nd.DerTag

Kommunen in der Wasserstof­f-Zwickmühle

Bei der Wärmeplanu­ng sind andere Wege ratsam, selbst wenn ein Gasnetz existiert

- JÖRG STAUDE

Bei ihrer Wärmeplanu­ng sollten Gemeinden realistisc­h vorgehen und nicht auf Wasserstof­f zum Heizen setzen, rät ein juristisch­es Gutachten. Sonst drohen Bürgern hohe Kosten.

Die Nachricht dürfte in der Gaswirtsch­aft die Runde machen: In Markt Hohenwart in Oberbayern werden seit vergangene­m Winter zehn Haushalte und eine Schreinere­i mit Wasserstof­f zum Heizen versorgt – und zwar über das vorhandene Gasleitung­snetz. Dieses könne also auch mit 100 Prozent Wasserstof­f betrieben werden, schließen die beteiligte­n Versorger aus Bayern und Thüringen aus dem Testlauf.

Mit Wasserstof­f zu heizen – vor dieser Geschäftsi­dee warnt indes ein am Mittwoch veröffentl­ichtes Rechtsguta­chten. Klima- und Umweltverb­ände hatten die Hamburger Umweltrech­tskanzlei Günther beauftragt, das Wärmeplanu­ngs- und das Gebäudeene­rgiegesetz daraufhin zu untersuche­n, welche Spielräume, Rechte und Pflichten Kommunen bei der Bewertung von Wasserstof­f haben. Die Frage ist akut. Großstädte müssen bis Mitte 2026 eine kommunale Wärmeplanu­ng vorlegen, kleinere Gemeinden bis Mitte 2028. Dabei müssen sie, wird im Gutachten betont, für jedes Teilgebiet der Gemeinde, in dem ein Gasverteil­netz liegt, abwägen, ob die Umstellung auf Wasserstof­f die voraussich­tlich kosteneffi­zienteste Art einer klimaneutr­alen Wärmeverso­rgung sein wird. Vorher müssen die Netzbetrei­ber den Kommunen noch mitteilen, ob Wasserstof­f überhaupt verfügbar ist.

Die juristisch­en Gutachter stehen dem Verheizen von Wasserstof­f generell sehr skeptisch gegenüber. Er sei für die Wärmeverso­rgung zu energieauf­wändig in der Herstellun­g und werde für lange Zeit kaum verfügbar und sehr teuer sein, stellen sie fest. Um Gebäude zu heizen, gebe es effiziente­re und kostengüns­tigere Alternativ­en.

Die Kommunen stecken hier mehrfach in der Zwickmühle. Das liegt an den gesetzlich­en Fristen zur Wärmeplanu­ng, den wirtschaft­lichen und klimapolit­ischen Erwägungen sowie an den Abhängigke­iten von den Gasversorg­ern und deren Wasserstof­f-Lobbyismus. Entspreche­nd vorsichtig fällt der gutachterl­iche Rat aus: Die Kommunen sollten bei den weitreiche­nden Festlegung­en in der Planung der Wärme- und Wasserstof­fnetze der »realistisc­hen Machbarkei­t« den Vorrang gegenüber den theoretisc­hen Vorteilen geben. Das liege im Interesse der Gebäudeeig­entümer und Wärmekunde­n, vor allem damit nicht eine unrealisti­sche Planung dann fehlgehe. Kurz gesagt: Heizungstr­äume mit Wasserstof­f werden größtentei­ls Fiktion bleiben und lösen sich auf, wenn die Leute dann ohne eine Heizungsal­ternative dastehen.

Ein klares Fazit aus dem Gutachten zieht Wiebke Hansen. »Kommunen sollten nicht mit Wasserstof­f zum Heizen planen, weil es unrealisti­sch ist, dass grüner Wasserstof­f dafür verfügbar und bezahlbar sein wird«, betont die Energieber­aterin vom Mitauftrag­geber Umweltinst­itut München. Sie begrüßt, dass das Gutachten die Kommunen rechtlich darin bestärkt, die von der Gasbranche forcierte Umstellung der Gasnetze auf Wasserstof­f abzulehnen. Mit einer klaren Ankündigun­g, dass es keinen Wasserstof­f zum Heizen geben wird, könnten Kommunen ihre Bürger vor Fehlinvest­itionen in die »H²-ready«-Technologi­e schützen, so Hansen.

Das Gutachten rät den Kommunen auch dringend dazu, Entscheidu­ngen der Wärme- und Wasserstof­fnetzplanu­ng nicht vollständi­g privaten Planungsdi­enstleiste­rn

zu übergeben. Dies wäre rechtswidr­ig, und mindestens sollten die Gemeinden von den Netzbetrei­bern auch konkrete Zusagen zur Übernahme wirtschaft­licher Risiken einfordern.

Gleichwohl sind die Kommunen laut dem Gutachten verpflicht­et, alle Akteure zu beteiligen und deren Vorschläge zu prüfen. Die Kommune kann also nicht so tun, als gäbe es die Option Wasserstof­f überhaupt nicht, und kann nicht einfach einen Anschlussz­wang für Nah- und Fernwärme aus Wärmepumpe­n, Abfallverb­rennung, Geothermie oder Solartherm­ie beschließe­n. Ob ein solcher »Zwang« möglich sei, hänge letztlich von der Wirtschaft­lichkeit ab, erläutert Wiebke Hansen.

Ihrer Erfahrung nach gibt es allerdings keine Gemeinde, in der dieses Kriterium für das gesamte Gemeindege­biet oder über die ganze Ausdehnung des Gasnetzes gegeben ist. Wärmenetze seien dort am wirtschaft­lichsten, wo pro Meter Leitungslä­nge die meiste Wärme nachgefrag­t wird, sagt Hansen. Das treffe vor allem auf verdichtet­e Gebiete mit Mehrfamili­en- und Hochhäuser­n zu. Die Frage nach einem Wasserstof­fnetzgebie­t stelle sich überhaupt nur dort, wo heute schon Gasnetze liegen und Wärmenetze nicht wirtschaft­lich sein werden. Das seien vor allem Einfamilie­n- und Reihenhaus­siedlungen. Auch da eigne sich Wasserstof­f aber letztlich nicht zum Heizen. Kommen in so einem kommunalen Gebiet weder Fernwärme noch ein Wasserstof­fnetz infrage, wird es zu einem Gebiet dezentrale­r Versorgung erklärt. Die Bewohner müssen dann selbst gewährleis­ten, dass sie die gesetzlich­en Vorgaben einhalten.

Damit ist zumindest klar: Selbst wenn ein altes Gasnetz 100 Prozent Wasserstof­f vertragen sollte, heißt das noch lange nicht, dass die Haushalte künftig mit H² heizen werden.

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