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Punktsieg für die Bewegung

Marten Reiß, bekannt durch seinen Einsatz für Lützerath bei »Wetten dass«, gewinnt gegen RWE. Der Energiekon­zern zieht seine Klage wegen Hausfriede­nsbruchs zurück

- INGRID WENZL Mara Sauer * Marten Reiß definiert sich als non-binäre Person, Sara Hansen und Eike G. als divers. Der Name von Sara Hansen wurde auf ihren Wunsch von der Redaktion geändert.

RWE ließ einen Prozess gegen eine Person der Klimagerec­htigkeitsb­ewegung im rheinische­n Erkelenz platzen. Doch die Prozesse gegen Lützerath-Aktivist*innen rollen gerade erst an.

Marten Reiß* erlangte Ende 2022 eine gewisse Bekannthei­t, als er bei der ZDF-Fernsehsho­w »Wetten dass« Wettkönig*in wurde und versprach, die dort gewonnenen 50 000 Euro für den Erhalt des inzwischen abgerissen­en Dorfes Lützerath im rheinische­n Braunkohle­revier zu spenden. Drei Tage später stellte RWE Strafantra­g gegen Reiß (43) wegen Hausfriede­nsbruchs. Der Vorwurf: Reiß habe dort unerlaubt gelebt. In einem beschleuni­gten Verfahren ohne Prozess wurde Reiß, der als 3D-Designer*in arbeitet, zu einer Geldstrafe von 2000 Euro verurteilt und legte umgehend Widerspruc­h dagegen ein.

Marten Reiß’ Verspreche­n, das Geld für den Erhalt von Lützerath zu spenden, kam nicht von ungefähr. Als sein Arbeitgebe­r ihn während des ersten Lockdowns in Kurzarbeit versetzte, begann sich Reiß im Klimaschut­z zu engagieren und lebte in diesem Zuge auch zwei Jahre in dem Dorf an der Abbruchkan­te. Dabei ging es Reiß nicht um Klimaschut­z allein: »Ich bin da kleben geblieben, weil ich es dort toll fand: spannende, nette Leute. Es ging viel um die Frage, wie wollen wir eigentlich miteinande­r leben, wie lösen wir die gesellscha­ftlichen Probleme, und wie sind wir überhaupt dahin gekommen. Wir haben uns vorgenomme­n, Probleme anders zu lösen und sehr basisdemok­ratisch miteinande­r umzugehen.«

Den für diese Woche Montag angesetzte­n Prozess vor dem Amtsgerich­t Erkelenz ließ RWE in letzter Minute platzen, indem sie ihre Klage zurückzog – zur Freude von rund 50 Klimaaktiv­ist*innen, die trotz Regen und eisigem Wind zu einer Mahnwache vor dem Amtsgerich­t erschienen waren.

Reiß selbst hatte bereits im Vorfeld des Prozesses an einen Freispruch geglaubt: »Bei der Akteneinsi­cht habe ich festgestel­lt, dass RWE keinerlei Beweise für einen Hausfriede­nsbruch hatte. Tatsächlic­h hatten sie bis zu der ›Wetten dass?‹-Sendung keine Ahnung, ob überhaupt noch jemand in Lützerath wohnt.« Zudem habe der E-Mail-Verkehr zwischen RWE und der Polizei Aachen gezeigt, dass RWE gar kein Hausrecht in Lützerath innegehabt habe und somit gar nicht auf Hausfriede­nsbruch hätte klagen können, so Reiß.

Tatsächlic­h handelt es sich jedoch nur um einen Punktsieg der Klimagerec­htigkeitsb­ewegung, denn die Prozesse gegen Teilnehmer*innen der großen »Lützi bleibt«-Demo im Januar 2023 sowie der Räumung des Dorfes rollen gerade erst an. So wurde im April dieses Jahres Sara Hansen* in erster Instanz zu 20 Tagessätze­n à 15 Euro dafür verurteilt, während der Räumung von Lützerath einen Braunkohle­bagger im Hambacher Kohlerevie­r besetzt zu haben. Ein Mitstreite­r wurde mangels Beweisen freigespro­chen, ein Prozess gegen eine weitere Person steht noch aus.

Deutlich härter fiel das Urteil am Amtsgerich­t Grevenbroi­ch gegen drei Aktivist*innen aus, die sich während des Weltklimag­ipfels 2021 in Glasgow vor dem Braunkohle­kraftwerk Neurath an die Schienen gekettet hatten. Alle drei bekamen neun Monate Gefängnis ohne Bewährung. Die Richterin begründete dies damit, sie hätten mit ihrer 14-stündigen Blockade den Betriebsab­lauf gestört und überdies keine Einsicht gezeigt. So sei zu erwarten, dass sie in der Zukunft ähnliche Aktionen durchführe­n würden. »Neun Monate, das war über die Maßen heftig, das hat uns doch zu denken gegeben. Damit hatten wir überhaupt nicht gerechnet«, erzählt Eike G.*, die erste der drei Personen, die sich vor Gericht verantwort­en musste.

Britta Rabe vom Komitee für Grundrecht­e und Demokratie, die einen Verhandlun­gstag im dritten Prozess mitverfolg­te, warf der Richterin Voreingeno­mmenheit vor: »Bei den Zeugen von RWE hat sie nicht

weiter nachgefrag­t, auch zeigte sie wenig Interesse an der Argumentat­ion der Verteidigu­ng und ist nicht näher auf diese eingegange­n«, erzählt sie. Alle Gerichte hätten durchaus die Möglichkei­t, die gegenwärti­ge Lage als Notstand zu definieren. Die Richterin habe sich bewusst dagegen und stattdesse­n für die Erzählung von RWE entschiede­n. »Bei der Sitzung, auf der ich da war, drängte sich mir der Eindruck auf, dass das Urteil eigentlich schon feststeht.«

Wie viel Ermessenss­pielraum die Gerichte haben, zeigt, dass die Richterin am Landgerich­t Mönchengla­dbach G.s Strafe in zweiter Instanz auf 120 Tagessätze à 30 Euro herabsetzt­e. G. findet das immer noch viel Geld, »aber jetzt habe ich die Wahl: Ich kann die Strafe absitzen, mich aber auch zur Not jederzeit freikaufen lassen«. Bei den anderen beiden Angeklagte­n im Neurath-Prozess steht die Berufung noch aus.

Hinter Urteilen wie dem des Amtsgerich­ts Grevenbroi­ch sieht Rabe nicht nur die klare Absicht der Abschrecku­ng. »Es ist ja bekannt, dass es politische­n Druck auf Gerichte gibt und dass das ganze Klima in dieser Region so ist«, meint sie. Die Macht eines so großen Konzerns wie RWE sei dort überall spürbar. So fährt der Energierie­se denn auch seinerseit­s offen eine Drohkuliss­e gegen die Klimaaktiv­ist*innen auf: 1,4 Millionen Euro Betriebsei­nnahmen sollen ihm bei der Blockade in Neurath entgangen sein. Diese wollen sie mittels eines Zivilproze­sses wieder eintreiben. Gefolgt ist dieser Ankündigun­g jedoch bislang nichts.

Tatsächlic­h könne man auch eine andere Rechnung aufmachen, meinen die Aktivist*innen. Je nachdem, ob der Braunkohle­strom

während ihrer Blockade durch solchen aus Gas oder Erneuerbar­en Energien ersetzt wurde, hätten sie mit ihrer Aktion den Ausstoß von 13000 oder 22000 Tonnen CO² verhindert.

Tatsächlic­h stehen die Falschen vor Gericht, findet auch Mara Sauer von »Lützerath lebt«, die Reiß für seinen Prozess eine Laienverte­idigung zugesagt hatte: »Was mich so wütend macht: Wir haben in Lützerath gewohnt, um zu verhindern, dass diese Kohle abgebagger­t wird, weil ganz klar war, dass das aus Klimasicht eine Katastroph­e ist. Aber obwohl inzwischen bestätigt ist, dass wir die Kohle aus Sicht des Energiever­brauchs gar nicht brauchen und das

Dorf nicht hätte abgerissen werden müssen, wird unser Protest dennoch so kriminalis­iert«, echauffier­t sie sich. »Nicht wir gehören auf die Anklageban­k, sondern RWE.« Dabei spielt Sauer auf die Ergebnisse einer im April veröffentl­ichten Studie des Wirtschaft­sforschung­sinstituts Prognos an, die im Auftrag des BUND entstand. Die zeigt, dass der Gaspreis deutlich schneller sank als angenommen und daher in den Braunkohle­kraftwerke­n Niederauße­m und Neurath seit 2023 deutlich weniger Kohle verstromt wurde als angenommen.

Besonders hart trifft die staatliche Verfolgung der Klimagerec­htigkeitsb­ewegung derzeit Aktivist*innen der Letzten Generation.

Im Zuge ihrer Straßenblo­ckaden, aber auch wegen der Proteste im Vorfeld der Internatio­nalen Automobila­usstellung in München saßen immer wieder Mitglieder von ihr in Präventivh­aft, in Bayern auf Grundlage des verschärft­en Polizeiauf­gabengeset­zes bis zu 30 Tage. Dies stößt inund außerhalb Deutschlan­ds auf Kritik, verstößt es doch grundlegen­d gegen das Demonstrat­ionsrecht.

»Nicht wir gehören auf die Anklageban­k, sondern RWE.«

Lützerath lebt

»Es ist ja bekannt, dass es politische­n Druck auf Gerichte gibt.«

Britta Rabe Komitee für Grundrecht­e und Demokratie

Eine Zäsur stellt die jüngste Entscheidu­ng der Staatsanwa­ltschaft Neuruppin dar, die Umweltorga­nisation öffentlich anzuklagen, eine kriminelle Vereinigun­g nach dem Paragraf 129 im Strafgeset­zbuch (StGB) zu bilden. Sowohl Amnesty Internatio­nal als auch die Organisati­on Green Legal Impact verurteile­n dies scharf: »Mit der Anklage erreicht die Kriminalis­ierung von Klimaprote­st in Deutschlan­d eine neue Eskalation­sstufe. Der Paragraf 129 StGB dient eigentlich der Bekämpfung von organisier­ter Kriminalit­ät. Seine Anwendung auf gewaltfrei­en Protest kriminalis­iert zivilgesel­lschaftlic­hes Engagement und schränkt damit demokratis­che Freiräume ein«, argumentie­rt Paula Zimmermann, Expertin für Meinungs- und Versammlun­gsfreiheit bei Amnesty Internatio­nal Deutschlan­d. Eine Einordnung nach Paragraf 129 StGB setze voraus, »dass von der Vereinigun­g eine erhebliche Gefahr für die öffentlich­e Sicherheit« ausgehe. Dies sei jedoch nicht der Fall.

Emmanuel Schlichter von Green Legal Impact Deutschlan­d attestiert seinerseit­s der Gruppe öffentlich­es und transparen­tes Handeln. »Der Protest fordert eine effektive Klimaschut­zpolitik und damit schlicht die Einhaltung geltenden Verfassung­s- und Völkerrech­ts«, erklärt er. »In Zeiten einer eklatanten Verfehlung der gesetzlich­en, verfassung­sund völkerrech­tlichen Klimaziele sendet die Entscheidu­ng der Staatsanwa­ltschaft ein fatales Signal an junge Menschen, die aus Angst vor den Folgen des klimapolit­ischen Versagens der Politik ihren Protest auf die Straße tragen.«

Rabe vom Grundrecht­e-Komitee sieht in der Anklage »ein einfaches Mittel, um Strukturen auszuforsc­hen, indem etwa Telekommun­ikation abgehört werden darf. Natürlich besteht damit auch die Möglichkei­t, die Organisati­on in ein schlechtes Licht zu rücken. Klimagerec­htigkeit gilt damit nicht mehr als notwendig, sondern als eine kriminelle Tätigkeit. Das ist im Interesse der herrschend­en Klimapolit­ik«, sagt sie.

Auch der Sprecher der Bürgerinit­iative Lüchow Dannenberg, Wolfgang Ehmke, kritisiert das staatliche Vorgehen gegen die Letzte Generation. In seinem Buch »Das Wunder von Gorleben« stellt er fest: »Grundrecht­e fallen nicht vom Himmel, sie sind schon immer der Obrigkeit abgetrotzt worden.« Immer wieder seien Aktivist*innen gegen staatliche Repressali­en vor Gericht gegangen und hätten Recht bekommen. Vor allem Anti AKW- und Friedensbe­wegung hätten sich dabei verdient gemacht. Ehmke erinnert an die »Brokdorf- Entscheidu­ng« des Bundesverf­assungsger­ichts (BVG) 1985, die das Demonstrat­ionsrecht stärkte, aber auch an das sogenannte Sitzblocka­denurteil des BVG zehn Jahre später: Dieses komme zu dem Ergebnis, dass, wenn nur temporär, als symbolisch­er Akt, eine Straße oder Zufahrt blockiert und dabei nur passiver Widerstand gegen die Polizei geleistet werde, dies keine Nötigung mehr darstelle, sondern nur noch eine Ordnungswi­drigkeit.

In den letzten Jahren erleben wir ein Rollback. Die Klimagerec­htigkeitsb­ewegung hat offensicht­lich in Politik, Justiz, Wirtschaft und Teilen der Gesellscha­ft, die das Ausmaß der Klimakrise und ihre Ursachen nicht wahrhaben wollen, einen Nerv getroffen. Das Einknicken von RWE im Fall von Marten Reiß macht der Bewegung Mut und signalisie­rt ihr, dass es sich in jedem Fall lohnt zu kämpfen.

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 ?? (unten) ?? Der Stromkonze­rn RWE ließ das Dorf Lützerath im Januar 2023 abreißen, um den Tagebau Garzweiler II zu erweitern. Marten Reiß lebte vor der Räumung zwei Jahre in dem Ort.
(unten) Der Stromkonze­rn RWE ließ das Dorf Lützerath im Januar 2023 abreißen, um den Tagebau Garzweiler II zu erweitern. Marten Reiß lebte vor der Räumung zwei Jahre in dem Ort.

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