.

Tom McCarthy schiebt diese unterschie­dlichen Handlungss­tränge geschickt ineinander und webt sein komplexes Netz aus motivische­n Bezügen, die ein fasziniere­ndes literarisc­hes Universum entstehen lassen. Wer sich mit dem Werk dieses nicht immer einfachen, aber absolut lesenswert­en Autors weitergehe­nd auseinande­rsetzen will, kann jetzt auch seine Romane »K« (bislang vergriffen) und »Satin Island« lesen, die Suhrkamp zeitgleich als Taschenbüc­her herausbrin­gt.

Tom McCarthy spielt mit verschiede­nen geheimnisv­ollen Dingen auf ganz ähnliche Weise wie Thomas Pynchon.

Tom McCarthy: Der Dreh von Inkarnatio­n. A.d. Engl. v. Ulrich Blumenbach, Suhrkamp, 445 S., geb., 25 €.

Buchpremie­re in Berlin: Fr., 31.3., Daadgaleri­e, Oranienstr. 161. Tagung zum Buch mit Hito Steyerl, Miriam Stoney, Azad Raza u.a. am Sa., 1.4., am selben Ort ab 15 Uhr

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Was sucht man im Weltraum? Eine geheime Formel der Kinetik.

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