Erinnerungen an eine Pazifistin
Der Sound meiner Kindheit, der mich jeden Abend zum Einschlafen begleitete, war das hohe metallische Klackern und Ticken einer Torpedo. Unterbrochen nur durch das glockenartigeSchellen am Ende einer jeden getippten Zeile. Dann das Ratschen, wenn der Hebel des Wagenrückzugs betätigt wurde, der Papierzylinder mechanisch weiterdrehte und der immergleiche Klangteppich erneut gewebt wurde. Die schwarze Torpedo, eine gusseiserne Typenhebel-Schreibmaschine, die vermutlich in den 1930er-Jahren gefertigt wurde, stand in unserer Bibliothek. Von dort fiel der Lichtschein über den dunklen Flur bis in mein Kinderzimmer. Denn die Tür musste weit offen bleiben. »Du kannst mich ja noch hören«, sagte meine Mutter tröstend nach dem Gute-Nacht-Kuss ...
Viel wird in diesem Buch noch gesagt werden über das, was meine Mutter geschrieben hat. Ich möchte vorweg erzählen, wie sie geschrieben hat ... Mir schien es immer, dass sie mit dem, was niedergeschrieben werden musste, für eine längere Zeit schwanger ging. Sie tigerte oder vielmehr pantherte von rechts nach links durch ihre Wohnung. Erledigte die lästigen Dinge, die den Schreibtisch belegten, ehe sie mit dem Wichtigen beginnen konnte. Das leere Papier hat sie nicht geschreckt, und doch musste es erst den richtigen Moment geben, die nötige Ruhe, bis der Text nahezu druckreif, in jedem Fall aber mit einer eindeutigen Idee im Kopf, einer festen Gliederung und Struktur aufs Papier floss ... Sie war überzeugte, bekennende, trotzige Pazifistin mit einer im wahrsten Sinne entwaffnenden Argumentationsstärke. Sie hat sich dort hingewagt, wo es nichts zu gewinnen gab. In den Dialog mit der Roten Armee Fraktion, um einen Ausweg aus dem Terror zu suchen. In den Austausch mit China und dem Dalai Lama in Tibet, um einen Lösungsansatz zu finden. Sie hat das gellende Pfeifkonzert auf dem Sudetendeutschentag ertragen, bis der Weg für die deutschtschechische Aussöhnung geebnet war. Und als der Pazifist in den vergangenen Jahren bereits zum Schimpfwort wurde, waren ihre Texte für die, die an diese Utopie noch glauben wollten, ein Halt.
Aus dem Vorwort von Johann Vollmer zu dem Sammelband »Den Krieg verlieren. Zum Vermächtnis einer Pazifistin: Antje Vollmer« (VSA, 128 S., br., 12 €).