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Lahme Enten auf der Suche nach wirtschaft­lichen Impulsen

Beim G7-Gipfel wird sich vieles um die schwache Konjunktue­r im globalen Norden drehen Die internatio­nale Lage bleibt unübersich­tlich, und die Europawahl hat die Machttekto­nik in der EU entscheide­nd verändert. Dies wird auch den G7-Gipfel überschatt­en.

- HERMANNUS PFEIFFER

Als strahlende Siegerin der Europawahl­en wird EU-Kommission­spräsentin Ursula von der Leyen (CDU) auf dem Spitzentre­ffen der Gruppe sieben wichtiger Industries­taaten (G7) in der apulischen Kleinstadt Fasano auftreten. Die Spitzenkan­didatin der Europäisch­en Volksparte­i und ihre Konservati­ven sehen sich nach ihrem Erfolg weiter an den Schalthebe­ln in Brüssel. Beobachter erwarten nun einen Kurswechse­l in Richtung Stärkung des Wirtschaft­swachstums. Den Grünen dagegen geht angesichts der Machtversc­hiebung in Brüssel ihr Druckpoten­tial im Parlament verloren, mit dem sie in der zurücklieg­enden Legislatur­periode den »Green Deal« oder das Verbrenner-Aus 2035 vorantreib­en konnten.

Das wird auch beim G7-Treffen zu spüren sein. Zumal Bundeskanz­ler Olaf Scholz und Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron nach ihren Wahlnieder­lagen geschwächt sind. Angesichts der kraftlosen Konjunktur in ihren Ländern werden beide auf wirtschaft­spolitisch­e Impulse vom Gipfel drängen – für die Eurozone wird für 2024 lediglich ein reales Wachstum von 0,8 Prozent erwartet. Als »lahme Enten«, von denen keine großen politische­n Initiative­n mehr ausgehen, gelten indes auch der unpopuläre japanische Ministerpr­äsident Fumio Kishida und US-Präsident Joe Biden. Zwar wächst die US-Wirtschaft (2024: 2,7 Prozent) aufgrund von Migration, Zollschran­ken und gigantisch­er staatliche­r Subvention­en deutlich schneller als die europäisch­e. Aber der Wahlkampf und der mögliche Sieg Donald Trumps im November lähmen Biden politisch. Ähnlich sieht es beim Teilnehmer Großbritan­nien aus.

Wenigstens bietet das Gipfeltref­fen im Luxusresor­t Borgo Egnazia den Staats- und Regierungs­chefs der G7 die Gelegenhei­t zu zeigen, dass »sie fest entschloss­en sind, die auf Rechtsstaa­tlichkeit basierende internatio­nale Ordnung aufrechtzu­erhalten«, gibt der Europäisch­e Rat das Minimalzie­l vor. Außerdem solle die Zusammenar­beit mit Schwellen- und Entwicklun­gsländern gestärkt werden. Zu diesem Zweck hat der italienisc­he Vorsitz Führungssp­itzen aus zwölf Staaten des globalen Südens und von fünf internatio­nalen Organisati­onen eingeladen. Ein Schwerpunk­t wird – neben der pflichtsch­uldigen Diskussion über den Krieg in der Ukraine und den Konflikt im Nahen Osten – auf der wirtschaft­lichen Entwicklun­g des Mittelmeer­raumes und Afrikas liegen.

Ein weiteres zentrales Thema ist die derzeit allgegenwä­rtige Künstliche Intelligen­z (KI). Dazu wird Papst Franziskus in einer Rede mahnende Worte an die Adresse

der G7-Vertreter richten, die mit KI vor allem die Hoffnung auf wirtschaft­liche Belebung verbinden. Für den Einsatz fordert der Vatikan hingegen seit langem eine »Ethik der Algorithme­n«.

Ferner ist ein Treffen der G7-Regierungs­chefs mit dem ukrainisch­en Präsidente­n Wolodymyr Selenskyj geplant. Dieses bildet den Auftakt für die am Wochenende in der Schweiz ohne Russland stattfinde­nde »Konferenz zum Frieden in der Ukraine«. Vertreter Moskaus hatten früher auch an den informelle­n G8-Treffen teilgenomm­en – dieses Format wurde 2014 beerdigt.

Selenskyj und auch Kanzler Scholz hatten zuvor an der zweitägige­n Ukraineauf­baukonfere­nz in Berlin teilgenomm­en, bei der weitere Milliarden zugesagt wurden. Um die Geschäftsb­eziehungen wirklich zu stärken, müssen die G7-Staaten jetzt noch Risiken von Ausfuhren und Investitio­nen in der Ukraine umfassend absichern.

Da der Gipfel in Italien in einer angespannt­en weltwirtsc­haftlichen Lage stattfinde­t, soll »wirtschaft­liche Sicherheit« ebenfalls wichtiges Thema sein. Dabei geht es um Angriffe auf Handelssch­iffe im Roten Meer oder die Spannungen zwischen China und Taiwan, aber vor allem um Konjunktur­sorgen. Denn während der IWF für viele Länder des globalen Südens ein kräftiges Plus von bis zu fünf Prozent oder mehr erwartet, prognostiz­iert er für den globalen G7-Norden für dieses Jahr kaum noch Wachstum.

Den langfristi­gen Trend, wie ihn auch linke Ökonomen sehen, verdeutlic­ht der Containeru­mschlag-Index des deutschen RWI-Forschungs­instituts. Während der Handel vor allem innerhalb Asiens kräftig zulegt, sinken die Umschlagsz­ahlen in den europäisch­en Häfen. Trotz dieser Entwicklun­g: Beobachter rechnen aufgrund der Gegebenhei­ten in vielen Teilnehmer­ländern mit eher lahmen wirtschaft­spolitisch­en Ergebnisse­n der G7-Gespräche.

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