Vertrauen in die Justiz in Gefahr
Die Cum-ex-Ermittlerin Anne Brorhilker hatte recht: Staatsanwaltschaften fehlt Personal und sie sind zu abhängig von der Politik. Das gefährdet den Rechtsstaat, warnt Richter Peter Beckmann.
Viele Staatsanwaltschaften klagen über extremen Personalmangel. Jüngstes Beispiel ist die Staatsanwaltschaft Hannover: Laut Behördenleitung müssten die Mitarbeitenden rund 65 Stunden pro Woche arbeiten, um alle Fälle bearbeiten zu können. Das ist unzumutbar und gefährdet die Gesundheit der Mitarbeitenden. Solche Überlastungen bergen die Gefahr, dass Verfahren oberflächlich oder fehlerhaft bearbeitet werden, sich erheblich verzögern oder schlicht auf unbestimmte Zeit liegenbleiben. Oder sie drohen, nach dem Opportunitätsprinzip eingestellt zu werden, auch wenn dies nicht opportun ist, insbesondere bei schwierigen oder umfangreichen Verfahren mit engagierter Verteidigung.
Genau diese Gefahr benannte die Ermittlerin in Steuerstrafsachen Anne Brorhilker, bekannt durch ihre Ermittlungen zum Cum-Ex-Betrug, zu ihrem Abschied aus der Justiz mit den alarmierenden Sätzen: »Da geht es oft um Täter mit viel Geld und guten Kontakten, und die treffen auf eine schwach aufgestellte Justiz.« Und: »Dann haben wir den Befund: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.« Da verwundert es nicht, wenn das Vertrauen der Bevölkerung in die Demokratie und den Rechtsstaat sinkt.
Doch auch die Politik kann den Ausgang eines Verfahrens beeinflussen. Die Justizminister*innen haben ein Weisungsrecht gegenüber den Staatsanwaltschaften und können sie beispielsweise dazu auffordern, Ermittlungen aufzunehmen oder einzustellen. Dieses Weisungsrecht ist Teil einer Justizstruktur, die noch aus der Kaiserzeit stammt und sich in der NS-Zeit und auch lange Zeit danach bei der (Nicht-)Aufarbeitung des NS-Unrechts schon nicht bewährt hat. Diese Problematik hat auch der
Europäische Gerichtshof erkannt und den deutschen Staatsanwaltschaften untersagt, europäische Haftbefehle auszustellen, eben mangels Gewähr für ihre Unabhängigkeit von der Exekutive.
Beispielsweise fällt der VW-Dieselskandal in die Zuständigkeit einer niedersächsischen Staatsanwaltschaft, die gegenüber dem Justizministerium weisungsabhängig ist. Gleichzeitig sitzen Vertreter*innen derselben Landesregierung im VW-Aufsichtsrat. Ein weiteres Beispiel ist eine Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Osnabrück mitten im vergangenen Bundestagswahlkampf. Es ging um einen Durchsuchungsbeschluss gegen das Bundesjustizministerium. Das Verwaltungsgericht Osnabrück rügte die falsche Berichterstattung in dieser Mitteilung und formulierte deutlich, dass das Vorgehen der Staatsanwaltschaft geeignet gewesen sei, die Funktionsfähigkeit des Ministeriums und ihren Respekt vor anderen staatlichen Institutionen in Zweifel zu ziehen. Pikant war, dass das Bundesjustizministerium seinerzeit von der SPD geführt wurde, während eine CDU-Landesjustizministerin gegenüber der Staatsanwaltschaft Osnabrück weisungsbefugt war.
Unabhängig davon, ob es bei diesen Beispielen jemals Weisungen gab oder nicht, gefährdet schon allein der Anschein einer möglichen politischen Beeinflussung der Staatsanwaltschaft das Vertrauen der Bevölkerung in den Rechtsstaat.