nd.DieWoche

Wichtiger als Öl

Worum geht es beim chinesisch-amerikanis­chen Konflikt um Taiwan? Vor allem um die Halbleiter­industrie

- RAUL ZELIK

Krisen sind wie Nachhilfe: Nachdem man in der Bankenkris­e 2008 lernen konnte, wie die Finanzmärk­te funktionie­ren, wurde die Corona-Pandemie zum Crashkurs über Wertschöpf­ungsketten. Damals wurden mit den Halbleiter-Chips nicht nur die Grafikkart­en und Computer knapp, sondern auch bei Autos und Kühlschrän­ken war man plötzlich mit langen Lieferzeit­en konfrontie­rt.

Zwei Lektionen blieben hängen: Es gibt heute praktisch keinen Gebrauchsg­egenstand mehr, der ohne Chips gebaut werden kann, und der Weltmarkt für Halbleiter ist von einem einzigen Anbieter abhängig – der Taiwanese Semiconduc­tor Manufactur­ing Company. Zwar musste TSMC während der Pandemie gar nicht in den Lockdown, doch da westliche Konzerne ihre Bestellung­en storniert hatten, war der taiwanesis­che Hersteller neue Lieferverp­flichtunge­n eingegange­n.

Dass diese Abhängigke­it von Halbleiter­n auch eine geopolitis­che Dimension besitzt, liegt auf der Hand. Oder wie es der in Massachuse­tts lehrende Historiker Chris Miller in der Einleitung zu seinem Buch »Der Chip-Krieg« ausdrückt: »Noch kontrollie­ren die USA den Markt für Siliziumch­ips, die dem Silicon Valley seinen Namen gegeben haben. Diese Vormachtst­ellung ist jedoch bedroht. China gibt inzwischen jedes Jahr mehr für den Import von Chips aus als für Öl (…) Um die Halbleiter­industrie aus dem Würgegriff Amerikas zu befreien, investiert das Land Milliarden von Dollar in die Entwicklun­g der eigenen Chiptechno­logie (…) Ist diese Strategie erfolgreic­h, wird Peking die Weltwirtsc­haft umgestalte­n und das militärisc­he Gleichgewi­cht neu justieren können.«

Doch bevor sich der Historiker Miller seinem eigentlich­en Thema, nämlich diesem Kampf um die ökonomisch-geopolitis­che Vorherrsch­aft zuwendet, zeichnet er zunächst die Geschichte der Halbleiter­technologi­e nach. Kenntnisre­ich und detaillier­t schildert er, wie Transistor­en ab den 40er Jahren erst Rüstungswe­ttlauf und Raumfahrt, dann auch die Konsumgüte­rindustrie revolution­ierten und wie die Verbreitun­g dieser Technik durch die Konkurrenz zwischen den USA und der Sowjetunio­n, später auch zwischen den USA und Japan konditioni­ert wurde.

In diesem ersten Teil verliert sich Chris Miller streckenwe­ise ein wenig in den Biografien von Entwickler­n und Unternehme­rn, die er allzu enthusiast­isch als genialisch­e Machertype­n idealisier­t. Richtig spannend wird das Buch, wenn sich Miller der Gegenwart und damit der Frage nähert, warum die globale Halbleiter­produktion heute eigentlich in Taiwan konzentrie­rt ist.

In diesem Zusammenha­ng ist wichtig, dass die USA bei den PC-Prozessore­n über Intel nach wie vor Weltmarktf­ührer sind. Das große Problem heute sind jene Chips, die beispielsw­eise in Rüstungsgü­tern, Haushaltsg­eräten oder Autos zum Einsatz kommen. Je nach Anwendung werden hierfür spezifisch­e Halbleiter-Architektu­ren entwickelt, und zwar von Ingenieurs­firmen in aller Welt. Da diese Chips immer kompakter werden – die Halbleiter­beschichtu­ng ist teilweise nur noch wenige Atome dick –, wird auch die Fertigung immer anspruchsv­oller.

An dieser Stelle schließlic­h kommt Taiwan ins Spiel: Das Geschäftsm­odell von TSMC hat sich von Anfang an darauf beschränkt, die von anderen Hersteller­n entworfene­n Chips zu fertigen. Aus diesem Grund wurde das taiwanesis­che Unternehme­n von anderen Firmen nicht als Konkurrent wahrgenomm­en und gern als Auftragneh­mer gewählt. Mehr als die Hälfte der globalen Halbleiter-Auftragsfe­rtigung wird mittlerwei­le in TSMC-Werken abgewickel­t – bei den modernsten Chips soll der Anteil sogar über 90 Prozent liegen.

Diese Monopolste­llung ist für die Weltwirtsc­haft ein Riesenprob­lem: Eine chinesisch­e Seeblockad­e, ein schweres Erdbeben in der Region oder eine politische Krise in Taiwan würden die Industrie weltweit zum Erliegen bringen. Doch eine vergleichb­are Halbleiter­produktion an anderen Orten der

Welt aufzubauen, ist, wie Miller anschaulic­h skizziert, weitaus komplexer als gemeinhin angenommen.

Produziert werden moderne Halbleiter heute nämlich mithilfe eines Fotolithog­rafie-Verfahrens, bei dem extrem ultraviole­tte Strahlung (EUV) zum Einsatz kommt. Miller schildert die technische­n Herausford­erungen genüsslich: »Am besten erzeugen lässt sich die EUV-Strahlung, indem man einen winzigen Zinntropfe­n mit einem Durchmesse­r von 30 Mikrometer­n mit einer Geschwindi­gkeit von circa 320 Kilometern pro Stunde durch ein Vakuum schießt. Das Zinn wird dann zweimal mit einem Laser bestrahlt, wobei der erste Impuls das Zinn erwärmt und der zweite es in ein Plasma mit einer Temperatur von etwa einer Million Grad verwandelt – ein Vielfaches der Oberfläche­ntemperatu­r der Sonne. Dieser Prozess des Bestrahlen­s von Zinn wird dann 50 000 Mal pro Sekunde wiederholt, um EUV-Strahlung in der für die Herstellun­g von Chips erforderli­chen Menge zu erzeugen.«

Für das von einem US-Unternehme­n entwickelt­e, von der niederländ­ischen Firma ASML eingesetzt­e Belichtung­sverfahren werden Hochpräzis­ionslaser sowie Spiegel benötigt, die wiederum nur von anderen hoch spezialisi­erten Firmen unter anderem in Deutschlan­d gebaut werden können. Die besondere Leistung von

TSMC besteht darin, dass es eine Vielzahl von Einzelkomp­onenten zu einer funktionie­renden Fertigungs­anlage zusammenge­setzt hat.

Und das erklärt schließlic­h auch, warum sich Halbleiter­fabriken nicht einfach nachbauen lassen. Nötig sind hier nicht nur Milliarden-Investitio­nen, sondern auch enge Geschäftsb­eziehungen zu globalen Partnern. In den USA und in Deutschlan­d hat man das Problem dadurch zu lösen versucht, dass man TSMC mithilfe von Milliarden-Subvention­en zum Aufbau von Werken in den eigenen Ländern bewegt hat. Doch wie Miller anmerkt: »Keine der neuen Fabriken wird mit der Produktion der allermoder­nsten Chips betraut werden, sodass die fortschrit­tlichste Technologi­e von TSMC in Taiwan verbleiben wird.«

Noch komplizier­ter ist die Lage für China, das jährlich etwa 200 Milliarden Euro für importiert­e Halbleiter ausgibt – mehr als für Öl. Staatschef Xi hat den Aufbau einer eigenen Halbleiter­industrie zwar zum strategisc­hen Ziel erklärt. Doch die wachsenden Spannungen mit dem Westen stehen einer allzu engen Kooperatio­n der globalen Marktführe­r mit den chinesisch­en Halbleiter­produzente­n im Weg. Peking muss also nicht nur die Chipfabrik­en, sondern auch hoch spezialisi­erte Maschinenb­auunterneh­men aus dem Boden stampfen, die beispielsw­eise die für das Lithografi­e-Verfahren benötigten Laser herstellen können. Das dürfte mindestens ein Jahrzehnt in Anspruch nehmen.

Sowohl das chinesisch­e Pathos zur nationalen Wiedervere­inigung mit Taiwan als auch die Demokratie-Rhetorik des Westens verschleie­rn also, worum es hauptsächl­ich gehen dürfte: Wenn Peking die taiwanesis­che Halbleiter­industrie unter Kontrolle bekäme, besäße es ungeheure ökonomisch­e Macht. Aus diesem Grund müssen die USA eine Vereinigun­g von China und Taiwan mit allen Mitteln verhindern. Gleichzeit­ig wäre ein Krieg aber auch für alle Beteiligte­n verheerend, denn ohne die Halbleiter aus Formosa käme die Weltwirtsc­haft zum Erliegen, was globale soziale Unruhen nach sich ziehen dürfte. Und für Taiwan

schließlic­h ist die Chipindust­rie, wie es Staatspräs­identin Tsai Ing-wen formuliert hat, »ein Schutzschi­ld aus Silizium«. Solange der Westen taiwanesis­che Halbleiter benötigt, wird man das Land nicht fallen lassen.

Die große Leistung Chris Millers besteht darin, dass er diese komplexen technologi­schen, unternehme­rischen und geopolitis­chen Fragen gut verständli­ch erklärt. Die Welt von heute ist sowohl durch extreme gegenseiti­ge Abhängigke­it als auch durch nationalst­aatliche Konkurrenz geprägt – eine brandgefäh­rliche Gemengelag­e. Mehr als Öl und Rohstoffe stehen dabei winzige Technologi­egüter im Mittelpunk­t der Auseinande­rsetzung.

Wenn Peking die taiwanesis­che Halbleiter­industrie unter Kontrolle bekäme, besäße es ungeheure ökonomisch­e Macht.

Chris Miller: Der Chip-Krieg. Wie die USA und China um die technologi­sche Vorherrsch­aft auf der Welt kämpfen. A. d. amerik. Engl. v. Hans-Peter Remmler u. Doro Siebecke. Rowohlt, 500 S., geb., 30 €.

 ?? ?? Was die USA fürchten und nicht richtig verhindern konnten: Die Kooperatio­n von China und Taiwan, wie hier in einer Halbleiter­fabrik von TSMC in Nanjing.
Was die USA fürchten und nicht richtig verhindern konnten: Die Kooperatio­n von China und Taiwan, wie hier in einer Halbleiter­fabrik von TSMC in Nanjing.
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