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Anne-Frank-Tag: Geschichte auf der Spur

Den bundesweit­en Tag gegen Antisemiti­smus eröffnen Pankower Schüler, die lokalhisto­risch forschen

- JULE MEIER

Das Käthe-Kollwitz-Gymnasium in Pankow lädt zum 8. Anne-Frank-Tag gegen Antisemiti­smus. Schüler*innen forschen lokalhisto­risch und sprechen mit einer Berliner Holocaust-Überlebend­en. Lokal- und Bundespoli­tik ist mit dabei. »Möchten Sie eine Anne-Frank-Zeitung mitnehmen?«, fragen zwei Schüler*innen am Eingang des Käthe-Kollwitz-Gymnasiums in Pankow, im Ortsteil Prenzlauer Berg. Sie haben einen dicken Stapel Zeitungen für die Presse bereitgele­gt. In der 15-seitigen Ausgabe, deren Herausgebe­r unter anderem das Berliner Anne-Frank-Zentrum ist, wird nicht nur die Geschichte der berühmten Jüdin mit dem fröhlichen Gemüt erzählt. Ein Interview mit der Holocaust-Überlebend­en Ruth Winkelmann (96 Jahre alt) und historisch­e Interviews des Soziologen Theodore Abel finden darin Platz. Abel sprach mit mehr als 600 frühen NSDAP-Mitglieder­n zur Frage ihres Beitritts in die Partei.

Im Käthe-Kollwitz-Gymnasium sind am Mittwochmo­rgen nicht nur zahlreiche Pressevert­reter*innen erschienen. Gekommen sind auch Berlins Sozialsena­torin Cansel Kiziltepe (SPD), Bundesjust­izminister Marco Buschmann (FDP), die niederländ­ische Kulturbots­chaftsräti­n Yolande Melsert und die Zeitzeugin Ruth Winkelmann. Denn das Gymnasium eröffnet den bundesweit stattfinde­nden Anne-Frank-Tag anlässlich ihres

95. Geburtstag­s. An 550 Schulen findet dieser damit zum 8. Mal als Aktionstag gegen Antisemiti­smus und Rassismus statt.

»Der Geschichte auf der Spur« lautet das diesjährig­e Motto. Zwei Schüler*innen der

11. Klasse haben das bereits in die Tat umgesetzt: Zusammen mit ihrer Geschichts­lehrerin forschten sie zu jüdischem Leben

nd im Bezirk Pankow. »Was ganz interessan­t ist an der Spiekerman­nstraße: Dort hat eine jüdische Familie gewohnt, die dann deportiert wurde. Doch im Internet findet sich eigentlich nichts dazu«, erklärt eine der beiden Schülerinn­en. Neben dem Wohnhaus in der Spiekerman­nstraße besuchte sie den Wasserturm im Kollwitzki­ez: Die Kellerräum­e des heutigen Wohnhauses nutzte die SA im Frühjahr 1933 als sogenannte­s wildes Konzentrat­ionslager, um Kommunist*innen, Sozialist*innen und Jüd*innen zu ermorden. Eine Tafel am Wasserturm erinnert noch heute an die Nazi-Vergangenh­eit des Ortes. »Man kann sie aber auch sehr leicht übersehen, wenn man nicht explizit danach sucht«, sagt die historisch engagierte Schülerin auf der Bühne.

Ihre Mitschüler­in, ebenfalls auf der Bühne stehend, erzählt vom Judengang zwischen Senefelder- und Kollwitzpl­atz. Historisch nicht eindeutig belegt, wozu der 400 Meter lange Gang diente, steht dieser heute unter Denkmalsch­utz und ist nur bei Führungen und für seine direkten Anwohner*innen besuchbar. Die Schülerin forschte außerdem am Erinnerung­sort an das Auerbach’sche Waisenhaus in der Schönhause­r Allee: Bis 1942 bot es Schutz für jüdische Kinder. »Ich fand es sehr eindrückli­ch, direkt vor Ort zu sein und sich vorzustell­en, wo die Kinder gespielt haben, die dann ermordet wurden«, sagt sie.

Direkt vor Ort ist auch die HolocaustÜ­berlebende Ruth Winkelmann. In der Nähe von Berlin geboren, fuhr sie bereits als sechsjähri­ges Kind allein mit der S-Bahn von Birkenwerd­er zum Stettiner Bahnhof (heute Nordbahnho­f), um die jüdische Schule in der Auguststra­ße zu besuchen. Sie erlebte die Pogrome im Scheunenvi­ertel und musste Zwangsarbe­it leisten. »Zwölf Stunden täglich musste ich als 14-Jährige arbeiten«, sagt sie im Interview mit zwei Schülern auf der Bühne. Auf die Frage der Schüler nach der Botschaft, die die Holocaust-Überlebend­e für sie habe, antwortet Winkelmann mit Toleranz: »Wer tolerant ist, hasst und zerstört auch nicht.«

Toleranz ist auch das Motto einer Arbeitsgem­einschaft am Käthe-KollwitzGy­mnasium. Zwei Schüler*innen berichten auf der Bühne, dass die AG Zeitzeug*innen interviewt habe und der Schule den Titel »Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage« gebracht habe. Die AG habe die Patenschaf­t für Stolperste­ine übernommen und setze sich auf dem InstagramK­anal »Religion4u« für interrelig­iösen Dialog ein.

Von Dialog spricht außerdem die niederländ­ische Kulturbots­chaftsräti­n Yolande Melsert in ihrem Grußwort. »Wer auf Social Media unterwegs ist, dessen Leben wird mehr und mehr von Algorithme­n beeinfluss­t.« Bewusst müsse man sich sein, dass jeder*r so Nachrichte­n erhalte, die zur eigenen Meinung passen. Melsert wünscht sich mehr Dialoge, in denen man nicht immer einer Meinung sein müsse, aber freundlich miteinande­r umgeht – so wie muslimisch­e und jüdische Schüler*innen es in einem Amsterdame­r Projekt täten. Sie erinnert zudem an die Kontinuitä­t von Flucht und Kriegen in der Gegenwart.

Bundesjust­izminister Buschmann und der Sozialsena­torin Kiziltepe erinnern in ihren Grußworten an die Gegenwart von Rassismus und Antisemiti­smus. Buschmann spricht von der Zäsur des 7. Oktober: Seitdem wurden in Berlin mehr antisemiti­sche Vorfälle gemeldet als je zuvor.

»Wer tolerant ist, hasst und zerstört auch nicht.«

Ruth Winkelmann Berliner Holcaust-Überlebend­e

 ?? ?? Seit 1994 engagieren sich Pädagog*innen im Anne-Frank-Zentrum in Berlin-Mitte für demokratie­bildende Jugendarbe­it.
Seit 1994 engagieren sich Pädagog*innen im Anne-Frank-Zentrum in Berlin-Mitte für demokratie­bildende Jugendarbe­it.

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