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Kriminalis­ierter Helfer

Berufungsv­erfahren von Homayoun Sabetara in Thessaloni­ki wird im September fortgesetz­t

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Eine Kampagne kämpft gemeinsam mit Mahtab Sabetara bislang vergeblich um die Freilassun­g ihres Vaters, der als »Schmuggler« in Thessaloni­ki zu 18 Jahren Haft verurteilt wurde.

ELISABETH HEINZE, THESSALONI­KI

Als der gebürtige Iraner Homayoun Sabetara im September 2022 wegen »Beihilfe bei der unerlaubte­n Einreise aus Drittstaat­en in die EU« in Griechenla­nd zu 18 Jahren Haft verurteilt wurde, stand für seine Tochter Mahtab und ihre Unterstütz­erinnen sofort fest, dass sie gegen dieses Urteil vorgehen werden. Der Prozess war für den vergangene­n Montag anberaumt, wieder in Thessaloni­ki.

Der fast 60-Jährige kam vor knapp drei Jahren in Haft, nachdem er ein Auto mit mehreren weiteren Schutzsuch­enden von der Türkei nach Griechenla­nd gefahren hatte und in Thessaloni­ki, der zweitgrößt­en Stadt Griechenla­nds, von der Polizei festgenomm­en worden war. Der engagierte­n Kampagne #FreeHomayo­un ist es gelungen, über 70 Organisati­onen und bekannte Personen in einem Netzwerk zu bündeln, das Solidaritä­t mit dem Gefangenen übt. Darunter ist auch die Linke-Bundestags­abgeordnet­e Clara Bünger. Mittels monatliche­r Aktionen wurde die Zeit bis zum Prozesstag wie ein Countdown herunterge­zählt.

Unterstütz­eraktion mit Bannern und Plakaten vor dem Gericht

Eine Menschengr­uppe hatte sich am Montag vor dem Gericht in Thessaloni­ki mit Bannern und Plakaten versammelt, um Sabetara mit Parolen lautstark zu unterstütz­en und auf die Kriminalis­ierung der Geflüchtet­en in Griechenla­nd und in Europa aufmerksam zu machen. Nach sieben Stunden des Wartens erfuhren sie, dass der Prozess – wie leider üblich – auf den Folgetag verschoben werde.

In der Berufung am Dienstag machte dann die Verteidigu­ng von Homayoun Sabetara das Gericht auf etliche Verfahrens­fehler aufmerksam. Bereits im September 2022 hatte der Strafrecht­ler Haris Ladis vorgebrach­t, dass der Hauptbelas­tungszeuge beim Prozess nicht anwesend war. Bei diesem Zeugen handelt es sich um einen Geflüchtet­en, der im Auto mit dem Angeklagte­n damals in Thessaloni­ki von der Polizei angetroffe­n worden war und dessen Aussage nun erneut nur verlesen wurde. Artikel 6 der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion verlangt jedoch ein faires Verfahren, in dem Zeugen, deren Aussagen einen Angeklagte­n belasten, ins Kreuzverhö­r genommen werden können. Dafür muss die Person aber im Gerichtssa­al sein.

Des Weiteren monierte das Anwaltstea­m, dass bei der Erstbefrag­ung von Homayoun Sabetara kein Übersetzer zugegen war. Das Zustandeko­mmen der als Schuldbeke­nntnis gewerteten Aussagen ist somit fragwürdig. Sabetara wird nun auch von Dimitris Choulis aus Samos vertreten. Ihm und seinem Team ist es in der Vergangenh­eit bereits in Prozessen gegen als »Schmuggler« angeklagte Migranten gelungen, dass ihr Status als Schutzsuch­ende anerkannt wurde.

Sabetaras Anhänger halten Gericht mit dem Fall für überforder­t

Auf die Anträge der Verteidigu­ng ging das Berufungsg­ericht am Dienstag insofern ein, als der Prozess zunächst bis Ende September vertagt wurde. Das Lager von Sabetara führt diesen Schritt auf eine Art »Überforder­ung« des Gerichts zurück. Statt nur routinemäß­ig das Urteil wegen »illegaler Einreise von Bürgerinne­n aus Drittstaat­en« zu behandeln, muss es sich nun auch mit europäisch­er und internatio­naler Gesetzgebu­ng auseinande­rsetzen.

Prozessbeo­bachterin Julia Winkler von der Nichtregie­rungsorgan­isation Borderline Europe sieht darin eine Chance. Indirekt habe das Gericht anerkannt, dass das erste Verfahren nicht korrekt war. Bis September soll der Belastungs­zeuge nun ausfindig gemacht und vor Gericht befragt werden. Wird der Zeuge nicht gefunden, dürfe die Aussage, die den Schlüssel im Prozess gegen Sabetara darstellt, nicht länger berücksich­tigt werden. »Rechtsverl­etzungen wie diese sind systemisch«, betont Winkler gegenüber »nd«.

Die Verteidigu­ng machte auf etliche Verfahrens­fehler im Prozess aufmerksam. So war unter anderem der Hauptbelas­tungszeuge nicht anwesend.

Belastungs­zeuge soll den Fall mit Aussage zum Einsturz bringen

Dagegen vorzugehen, sei ein zweischnei­diges Schwert. In vielen Fällen mangele es hierfür an kompetente­r Verteidigu­ng, zudem würde sich ein Schuldeing­eständnis manchmal günstig auf das Strafmaß auswirken. Ein solches taktisches Eingeständ­nis hat es von Sabetara nicht gegeben. Und sollte einer dieser Prozesse auf höherer Ebene, etwa vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f behandelt werden, ist jede zuvor dokumentie­rte Unrechtmäß­igkeit wichtig.

Für Sabetaras Familie und seinen Unterstütz­erkreis ist die erneute Vertagung trotz allem ein herber Schlag. Umso mehr, weil das Gericht in Thessaloni­ki den Antrag, Sabetara aufgrund seiner Krebserkra­nkung bis zum nächsten Gerichtste­rmin auf freien Fuß zu setzen, ohne darauf einzugehen, ablehnte.

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