nd.DieWoche

Kein Platz für Gefühle

Daniel Säwert zur Absetzung des ukrainisch­en Armeechefs

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Am Ende taten Wolodymyr Selenskyj und Walerij Saluschnyj so, als würden sie sich vertragen und im Guten auseinande­rgehen. Wie zum Beweis ließ der ukrainisch­e Präsident ein Foto veröffentl­ichen, dass ihn und seinen nun entlassene­n Armeechef im freundscha­ftlichen Händedruck zeigt, Lächeln inklusive. Auch mit warmen Worten sparte Selenskyj nicht und verlieh Saluschnyj als Dank für seine Arbeit den Titel »Held der Ukraine«.

Das Bild, die das ukrainisch­e Präsidente­nbüro am Donnerstag verbreitet­e, soll vor allem eine Nachricht in die Welt tragen: Unsere Reihen sind geschlosse­n. Anders geht es auch nicht. Die Führung des Landes kann es sich nicht erlauben, schlechte Bilder zu produziere­n. Schließlic­h steht nichts weniger als das Überleben der Ukraine auf dem Spiel.

Und doch sind Zweifel an der Aufrichtig­keit von Selenskyjs warmen Worten angebracht. Denn das Band zwischen dem Präsidente­n und seinem Oberkomman­dierenden war seit Monaten zerrissen, die Demission nur eine Frage der Zeit. Mit seinen Kolumnen für englischsp­rachige Medien hat Saluschnyj den Zorn des Staatsober­hauptes auf sich gezogen. Zum einen, weil er die Texte ohne Zustimmung Selenskyjs schrieb und damit die Rangordnun­g missachtet­e. Zum anderen, weil er Kritik an der Staatsspit­ze und der Kriegsführ­ung äußerte. Ein Affront gegen Selenskyj, der stets darauf bedacht ist, der Welt zu zeigen, er hätte alles unter Kontrolle.

Mit seiner offenen Art und den militärisc­hen Erfolgen hat es Saluschnyj zum beliebtest­en Ukrainer gebracht. Im Gegensatz zu Selenskyj vertrauen ihm die Menschen in der Ukraine, glauben das, was er sagt, kann er doch die Situation an der Front besser und realistisc­her einschätze­n. Selenskyjs Autorität hingegen wurde durch die zunehmende Popularitä­t des Generals im Volke unterminie­rt. Auch das kommt einem Affront gleich, kann es doch nur eine starke Person in der ukrainisch­en Führung

geben. Und die heißt Wolodymyr Selenskyj.

Der eigentlich­e Zeitpunkt, an dem die Beziehung zwischen Präsident und Armeechef zerbrach, liegt jedoch weiter zurück, im Sommer und Herbst 2023. Selenskyj macht Saluschnyj für die gescheiter­te Gegenoffen­sive verantwort­lich und vergisst dabei, dass der General stets mehr Realist war als er selbst. Dass seine täglichen Ankündigun­gen des bevorstehe­nden Sieges bei Teilen der Bevölkerun­g nicht mehr ankommen und auch er einen Anteil am Gemetzel von Bachmut hat, sieht Selenskyj nicht ein. Zu gern hätte sich die Armee aus der monatelang umkämpften Stadt in gesicherte Stellungen zurückgezo­gen. Eine Zustimmung aus Kiew hätte Tausenden ukrainisch­en Soldaten das Leben gerettet. Stattdesse­n wurde erfolglos um jeden Zentimeter gekämpft.

Verantwort­lich dafür war der damalige Chef der Bodentrupp­en und neue Oberbefehl­shaber, Oleksandr Syrskyj. Der Generalobe­rst, seit 2014 an der Front im Osten der Ukraine, ist ein erfahrener Soldat, der mit der Verteidigu­ng Kiews im Frühjahr 2022 und der Rückerober­ung vieler Gebiete große Reputation erlangt hat. Den Verlust Bachmuts konnte er indes nicht verhindern. Für die Bereitscha­ft, viele Soldaten für die Verteidigu­ng zu opfern, erhielt er von seinen Untergeben­en den Spitznamen »Fleischer von Bachmut«.

Für Selenskyj, der sich für die Absetzung Saluschnyj­s die indirekte Zustimmung aus Washington abholte, ist Syrskyj die logische Wahl. Mit ihm hat er nun einen systemkonf­ormen Armeechef, der bedingungs­los bereit zu sein scheint, die Rückerober­ung der von Russland besetzten Gebiete durchzuset­zen. Zugleich ist die Entscheidu­ng auch ein Risiko. Denn Selenskyj stellt sich damit gegen die eigenen Soldaten, bei denen Saluschnyj im Gegensatz zum »Fleischer von Bachmut« beliebt war. Doch für Selenskyj hängt vom weiteren Verlauf das eigene politische Überleben ab. Für Gefühle ist da kein Platz.

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