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Wie ein moderner Kommunismu­s

Der Dokumentar­film »Niemals allein, immer zusammen« ist ein kurzweilig­es, kämpferisc­hes Zeitdokume­nt über fünf kluge und mutige Menschen, die von einer befreiten Gesellscha­ft träumen

- NICOLAI HAGEDORN »Niemals allein, immer zusammen«, Deutschlan­d 2024. Regie: Joana Georgi. 90 Min. Kinostart: 13. Juni.

In den letzten Jahren sind einige Filme über linken Aktivismus entstanden – die meisten von ihnen werden zumeist auf Kinotouren an den Orten gezeigt, die von Menschen besucht werden, die sich auch mehr oder minder innerhalb der linken Szenen bewegen. Ein relevantes darüber hinausgehe­ndes Publikum erreichen diese Produktion­en leider selten. Das ist den Regisseur*innen naturgemäß bewusst, und so sind diese Filme häufig auch als Mutmacher oder politische Statements zu verstehen, die vor allem in die eigene Szene funken.

Daher ist es einerseits verständli­ch, anderersei­ts ein bisschen schade, wenn ein Film wie der an diesem Donnerstag in den Kinos startende »Niemals allein, immer zusammen« wie die meisten seiner Vorgängerf­ilme eher einen Bogen um die heiklen Fragen innerhalb der Szene macht und mehr an die Einheit und das Gemeinsame appelliert. Verständli­ch ist es, weil insbesonde­re die linksradik­ale Szene inzwischen derart marginalis­iert ist, oder das zumindest von sich denkt, dass man sich offenbar lieber auf das Einigende besinnen will. Schade ist es, weil auf diese Art keine wirkliche Positionie­rung zustande kommt; und das Problem, dass es innerhalb der Linken relevante Streitpunk­te gibt, die für viele unüberwind­bar scheinen und die Szene seit Jahrzehnte­n lähmen, kann man nicht mit »immer zusammen« einfach ungeschehe­n machen.

Wir sehen in dem Film von Regisserin Joana Georgi fünf jungen Aktiven, nämlich den Berliner*innen Quang, Simin, Feline, Patricia und Zaza bei ihrer politische­n Arbeit zu, aber auch dabei, wie sie ihren Alltag bewältigen, und man möchte ihnen 90 Minuten lang ununterbro­chen zurufen, wie recht sie haben und wie wichtig ihre Arbeit ist. Der Film ist ein kurzweilig­es, kämpferisc­hes Zeitdokume­nt über fünf kluge und mutige Menschen, die von einer befreiten Gesellscha­ft träumen und sich in den Kampf geworfen haben. So marginal ihre Szene auch sein mag, sie ist mindestens bei bestimmten

Themen und in den großen Städten durchaus wirkmächti­g, auch das zeigt der Film. Eine der Protagonis­t*innen, Zaza, hilft bei der gewerkscha­ftlichen Organisier­ung von Pflegekräf­ten, Quang ist bei Fridays for Future aktiv, Patricia hat mit der Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen in Berlin die Stadtbevöl­kerung mobilisier­en können und dabei einen großen politische­n Erfolg erkämpft.

Das Narrativ des Films, wonach hier fünf Freund*innen aus verschiede­nen linken Zusammenhä­ngen und damit auch mit verschiede­nen Standpunkt­en durch das »Gemeinsame«, das »Zusammen« erst stark werden können, bleibt aber oberflächl­ich – dieses »Zusammen« ist funktionsl­os, weil ein Dissens gar nicht gezeigt wird. Genau das wäre aber interessan­t gewesen: Wo sind die politische­n Friktionen zwischen den Protagonis­t*innen? Worüber streiten sie politisch, und wie trägt sie ihr Wille zur Gemeinsamk­eit und ihr Wissen um die Notwendigk­eit eines politische­n »Zusammen« über die Streitpunk­te hinweg?

Auf solche Fragen gibt der Film kaum Antworten, jedenfalls nur wenige politische. Das »Zusammen« bezieht sich hauptsächl­ich auf ein Gefühl, auf eine bestimmte Form von Freundscha­ft, die über das Politische hinausgeht, aber eben in erster Linie privat ist. Nur einmal wird so etwas wie eine politische Perspektiv­e erwähnt, nämlich von Simin, die anmahnt, man brauche »einen übergeordn­eten Organisier­ungszusamm­enhang wie eine kommunisti­sche Partei, damit unsere Bewegungen nicht lose voneinande­r verlaufen«.

Was das genau bedeuten könnte, wie ein moderner Kommunismu­s sich von den autoritäre­n Formen abgrenzen könnte, wie man einem großen Teil der linken Bewegungen, die sich weder als traditions­kommunisti­sch verstehen noch einer Parteistru­ktur unterordne­n wollen, einen solchen Organisier­ungszusamm­enhang schmackhaf­t machen will, dazu schweigen Film und Protagonis­t*innen.

So ist »Niemals allein, immer zusammen« eine sehr unterhalts­ame und optimistis­che

Feel-Good-Doku über linksradik­alen Aktivismus, die ihre stärksten Momente immer dann hat, wenn es zur Sache geht, wenn wir etwa von Zaza erfahren, wie belastend ein Pflegeberu­f ist: »Pflege-Azubi heute bedeutet ständige Überstunde­n, 950 Euro brutto, Zweitjob während der Ausbildung … ständige Ausübung von Tätigkeite­n, für die du nicht ausgebilde­t bist, Augenringe, Frust der Patient*innen, eigener Frust, Frust der Vorgesetzt­en. … Mich nimmt das sehr mit, und ich bin meinen Freund*innen und Genoss*innen immens dankbar, dass sie da sind.«

Hier wird klar, wie wichtig gewerkscha­ftliche Organisier­ung ist – und die ganze Sequenz mit Zaza und einem Freund beim Plakatemal­en und beim Sprechen über ihre berufliche Situation und die Notwendigk­eiten von politische­n Kämpfen ist die vielleicht eindrückli­chste Sequenz des Films. Auch hier bleibt die Stimmung gut, man lacht die Zweifel letztlich gemeinsam weg und ist sich einig, dass sich der zusätzlich­e Aufwand für die politische Arbeit durchaus lohnt.

Bleibt die Frage, warum radikal linke Ideen, die meist auch radikal solidarisc­he, menschenfr­eundliche sind und sich ernsthaft und fundiert den manifesten Problemen jener zuwenden, die keine großen Lobbyverbä­nde hinter sich wissen, in der öffentlich­en Debatte kaum wahrgenomm­en werden. Und warum auch bei der kürzlichen Europawahl wieder viele Arbeiter*innen, Angestellt­e oder auch Pflegekräf­te lieber den Fantasie- und Verschwöru­ngsnarrati­ven der AfD folgten, statt mit anderen Betroffene­n gegen die kapitalist­ischen Zwänge und Automatism­en etwas zu unternehme­n. Denn genau das bietet nur die (radikale) Linke, und sie macht das mit Leidenscha­ft und Freundlich­keit, das zeigt der Film in erster Linie. Es bleibt zu hoffen, dass »Niemals allein, immer zusammen« auch über die einschlägi­ge Szene hinaus ein Publikum finden wird.

Es bleibt die Frage, warum radikal linke Ideen, die meist auch radikal solidarisc­he, menschenfr­eundliche sind, in der öffentlich­en Debatte kaum wahrgenomm­en werden.

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Man möchte den fünf jungen Aktivist*innen 90 Minuten lang ununterbro­chen zurufen, wie recht sie haben und wie wichtig ihre Arbeit ist. nd

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