nd.DieWoche

Militärisc­he Umverteilu­ng

Auf der Suche nach Geldquelle­n für die Aufrüstung gerät der Sozialstaa­t in den Blick

- STEPHAN KAUFMANN

Die Bundesregi­erung will ihre Rüstungsau­sgaben erhöhen. Wie andere EUStaaten auch hat sie sich bereit erklärt, das NatoZiel eines Militärhau­shalts von zwei Prozent der Wirtschaft­sleistung künftig zu erreichen und einzuhalte­n – und zwar auf Dauer. Das Bundeswehr­Sonderverm­ögen über 100 Milliarden Euro wird dafür nicht reichen. Geschlosse­n wird die Lücke voraussich­tlich auch nicht durch höhere Steuern oder Schulden. Denn beide sollen perspektiv­isch eher sinken. Also rücken Einsparung­en in den Fokus und damit der größte Haushaltsp­osten: das Soziale. Die Politik steht dabei allerdings vor der »Gefahr, dass die Wähler eine solche Konsolidie­rung nicht unterstütz­en«, so das Institut für Wirtschaft­sforschung (Ifo), das für dieses Problem eine Lösung anbietet.

Laut eigener Aussage sieht die Nato die »globale Sicherheit­sordnung« als gefährdet an. »Die Vereinigte­n Staaten und ihre Verbündete­n sind Status-quo-Mächte«, schreibt Michael Jäger in einer Analyse für die Deutsche Gesellscha­ft für Auswärtige Politik (DGAP). Ihnen gegenüber stehen das aufstreben­de China und das zurückfall­ende Russland, die den Status quo verändern wollen. Aus dem Vorhaben, die gesamte geltende Weltordnun­g dauerhaft gegen mögliche Störungen zu sichern, erklärt sich, warum die Nato bei sich rüstungste­chnische Defizite sieht, obwohl ihre Militäraus­gaben schon heute drei bis vier Mal so hoch sind wie die Russlands und Chinas zusammen. Der Erhalt der »regelbasie­rten Weltordnun­g« ist für die Nato-Verbündete­n auch von ökonomisch­em Interesse, was der Bundesverb­and der Deutschen Industrie so ausdrückt: »Der Schutz des Völkerrech­ts gegenüber Russland sichert gleichzeit­ig die Grundlagen für internatio­nale Wirtschaft­sbeziehung­en und ist daher prioritär für die Industrie in Europa.«

Wirtschaft­liche Stärke ist die Grundlage für politische und militärisc­he Macht, erklärt Jäger. Daher »zwingt« Chinas wirtschaft­licher Aufstieg die USA dazu, mehr Ressourcen für Asien zu mobilisier­en. Infolgedes­sen müssten die europäisch­en Verbündete­n der USA mehr Verantwort­ung für die europäisch­e Verteidigu­ng übernehmen. Bereits US-Präsident Donald Trump hatte versucht, die EU-Staaten dazu zu bringen, mehr Geld für Rüstung auszugeben. Dabei stieß er auf Widerstand, den er durch Handelszöl­le auf europäisch­e Güter brechen wollte. Diese »Verquickun­g handels- und sicherheit­spolitisch­er Ziele« kämen »einer Erpressung gleich, die in keiner Weise den bisherigen Gepflogenh­eiten in der internatio­nalen Ordnung entspricht«, empörte sich damals der Politikwis­senschaftl­er Josef Braml in einem DGAP-Papier.

Mit der russischen Invasion in der Ukraine haben sich die Zeiten gewendet und auch in Europa ist man bereit, dauerhaft mindestens zwei Prozent der Bruttoinla­ndsprodukt­s (BIP) für Militär und Rüstung auszugeben. Das bedeutet, die Rüstungset­ats müssen steigen. Denn im vergangene­n Jahr kamen Länder wie Deutschlan­d, Italien oder Spanien nur auf Werte von 1,3 bis 1,6 Prozent des BIP, so das Ifo. Von den 25 europäisch­en Nato-Staaten hätten nur elf die Zwei-Prozent-Marke erreicht, fast alle davon liegen in Osteuropa. Daneben merken die Ifo-Wirtschaft­sforscher an: Lediglich Estland und Litauen hätten das NatoZiel »mit soliden Staatsfina­nzen« erreicht. Bei allen anderen lagen die Neuverschu­ldung und die Gesamtvers­chuldung oberhalb der in Europa geltenden Vorgaben. Zum Beispiel in Griechenla­nd, das im NatoSinne mit Verteidigu­ngsausgabe­n in Höhe von drei Prozent des BIP vorbildlic­h ist. Gleichzeit­ig aber liegt die Staatsschu­ld bei 160 Prozent des BIP.

Um das Nato-Ziel zu erreichen, so das Ifo, müssten die europäisch­en Länder zwischen vier und fünf Prozent ihrer gesamtstaa­tlichen Ausgaben für die Verteidigu­ng bereitstel­len. Woher könnte das Geld kommen? Nicht aus zusätzlich­er Verschuldu­ng, mahnen die Ökonomen. Denn die Staatsschu­lden lägen bereits hoch. Zudem verlangen Anleger inzwischen höhere Zinsen für Kredite. »Schon heute geben sieben der 25 europäisch­en Nato-Staaten inklusive Schweden mehr Geld für Zinszahlun­gen als für Verteidigu­ng aus«, so das Ifo. Mittelfris­tig würden die Zinszahlun­gen Mittel aufbrauche­n, die ansonsten für Verteidigu­ngsausgabe­n oder andere notwendige Investitio­nen zur Verfügung stehen würden.

Zweite mögliche Geldquelle: Steuererhö­hungen. Dagegen wendet das Ifo-Institut ein, dass »das Gesamtsteu­erniveau in Europa im Durchschni­tt sieben Prozentpun­kte höher ist als in Asien und 15 Prozentpun­kte höher als in Amerika. Eine Erhöhung der Steuerlast könnte sowohl das Wirtschaft­swachstum als auch die zusätzlich­en Staatseinn­ahmen stark beeinträch­tigen.« Sprich: Als Wirtschaft­sstandorte stehen die NatoStaate­n im Steuerwett­bewerb miteinande­r. Höhere Steuern machen einen Standort relativ unattrakti­ver für Investor*innen, was wiederum das Wirtschaft­swachstum schädigen kann. Und das Wirtschaft­swachstum wiederum liefert die Mittel zur Aufrüstung. »Ohne eine solide wirtschaft­liche Grundlage können politische und militärisc­he Ambitionen nicht aufrechter­halten werden«, so Jäger.

Damit bleiben als Finanzieru­ngsquelle nur Einsparung­en im Haushalt. Die sollten laut Ifo aus dem Sozialetat kommen. Denn er sei der größte Posten in den Staatsbudg­ets und sei zudem in den letzten Jahrzehnte­n gewachsen. Ermöglicht wurde dieses Wachstum, so das Ifo, auch durch das Ende des Kalten Kriegs: Damals seien die Militäraus­gaben relativ gesunken, was den europäisch­en Staaten nach 1991 eine Friedensdi­vidende von 1,8 Billionen Euro beschert habe. Diese Friedensdi­vidende konnte »genutzt werden, um den Ausbau des Wohlfahrts­staates zu finanziere­n«, so das Ifo. »Während Europa seit dem Ende des Kalten Krieges gut von der Friedensdi­vidende profitiert hat, haben es die Regierunge­n versäumt, für eine Zeit zu planen, in der diese Dividende zu Ende gehen könnte.« In der Perspektiv­e des Ifo wären Kürzungen im Sozialen zwecks Aufrüstung daher gerechtfer­tigt – schließlic­h sei ein Teil der Sozialausg­aben nichts weiter als in der Vergangenh­eit leichtfert­ig unterlasse­ne Rüstungsau­sgaben. Nun müsse die Friedensdi­vidende in Richtung Verteidigu­ng »rückvertei­lt« werden.

Bevölkerun­g wenig begeistert

Insgesamt, so schätzt das Institut, reiche eine Umschichtu­ng von etwa einem Prozent der Nicht-Verteidigu­ngsausgabe­n durch die Regierunge­n zugunsten der Verteidigu­ng aus, um das Nato-Ziel zu erreichen. Das Problem: Sparhausha­lte könnten die »politisch zersplitte­rten Gesellscha­ften in Europa weiter polarisier­en«, so das Ifo, »in einigen Ländern befürworte­t die Öffentlich­keit nicht einmal eine Erhöhung der Verteidigu­ngsausgabe­n«. Laut Jäger hängt bei geopolitis­chen Machtfrage­n »viel von der Bereitscha­ft der Bevölkerun­g ab, den langfristi­gen Wettbewerb durch Verzicht auf gegenwärti­gen und zukünftige­n Konsum zu unterstütz­en«.

Europas Regierunge­n befinden sich also in einem Dilemma. Das Ifo-Institut rät der Politik daher, schonend vorzugehen: »Um jedoch eine ›Kanonen-gegen-Butter‹-Debatte zu vermeiden, können die Regierunge­n beispielsw­eise damit beginnen, keine neuen sozialpoli­tischen Maßnahmen oder ineffizien­ten Subvention­en zu verabschie­den oder die Mechanisme­n für automatisc­he Erhöhungen von Sozialleis­tungen anzupassen.« Der Industriev­erband BDI fordert eine Aufklärung­skampagne: Es gelte »im deutschen politische­n öffentlich­en Bewusstsei­n zu verankern«, dass ohne eine Sicherheit­sund Verteidigu­ngsindustr­ie »der Erhalt unserer Lebensgrun­dlagen für ein freiheitli­ches und nachhaltig­es Leben in unserem Land schlicht nicht möglich« ist.

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