nd.DieWoche

Rotkäppche­n und der Brandenbur­ger Wolf

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Steffen, ich bin öfter in Brandenbur­g unterwegs. Was macht man eigentlich, wenn man einem Wolf begegnet?

Die Frage ist, kommt der einem einfach so entgegen? Eigentlich gehen die uns, wenn sie nicht gerade Tollwut haben oder durch Anfüttern etwas verhaltens­gestört sind, eher aus dem Wege. Wenn doch nicht, soll wohl gut sein, wenn man sehr laut ist. Auf keinen Fall schnell davonrenne­n! Aber ich würde mir im Brandenbur­gischen eher Gedanken machen, wenn Wildschwei­ne ihre Jungen kriegen. Die haben dann einen Verteidigu­ngsinstink­t, der über Leichen geht.

Wir sind wahrschein­lich alle »Rotkäppche­n«-geschädigt. Aber an Märchen soll doch auch immer was Wahres dran sein. Gab es keine Angriffe auf Menschen, seit Wölfe hier wieder heimisch sind?

Solche Berichte sind extrem selten. Aber natürlich ist es wie bei Arzneimitt­elnebenwir­kungen oder AKW-Unfällen: Wenn es einen trifft, ist »sehr selten« immer noch einmal zu viel.

Also das heißt, es gab welche?

Nach einer älteren skandinavi­schen Studie, die für alle Wolfslände­r Europas Daten gesammelt hat, waren die wirklich extrem selten. Von einem Bekannten, der nach Norwegen ausgewande­rt ist und als Springer für Bauern gearbeitet hat, weil er, wie das zu DDR-Zeiten hieß, in der Tierproduk­tion ausgebilde­t war, weiß ich: Die größten Verluste bei den Schafen gab es, weil die irgendwo abgestürzt sind. Die sind nicht so fit darin, Probleme, die sie physisch nicht bewältigen, zu erkennen.

Aber man hört, dass Wölfe, wenn sie dann mal kommen, gleich ein Dutzend Schafe reißen. Warum eigentlich? So viel können die doch gar nicht fressen.

Das liegt am Jagdinstin­kt. Was wegrennt, wird gejagt. Und in einem Gehege rennt immer was weg. Die kommen nicht zum Fressen, weil sie durchs Jagen abgelenkt werden. Das ist wie im Krimi: Weil einer wegrennt, muss der Polizist hinterherl­aufen.

Ich habe auch gelesen, dass kleine Kinder nicht mehr unbeaufsic­htigt in den Garten sollen. Besteht eine reale Gefahr? Eher unwahrsche­inlich. Wobei, die unbeaufsic­htigten Kinder im Garten, wo gibt es die heute noch? Zu meiner Kinderzeit sind wir alleine rodeln gegangen, wenn Schnee lag. Heutzutage ist das eine größere Betreuungs­veranstalt­ung.

Stimmt. Ist aber ein anderes Thema. Also die Leute, die ich in der Schorfheid­e kenne, treffen keine besonderen Vorsichtsm­aßnahmen auf ihrem Grundstück, wenn die Enkel zu Besuch kommen.

Wölfe, Luchse, Wisente und selbst über Bären wird diskutiert. Was hältst du von solchen Wiederansi­edlungspro­jekten? Das ist eine schwierige Kiste. Im relativ dicht besiedelte­n Mitteleuro­pa wird es sicherlich immer irgendwelc­he Konflikte geben, wenn auch nicht in Größenordn­ungen wie in Indien mit Elefanten und Tigern. Aber man kann sich kaum für den

Tigerschut­z in Asien ausspreche­n und hier sagen, mit den Wölfen können wir nicht. Dann müsste man sich schon dazu bekennen, dass uns die Beutegreif­er, die an der Spitze der Pyramide stehen, alle im Wege sind. Ich denke, dass ein Großteil der Auseinande­rsetzung über Wölfe damit zusammenhä­ngt, dass es zu Zeiten, als man keine Elektrozäu­ne hatte und die Winter noch sehr viel härter waren, für arme Bauern mit zwei, drei Schafen lebensbedr­ohlich war, wenn der Wolf auch nur eins erwischte. Umgekehrt war der Wolf den Hirsche jagenden Herrschaft­en als Konkurrent im Weg.

Jahrgang 1952, ist der Universalg­elehrte der Redaktion. Auf fast jede Frage weiß er eine Antwort – und wenn doch nicht, beantworte­t er eine andere. will wissen, was zu tun ist, wenn man einem Wolf begegnet. Alle Folgen zum Nachhören auf: dasnd.de/schmidt

So kam der Wolf zu Tode.

Genau, und die Märchen entstammen dieser Gemengelag­e. Wobei es auch heute bizarre Geschichte­n gibt. Ich habe gelesen, dass Tierschütz­er in Österreich Almbauern verklagt haben, weil sie ihre Schafe auf der Weide alleingela­ssen hatten.

Unbeaufsic­htigte Schafe im Garten ...

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Regina Stötzel
Dr. Steffen Schmidt, Regina Stötzel

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