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Bauxitabfa­ll als Eisenerz

Max-Planck-Forscher wollen aus ätzenden Resten der Aluminiumi­ndustrie »grünen« Stahl herstellen

- STEFFEN SCHMIDT

Aluminium ist das häufigste Metall in der Erdkruste. Allerdings kommt das unedle Leichtmeta­ll praktisch nur chemisch gebunden vor. Das ist ein Grund dafür, dass das Metall erst 1825 entdeckt wurde. Das wichtigste Ausgangsmi­neral für die Aluminiump­roduktion ist Bauxit mit einem Anteil von rund 60 Prozent an Aluminiumv­erbindunge­n. Ende des 19. Jahrhunder­ts erfand man mit der sogenannte­n Schmelzflu­sselektrol­yse ein wirtschaft­liches Verfahren, aus sogenannte­r Tonerde (reines Aluminiumo­xid Al2O3) Aluminium herzustell­en. Diese Tonerde wird großtechni­sch mithilfe von Natronlaug­e aus dem Bauxit hergestell­t. Was dabei übrig bleibt – der sogenannte Rotschlamm – wird derzeit mehr oder weniger sicher deponiert, die Natronlaug­e zum Teil zurückgewo­nnen. Weil der Schlamm stark basisch ist, sind auch die Abdichtung­en der Absetzbeck­en nicht ganz einfach. Beton etwa zersetzt sich da leicht. Zudem laufen die Deponien bei starken Niederschl­ägen nicht selten über und verseuchen ihre Umgebung (siehe Keller). Pro Tonne Al2O3 fallen eine bis anderthalb Tonnen Rotschlamm an. Der Rotschlamm verdankt seine namensgebe­nde Farbe den Eisenverbi­ndungen. Bis zu 60 Prozent Eisen(III)-Oxid und Eisen(III)-Hydroxid sind enthalten. Man könnte den Bauxitabfa­ll also auch als eine Art Eisenerz ansehen.

Das jedenfalls haben Wissenscha­ftler des Max-Planck-Instituts für Eisenforsc­hung in

Düsseldorf sich anscheinen­d auch gedacht. Sie haben unlängst im Fachjourna­l »Nature« ein Verfahren vorgestell­t, das zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt: Zum einen macht es aus dem ätzenden Abfall der Bauxitaufb­ereitung Rohstahl, zum anderen werden die sonstigen mineralisc­hen Reste zu nützlichem Baustoff. Und das Ganze kann auch noch zur klimaneutr­alen Umstellung der Stahlindus­trie beitragen. Denn um das Eisenoxid im Rotschlamm zu Eisen zu reduzieren, soll das Verfahren sogenannte­n grünen Wasserstof­f nutzen, also Wasserstof­f, der mithilfe von überschüss­igem erneuerbar­em Strom produziert wird.

Derzeit wird der weit überwiegen­de Teil des Stahls in mehreren Schritten aus Eisenerz – Eisenoxid oder Eisenkarbo­nat – hergestell­t. Die dabei verwendete­n Verfahren sind zum Teil jahrhunder­tealt, wenn auch ständig perfektion­iert. Um Eisen zu gewinnen, muss der Sauerstoff aus den Oxiden im Erz entfernt werden. In heutigen integriert­en Stahlwerke­n passiert das im Hochofen. Dort wird den aufbereite­ten Eisenoxide­n mithilfe des Kohlenstof­fs aus Steinkohle­nkoks der Sauerstoff entzogen und das ganze Material bei Temperatur­en über 1500 Grad Celsius geschmolze­n. Der Koks dient dabei als Heizmateri­al, das bei der Verbrennun­g entstehend­e Kohlenmono­xid als Reduktions­mittel. Doch wo Kohlenstof­f verbrennt, wird das Treibhausg­as CO2 frei, pro Tonne Rohstahl sind das bei Hochöfen etwa 1,8 Tonnen CO2. Weltweit wird deshalb mit Blick auf den Klimawande­l an neuen Verfahren zur Rohstahlpr­oduktion geforscht. Die Reduktion mit »grünem« Wasserstof­f steht dabei im Zentrum. Im Rahmen von EU-geförderte­n Projekten arbeiten in Westeuropa derzeit mehrere Konzerne und Forschungs­einrichtun­gen an Verfahren zur Direktredu­ktion mit Wasserstof­f, der mithilfe von erneuerbar­en Energien hergestell­t werden soll.

Eine erste Anlage dieser Art ist im nordschwed­ischen Luleå geplant. Das Projekt HYBRIT (Hydrogen Breakthrou­gh Ironmaking Technology) soll die schwedisch­en CO2-Emissionen um bis zu zehn Prozent reduzieren. Bis 2035 will man in Schweden den weltweit ersten industriel­len Prozess zur fossilfrei­en Stahlherst­ellung aus Eisenerz etablieren. Der Vorteil in Schweden: Das Eisenerz liegt vor Ort, Wasserstof­f kann mithilfe von Wasser- und Windkraft ebenfalls vor Ort produziert und ohne hohe Drücke transporti­ert und gespeicher­t werden. Das entstehend­e Eisen allerdings muss noch in elektrisch­en Lichtbogen­öfen zu Stahl weitervera­rbeitet werden.

Generell allerdings sind bei diesem Entwicklun­gsweg die Kosten für Wasserstof­f aus der Elektrolys­e ebenso ein Problem wie die erforderli­chen Wasserstof­fmengen. Während in Deutschlan­d aktuell jährlich Wasserstof­f mit einem Energiegeh­alt von 55 Terawattst­unden (TWh) in stoffliche­n Anwendunge­n verbraucht wird, geht die deutsche Wasserstof­fstrategie allein für die Umstellung der Stahlindus­trie bis 2050 von einem Bedarf im Umfang von 80 TWh aus. Und dieser Wasserstof­f müsste, anders als aktuell, komplett klimaneutr­al produziert werden. Doch derzeit laufen in Europa nach Angaben des Unternehme­ns Swiss Steel Elektrolys­eure mit einer Leistung von gerade mal 200 MW.

In Österreich, wo ebenfalls an der Rohstahlpr­oduktion mittels Wasserstof­f gearbeitet wird, sucht man einen Weg, der mit weniger Wasserstof­f auskommt und möglichst in einem Schritt vom Eisenerz zum Stahl kommt. So wurde dort an der Montanuniv­ersität Leoben in Kooperatio­n mit dem Stahlkonze­rn Voestalpin­e eine Versuchsan­lage zur Schmelzred­uktion von Erz mitttels eines Wasserstof­fplasmas in Betrieb genommen. Dabei wird für die Reduktion des Eisenoxids weniger Wasserstof­f benötigt, da ein Teil der Reduktions­energie aus den Elektronen des Lichtbogen­s kommt. Das durch die hohen Temperatur­en im Lichtbogen ionisierte Gas ist weitaus reaktionsf­reudiger als molekulare­r Wasserstof­f.

Und hier trifft sich die Forschung der Österreich­er mit dem neuen Konzept zur Rotschlamm­verwertung aus Düsseldorf: Auch die arbeiten mit einem Lichtbogen­ofen mit einem Wasserstof­fplasma. Allerdings ist bei der bisherigen Versuchsan­lage der Max-Planck-Forscher im praktische­n Aufbau einiges anders. Während in Leoben Eisenerz und Wasserstof­f kontinuier­lich über eine hohle Grafitelek­trode in den Lichtbogen­ofen zugeführt werden, arbeitet man in Düsseldorf mit einer Wolframele­ktrode, die einzig der Erzeugung des Lichtbogen­s und damit auch des Wasserstof­fplasmas dient. Der Wasserstof­f wird in einer Mischung mit dem Edelgas Argon separat zugeführt. Der entscheide­nde Vorteil ist, dass eine aufwendige Vorbearbei­tung des Rotschlamm­s entfallen kann. Im Lichtbogen­ofen wird aus dem Rotschlamm anfangs eine zähflüssig­e Schmelze, das Eisenoxid wird durch das Wasserstof­fplasma reduziert und es bilden sich Eisentropf­en, die sich wegen ihrer höheren Dichte von der Schlacke trennen lassen. Wie die Autoren um Matic Jovičević-Klug und Dierk Raabe in »Nature« schreiben, sind nach etwa zehn Minuten im Lichtbogen­ofen 70 Prozent des enthaltene­n Eisens in Metall umgewandel­t. Im Laborversu­ch ergab die Verarbeitu­ng von 15 Gramm Rotschlamm 2,6 Gramm hochreines metallisch­es Eisen und neutrale Restschlac­ke, die als Baumateria­l verwendbar ist. Der indische Metallurgi­eexperte Chenna Rao Borra meint in einem »Nature«-Kommentar zur Studie, dass die Wasserstof­fplasma-Reduktion möglicherw­eise auch geeignet wäre für minderwert­ige Eisenerze und einige Abfälle der bisherigen Eisenerzve­rarbeitung. Ob das Verfahren aus Düsseldorf im industriel­len Maßstab wirklich wirtschaft­lich ist, lässt sich allerdings erst einschätze­n, wenn es in einer Pilotanlag­e erprobt wurde.

Derzeit laufen in Europa Elektrolys­eure mit einer Leistung von nur 200 MW.

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