Von der Ethik der Rüstungsaktien
Die Waffenindustrie will sich über nachhaltige Geldanlagen finanzieren
Grüne, soziale und nachhaltige Geldanlagen liegen im gesellschaftlichen Trend. ESG-Investments könnten bis 2026 auf 1,6 Billionen Euro zulegen, lautet das optimistische Ergebnis einer Befragung von Investoren durch die Unternehmensberatung PwC. Die Abkürzung ESG steht für Environmental, Social and Governance (Umwelt, Soziales und Unternehmensführung). Treiber des Trends zu Grüngeld-Anlagen sind Gesetze der Europäischen Union. Es liegt nahe, dass auch die Rüstungsbranche etwas von dem aufgehenden Kuchen abbeißen möchte.
Der Ukraine-Krieg hat Europa zwar einen Rüstungsboom beschert. Doch Panzer, Drohnen und Munition sind kostspielig. Da die Staatskassen infolge der seit der Corona-Pandemie schwächelnden Wirtschaft nicht mehr prall gefüllt sind, sollen Investoren, Fonds und Vermögensverwalter mehr
Geld in Militär-Anlagen investieren. In vielen politischen und wirtschaftlichen Kreisen wird die Investition in Waffen heute (wieder) als ethisch vertretbar angesehen. NatoGeneralsekretär Jens Stoltenberg forderte wiederholt, mehr Geld für Waffen bereitzustellen. Stoltenberg argumentiert, dass es »nichts Unethisches an der Verteidigung unserer Freiheit« gebe. Warum also nicht »grünes« Geld in »grüne« Rüstung investieren?
Aus Sicht der Waffenindustrie könnte dies ein strategisches Problem lösen: Europas Banken, die den Großteil der Finanzierung der Rüstungsindustrie übernehmen, werden von der EU zunehmend in die Pflicht genommen, Kredite bevorzugt an Unternehmen zu vergeben, die ESG-Kriterien einhalten. Damit soll nachhaltigeres Wirtschaften gefördert werden. Stand jetzt ist »Verteidigung« aber in den ESG-Regeln der EU nicht vorgesehen.
Die Lage könnte sich noch grundlegend ändern. Bislang sind in der sogenannten
Taxonomie hauptsächlich klassische Ziele im Umweltbereich klar definiert. Mittelfristig sind auch Standards für gute Unternehmensführung und Soziales geplant. Eine »soziale Taxonomie« soll analog zur umstrittenen Umweltvariante Banken, Anlegern und Investoren signalisieren, welche Unternehmen dem Gemeinwesen dienen und sich deshalb für eine nachhaltige Geldanlage nach sozialen Standards eignen.
Hier hakt die Rüstungsbranche ein. Sie versucht, durch die Hintertür ein Nachhaltigkeitsprädikat zu ergattern. Intern stärkt der Erfolg der Atom- und Gasindustrien den Kampfgeist. Ihnen war es 2023 gelungen, als »Brückentechnologie« das ESG-Siegel zu erhalten. »Sicherheit ist die Mutter aller Nachhaltigkeit«, lautet dafür die Losung des Rüstungsverbandes BDSV. Der Ukraine-Krieg zeige, dass die Sicherheit des Landes überhaupt erst die Grundvoraussetzung schaffe, um Nachhaltigkeitsziele verfolgen zu können.
In einer 64-seitigen Broschüre hat der schillernde Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), namhafte Stimmen versammelt, die sich zur »Mutter aller Nachhaltigkeit« bekennen. Die Palette reicht vom Rheinmetall-Boss bis zum Präsidenten des Industrieverbandes BDI, Siegried Russwurm, von der Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ bis zum forschenden Fraunhofer-Institut, vom Nato-General bis zu Europaabgeordneten und lautesten Stimme der FDP, Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Tenor: Die Rüstungsindustrie werde insbesondere im Finanz- und Versicherungsbereich zu unrecht häufig in schlechtes Licht gerückt. »Ein grundsätzlicher Ausschluss der Industrie aus Finanzierung und Versicherung gefährdet die Sicherheit akut.«
Auch in Brüssel versuchen europäische Waffenverkäufer mit ihrem Nachhaltigkeitsargument
einen Durchbruch zu erzielen. Sicherheit sei keine Selbstverständlichkeit und deshalb dürfe die Rüstungsbranche mit Blick auf ESG nicht stigmatisiert werden. Ein tschechischer EU-Abgeordneter, der die Mitte-Rechts-Volkspartei im Parlament vertritt, hatte sich bereits im vergangenen Jahr mit einem Brandbrief an die Europäische Kommission gewandt. Sie schwäche die Verteidigungsindustrie, »indem sie sie nicht in den Bereich der nachhaltigen Finanzierung einbezieht«. In einer drei Monate später verschickten Antwort hat die irische Kommissarin für Finanzdienstleistungen, Mairead McGuinness, Unterstützung für die Position der Branche durchblicken lassen. Die Rüstungsindustrie sei ein entscheidender Faktor für die Widerstandsfähigkeit der EU und damit für die »soziale Nachhaltigkeit«. Außerhalb der Union ist dies ohnehin in Finanzkreisen keine Frage. In Großbritannien oder den USA finden sich in vielen »grünen« Fonds Wertpapiere von Rüstungskonzernen.