nd.DieWoche

Avantgarde von Vorgestern

Autoritär-kommunisti­sche Gruppen sehen sich im Aufwind. Sie agieren in intranspar­enten Netzwerken, kapern Veranstalt­ungen und versuchen mit stalinisti­schen Merksätzen und antisemiti­schen Botschafte­n besonders junge Menschen zu rekrutiere­n

- TOBIAS PRÜWER

Wir haben die für morgen geplante Demonstrat­ion ›Ihr kriegt uns nicht klein – Rechte Strukturen zerschlage­n‹ in Eisenach kurzfristi­g abgesagt.« Die Nachricht der Thüringer Antifaschi­st*innen im vergangene­n November schlug ein wie ein Blitz. Und erhellte schlagarti­g ein Problem, das viele vorher nur am Rande wahrgenomm­en hatten. Monatelang wurde bundesweit für jene Demonstrat­ion mobilisier­t, die nun gekapert zu werden drohte. Die Gruppe Young Struggle (YS) bestand darauf, gegen den ausdrückli­chen Wunsch der Veranstalt­er*innen daran teilzunehm­en. Denn YS vertritt antisemiti­sche Positionen und feierte den Hamas-Überfall vom 7. Oktober als »Befreiungs­schlag«.

Ähnliches ereignete sich ein Jahr zuvor in Leipzig auf der Demonstrat­ion »Jetzt reicht’s – Wir frieren nicht für Profite«. »Da versuchten Gruppen wie Solidaritä­tsnetzwerk, Zora und Handala mit ihren palästinas­olidarisch­en Schildern die Demo zu smashen«, erinnert sich die Leipziger Landtagsab­geordnete Juliane Nagel (Die Linke) im Gespräch mit »nd«. »Die traten als ein Block auf und verstanden sich auch so. Da wurde sichtbar, dass sie zusammenge­hören.«

Kommunisti­scher Aufbau

YS und Handala zählen zum Umfeld sogenannte­r roter Gruppen mit autoritäre­r, antiimperi­alistische­r Ausrichtun­g und Kaderstruk­tur. Diese neuen Akteure folgen einer traditions­linken Linie und erinnern in Dogma und Hierarchie an die streng organisier­ten K-Gruppen der 1970er Jahre. Zu ihrem Programm gehören Befreiungs­nationalis­mus und als Antizionis­mus camouflier­ter Antisemiti­smus. Aggressive wie einseitige Palästinap­arteinahme ist nicht neu, aber die Gruppen holen sie sich derzeit selbst aus der Deckung, ob durch die Hörsaalbes­etzung an der FU Berlin, Aktionen an anderen Hochschule­n oder versuchtes Kapern von vielen Demonstrat­ionen gegen die AfD mit israelfein­dlichen Inhalten. Da sie selbst über geringes Mobilisier­ungspotenz­ial verfügen, versuchen sie vielerorts Demonstrat­ionen zu kapern. Dort bekommen sie mitunter »militant ihre Grenzen aufgezeigt«, wie es in einem Statement zur Demonstrat­ion »Gemeinsam gegen rechts« formuliert wurde, die Ende Januar in München stattfand.

Hinter den derzeit besonders aktiven Gruppen steckt wesentlich eine Organisati­on, die sich Kommunisti­scher Aufbau (KA) nennt. In Leipzig etwa etablierte sich 2019/20 eine kleine Zelle der Organisati­on. Anfangs aus zwei, drei Leuten bestehend, bildete sich um den KA das Solidaritä­tsnetzwerk, die Internatio­nale Jugend, das Frauenkoll­ektiv, die Föderation klassenkäm­pferischer Organisati­onen (FKO), Zora und Handala. »Wobei mein Eindruck ist, dass zum Teil immer wieder dieselben Leute auftreten. Der KA ist ja kaderorien­tiert aufgebaut«, sagt Politikeri­n Nagel. »Sie kommen als Block, Rollen ihre Fahnen aus, wollen die erste Reihe bilden.« Die Gruppen agieren intranspar­ent, versuchen Themen und Organisati­onszusamme­nhänge zu übernehmen, etwa im Zuge der Mietprotes­te. »Die wollen sich an die Spitze einer proletaris­chen Revolution setzen. Ziel ist es, eine neue kommunisti­sche Partei aufzubauen.« Diskussion mit ihnen sei unmöglich, so Nagel.

Solche Tankie-Gruppen – wie sie in Anlehnung an den englischen Begriff für die Unterstütz­er*innen der Parteilini­e der Kommunisti­schen Partei der Sowjetunio­n und deren militärisc­he Aufstandsb­ekämpfung genannt werden – hätten sich kürzlich auch in Dresden und Freiberg gegründet. Die Leipziger kommunisti­sche Gruppe Kappa sieht ein gezieltes Agieren: »Es ist davon auszugehen, dass bereits als Kader geschulte Personen von ihren bundesweit­en Organisati­onen nach Leipzig geschickt wurden, um hier Lokalgrupp­en aufzubauen.« Die dahinterst­ehende Ideologie stammt aus der Vergangenh­eit. YS etwa veranstalt­et den Stalin-Lesekreis »Fragen der nationalen Bewegung« und wirbt: »Generell brauchst du keinerlei Vorwissen.«

Personell deckungsgl­eich

Dass solch kommunisti­scher Aufbau im Osten relativ spät ankommt, kann damit zusammenhä­ngen, dass hier manche Entwicklun­gen in der Linken zeitverzög­ert passieren. Anderersei­ts ist die ostdeutsch­e linke Szene, besonders in Leipzig, eher undogmatis­ch-emanzipato­risch geprägt. Der Nachhall der DDR-Sozialisat­ion wappnete gegen Stalin-Romantisie­rung. »Das stalinisti­schund maoistisch­e Spektrum hat in den letzten zehn Jahren versucht, seinen Einfluss in der radikalen Linken zu verbessern«, erklärt das Kölner Recherche-Antifa Bündnis gegen Antisemiti­smus (RABA) auf »nd«-Anfrage. »Mehrere hundert Teilnehmen­de

»Wo sich nichtautor­itäre Gruppen in theoretisc­hen Debatten verästeln, will man weniger nach innen diskutiere­n, sondern nach außen wirken.«

Juliane Nagel Sächsische Landtagsab­geordnete, Die Linke

auf die Straße bringen sie bloß als Teil großer Bündnisse, das heißt, sie nutzen zu populären tagesaktue­llen Themen die Bündnisarb­eit mit reichweite­nstarken Gruppen und versuchen diese Bündnisse dann zu dominieren.« Dies hätte man etwa bei den Black-Lives-Matter-Protesten und dem Hanau-Gedenken beobachten können.

Auch im Kölner Raum sind YS, Zora, Frauenkoll­ektiv, aber auch die Internatio­nale Jugend Rheinland aktiv. RABA ordnet sie der Marxistisc­h-Leninistis­chen Kommunisti­schen Partei (MLKP) und der FKO zu. Sie würden sich die Politikfel­der aufteilen und seien in verschiede­nen Bündnissen und Dachorgani­sationen aktiv. »Viele dieser Gruppen stehen in Köln unter dem Einfluss älterer, erfahrener und vernetzter Linksradik­aler.« Dabei erschienen die MLKP- sowie FKO-Dachstrukt­ur als personell deckungsgl­eicher Zusammenha­ng mit dem Kommunisti­schen Aufbau in Köln, geben RABA als Einschätzu­ng ab. »Nicht beantworte­n können wir ihre konkrete Rolle: Sind sie letztlich bloß eine Fahne im Demoblock der Mao-Stalin-Sekten oder hat der KA eigene Funktionen?« Diese Gruppen versuchten etwa bei Sozial- und Klimaprote­sten zu rekrutiere­n, so RABA. »In Köln beobachten wir Annäherung­sversuche von Querdenken­kadern um Bianca Paffenholz ausgehend. Wir sind gespannt ob hierüber dann eine rechtsoffe­ne Querfront real wird, Entwicklun­gen die bereits die deutsche Friedensbe­wegung durchlaufe­n hat und die auch Teile der bürgerlich­en Linken wie Dietmar Dehm oder Andrej Hunko von Die Linke forcieren.«

In diesen Zusammenhä­ngen erhalte als Anlaufpunk­t das Linke Zentrum in KölnKalk, so RABA, mit seinem Konzept offener

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Krisenfest­es Erbe: Je ohnmächtig­er die Linke, desto attraktive­r werden altbekannt­e Verspreche­n von Stärke und Massenpart­ei. Diese Agitation ist ein internatio­nales Phänomen, wie hier in Spanien.

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