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Unverfrore­n eigenwilli­g

Julio Torres’ Indie-Komödie »Problemist­a« karikiert das US-Einwanderu­ngssystem

- GABRIELE SUMMEN »Problemist­a«: USA 2023. Regie: Julio Torres. Mit: Julio Torres, Tilda Swinton, RZA. 98 Minuten. Start: 13.6.

Nur, wer sein Ziel kennt, findet den Weg«, schrieb der Philosoph Laotse im sechsten Jahrhunder­t vor Christus. Die schier unüberwind­baren Hürden der US-Einwanderu­ngspolitik hatte er damals bestimmt noch nicht im Blick. Alejandro, ein Immigrant aus El Salvador, der in New York lebt, kennt sein Ziel eigentlich ganz genau: Er will Spielzeuge­ntwickler bei der Firma Hasbro werden. Doch das kafkaeske US-Einwanderu­ngssystem macht es Alejandro, der von dem Regisseur, Autor und Ko-Produzente­n Julio Torres selbst gespielt wird, fast unmöglich, sein Ziel zu erreichen.

Isabella Rossellini erzählt wie eine Märchentan­te aus dem Off seine in magisch-realistisc­hen Bildern eingefange­ne Geschichte:

Zu Beginn jobbt Alejandro bei einem Unternehme­n, bei dem man sich einfrieren lassen kann, um sich in einer technisch weiter entwickelt­en Zukunft hoffentlic­h wieder auftauen zu lassen. Alejandro ist für den erfolglose­n Maler Bobby (RZA) zuständig, der sich aufgrund seiner Krebserkra­nkung dieser Prozedur anvertraut hat. Doch da Alejandro über das Kühlschran­kkabel stolpert und so kurz die Stromverso­rgung unterbrich­t, wird er gnadenlos gefeuert. Nun hat er genau einen Monat Zeit, einen weiteren Arbeitgebe­r zu finden, bevor er ausgewiese­n wird.

Bobbys Ehefrau Elizabeth, eine überspannt­e Kunstkriti­kerin, die gewohnt großartig von Tilda Swinton verkörpert wird, engagiert ihn als ihren Assistente­n und will sein Visum mitunterze­ichnen; aber nur, wenn es ihm gelingt, gemeinsam mit ihr eine Ausstellun­g der 13 scheußlich­en Eierbilder ihres verkannten Künstler-Ehemanns zu organisier­en.

Doch so eine Chefin wie Elizabeth wünscht man seinem ärgsten Feind nicht:

Hysterisch, paranoid und ausgesproc­hen unhöflich gegenüber anderen, hält sie den süß-schüchtern­en Alejandro auf Trab.

Ein extrem gegensätzl­iches Paar, was in vielen Filmen auch funktionie­rt, jedoch geht einem die Zurückgeno­mmenheit und Ausdrucksl­osigkeit Alejandros nach einer Weile auf die Nerven und verstärkt den Eindruck, dass der Film zuweilen auf der Stelle tritt.

Doch womöglich tut man dem Millenial Torres ein wenig Unrecht, vielleicht kommt sein gutmütig-verträumte­r Alejandro bei einem jüngeren Publikum besser an. In Amerika feierte er auf jeden Fall mit seinem lakonische­n Humor, dem er als Stand-up-Comedian bei »Saturday Night

Live« ebenso frönt, bereits beachtlich­e Erfolge. Auch die innovative Horror-ComedySeri­e »Los Espookys«, bei der Torres einen der Protagonis­ten spielt und ebenfalls am Skript mitgeschri­eben hat, löste bei vielen Begeisteru­ngsstürme aus.

Und Torres’ Debütfilm hat durchaus hübsche Ideen und großartige Momente: So imaginiert Alejandro eine Sanduhr, die seinen schwindend­en Aufenthalt­sstatus versinnbil­dlicht. Bei der Einwanderu­ngsbehörde beobachtet der fantasievo­lle Alejandro einmal, wie eine Frau, deren Aufenthalt­sstatus abgelaufen ist, sich in Luft auflöst. Auch der verworrene Bürokratie­marathon, den Alejandro zu absolviere­n

nd hat, wird durch ein stufenförm­iges Labyrinth, das an Terry Gilliams Film »Brazil« denken lässt, ansprechen­d veranschau­licht.

Seine Joberfahru­ng bei Craigslist, einer Online-Kleinanzei­gen-Webseite, führt vor Augen, wie erniedrige­nd die meisten Arbeitsmög­lichkeiten für Immigrante­n sind. In seiner Verzweiflu­ng putzt Alejandro sogar einmal halbnackt Fenster für einen Fetischist­en. Doch wirkt diese Szene leider, wie andere auch, als hätte man ihr die Humorspitz­en gekappt.

Man wird nicht recht schlau aus Torres’ Protagonis­ten, der federnd durch das Leben schlappt. Selbst seine Hintergrun­dgeschicht­e, die ansatzweis­e in Rückblende­n erzählt wird, mit einer künstleris­ch ambitionie­rten Mutter, die eine traumhafte Umgebung für ihn erschuf, gewährt kaum tiefere Einblicke in seinen Charakter. Die Elizabeth vergönnten Rückblende­n mit ihrem Ehemann, den sie aufrichtig liebte, funktionie­ren da schon besser, hier darf sich Swinton auch einmal von ihrer sanften Seite zeigen, sodass ihre Figur nicht zur Karikatur verkommt.

Doch womöglich tut man dem Millenial Torres ein wenig Unrecht, vielleicht kommt sein gutmütig-verträumte­r Alejandro bei einem jüngeren Publikum besser an.

Doch im Gegensatz zu Bobby braucht Torres sich nicht einfrieren lassen, um einer verheißung­svolleren, künstleris­chen Zukunft entgegenzu­sehen. Seine unverfrore­n eigenwilli­ge Indie-Komödie hat interessan­te Ansätze, scheitert aber zuweilen an seinem Humor, der nicht jedermanns Sache ist, sowie daran, dass seine ironische Darstellun­g der amerikanis­chen Einwanderu­ngsbestimm­ungen pointierte­r hätte ausfallen müssen.

Dennoch kann man das Vertrauen, das die Filmproduk­tionsfirma A24 in ihn steckt, durchaus nachvollzi­ehen. Haben deren Verantwort­liche doch in der Regel einen guten Riecher für außergewöh­nliche Regisseure und Produktion­en. Beispielsw­eise gehen großartige Filme wie die Science-Fiction-Komödie »Everything Everywhere All at Once«, das Liebesdram­a »Past Lives« und der in einer nahen Zukunft spielende Actionfilm »Civil War« auf ihr Konto.

»Der Weg ist das Ziel«, wie ein anderer chinesisch­er Philosoph vor mehr als zweieinhal­btausend Jahren schrieb. Man darf also durchaus auf Torres’ nächsten Film gespannt sein.

 ?? ?? So schaut man drein, wenn man mit Behörden zu tun hat.
So schaut man drein, wenn man mit Behörden zu tun hat.

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