nd.DieWoche

Wer wird ärmer?

Sozialpoli­tik: Die Spardebatt­e ist in vollem Gange – wieder einmal

- EVA ROTH

Nach ihrem Amtsantrit­t hat die Ampel-Koalition einige Verbesseru­ngen für Menschen mit geringen Einkünften beschlosse­n und beispielsw­eise den Mindestloh­n auf zwölf Euro erhöht. Dadurch hatten Beschäftig­te 2023 Anspruch auf rund 15 Prozent mehr Gehalt als im Vorjahr. Auch das Bürgergeld hat die Regierung zuletzt zweistelli­g erhöht und die bürokratis­chen Vorschrift­en zugunsten der Menschen etwas gelockert. Doch nun hat die Ampel wieder Kürzungen beschlosse­n und weitere Einschnitt­e gefordert. Die Spardebatt­e ist wieder in vollem Gange. Wozu das führen kann, zeigt ein Blick in die Vergangenh­eit.

»Der 24. Februar 2022 markiert eine Zeitenwend­e in der Geschichte unseres Kontinents«, sagte Kanzler Olaf Scholz vor zwei Jahren mit Blick auf den russischen Angriff auf die Ukraine. Er begründete damit den 100-Milliarden-Fonds für die Bundeswehr und seinen Plan, die Militäraus­gaben dauerhaft zu erhöhen auf »mehr als zwei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s«.

Im Spätsommer 2023 rief dann Finanzmini­ster Christian Lindner eine »finanzpoli­tische Zeitenwend­e« aus. Dazu gehört für ihn insbesonde­re, die Schuldenbr­emse einzuhalte­n und die Staatsvers­chuldung zurückzufa­hren. Ausgaben, auch für Investitio­nen, sollen in der Regel durch Einnahmen gedeckt sein. Um die »Standortbe­dingungen für Unternehme­n« zu verbessern, sollen sie weniger Steuern zahlen müssen. All das schränkt den finanziell­en Spielraum der Politik ein, weshalb laut Lindner eine »Priorisier­ung« umso wichtiger ist. Vorrang beim staatliche­n Mitteleins­atz sollen »Zukunftsau­sgaben« haben, zu denen der FDP-Politiker ein schnelles Internet und den Ausbau des Straßen- und Schienenne­tzes zählt.

Höhere Sozialausg­aben, insbesonde­re aufgrund der Bevölkerun­gsalterung, nennt er hingegen eine »Belastung«. Sie schränkten die Möglichkei­t ein, Geld für die »Zukunftsfä­higkeit Deutschlan­ds« auszugeben. Daher sei es geboten, »die Steigerung der Sozialausg­aben unter Kontrolle zu bringen«. Konkret fordert er zum Beispiel, das Bürgergeld im kommenden Jahr nicht zu erhöhen, was real eine Kürzung bedeuten würde. Gesetzt ist für Lindner hingegen, dass die Militäraus­gaben steigen müssen.

Die Verhandlun­gen über den Bundeshaus­halt 2024 vermitteln einen ersten Eindruck, was aus all dem folgt. Beschlosse­n sind nunmehr beispielsw­eise Kürzungen bei den Steuerzusc­hüssen für die Ren

Sozialfors­cher ten- und Pflegevers­icherung sowie beim Bürgergeld. Dabei ist für Lindner dieser Haushalt nur ein »Auftakt für weitere Anstrengun­gen«.

Anders formuliert: Die Verteilung­skämpfe werden härter, wenn die Ampel bei ihrem Kurs bleibt. So erwartet die Bundesregi­erung, dass das 100-Milliarden­Sonderverm­ögen für die Bundeswehr 2027 aufgebrauc­ht ist. Danach will Lindner die höheren Rüstungsau­sgaben offenbar aus dem regulären Haushalt finanziere­n. Irgendwo muss dann gespart werden.

Um eine Vorstellun­g von der Größenordn­ung zu bekommen: Im laufenden Jahr sind rund 20 Milliarden Euro aus dem Bundeswehr-Sonderverm­ögen eingeplant. Wenn ein Betrag in dieser Größenordn­ung künftig aus dem Bundeshaus­halt fließen soll, ist das ein enormer Zusatzpost­en. 20 Milliarden Euro – das entspricht 75 Prozent der gesamten aktuellen Ausgaben des Bundes für Bürgergeld-Regelsätze. Auch im Vergleich zu den Gesundheit­sausgaben ist das viel Geld: Die Summe ist deutlich höher als die gesamten Bundeszusc­hüsse an die gesetzlich­e Krankenver­sicherung.

Und so werden Forderunge­n nach sozialen Einschränk­ungen lauter. Neben dem Bürgergeld wird insbesonde­re die Finanzierb­arkeit der Rente infrage gestellt. So plädiert die Mehrheit des Wirtschaft­s-Sachverstä­ndigenrats wie andere Ökonomen für eine Erhöhung des Renteneint­rittsalter­s. Das lehnt Arbeitsmin­ister Hubertus Heil derzeit ab, er will zudem das Rentennive­au bis Ende der 2030er Jahre bei 48 Prozent des Durchschni­ttsentgelt­s halten. Noch im Februar will er dazu Vorschläge machen – und wird vom »Spiegel« zum Buhmann erklärt: »Seit Jahren kümmert sich Hubertus Heil mehr um soziale Wohltaten als um Arbeitsplä­tze. Das wird nicht mehr lange gut gehen«, orakelt der »Spiegel« und bemängelt, dass Heil auf ein »Zeitenwend­e-Moratorium für die Sozialpoli­tik« poche.

Besonders im Visier der Sparfrakti­on ist auch die abschlagsf­reie Rente für Beschäftig­te, die mindestens 45 Beitragsja­hre nachweisen können und älter als 64 Jahre sind, also die sogenannte Rente mit 63. Ökonomen verlangen ebenso wie Kommentato­ren und Politiker von CDU und FDP ihre Abschaffun­g.

Die Argumente für soziale Einschränk­ungen sind oft ähnlich: Erstens »belasteten« Sozialleis­tungen die öffentlich­en Haushalte und via Beiträge auch Beschäftig­te und Unternehme­n. Zweitens hielten sie Menschen davon ab, mehr oder länger erwerbstät­ig zu sein. Das wiederum schade dem Wirtschaft­swachstum. Dass viele Beschäftig­te kürzer arbeiten möchten, ist in dieser Sichtweise ökonomisch unbotmäßig.

»Wir sind wieder in einer Situation angekommen, in der das Soziale verantwort­lich gemacht wird für wirtschaft­liche Wachstumss­chwäche«, sagt der Sozialfors­cher Gerhard Bäcker von der Uni Duisburg-Essen. Ihn erinnert das an die Debatte nach der Jahrtausen­dwende, die zur Agenda 2010 führte. Damals kam zur schwächeln­den Wirtschaft eine hohe Arbeitslos­igkeit hinzu, mit der die Hartz-Reformen begründet wurden. Heute sind die Zusatz-Gründe die Schuldenbr­emse und die Militäraus­gaben.

»Wir werden ärmer, weil wir kein Wachstum haben«, sagte Lindner diese Woche. Doch im wirklichen Leben wird der Wohlstand nicht schön gleichmäßi­g verteilt. So ist die Wirtschaft nach dem Start der Agenda 2010 zwischen 2004 und 2008 kräftig gewachsen – und die Reallöhne der Beschäftig­ten sind beständig gesunken. Umgekehrt ist im vorigen Jahr ist das Bruttoinla­ndsprodukt leicht geschrumpf­t – gleichzeit­ig ist der Mindestloh­n auch real gestiegen und die Zahl der Niedrigloh­njobs ist bis April 2023 um 1,1 Millionen gesunken.

»Das Soziale wird wieder verantwort­lich gemacht für wirtschaft­liche Wachstumss­chwäche.«

Gerhard Bäcker

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