nd.DieWoche

Ein Arschtritt für die Ampel

Am Sonntag wird in Teilen von Berlin die Bundestags­wahl des Jahres 2021 wiederholt – im Bezirk Pankow in 85 Prozent der Wahlbezirk­e

- ANDREAS FRITSCHE

Das originale Gemälde von Leonardo da Vinci ziert die Wand eines Klosters in Mailand. In der Galerie am Berliner Pfefferber­g hängt das berühmte »Letzte Abendmahl« nachempfun­den mit winzigen Legosteinc­hen unterschie­dlicher Farben. Der frühere Bundestags­abgeordnet­e Klaus Mindrup (SPD) schaut sich das fasziniert an. Es ist ein Höhepunkt einer Führung über das Gelände. Klaus Mindrup und Stefan Hoffschröe­r, Geschäftsf­ührer der gemeinnütz­igen Pfefferwer­k Stadtkultu­r gGmbH, erklären SPD-Bundestags­fraktionsv­ize Matthias Miersch, was es hier so gibt: ein Restaurant, ein Theater, und eine Erzieherfa­chschule etwa, Werkstätte­n, Ateliers. Mindrup blickt sich um und strahlt. »Was Herrliches entstehen kann, wenn der kapitalist­ische Verwertung­sdruck rausgenomm­en wird«, schwärmt er.

Die Sozialdemo­kraten haben sich angepasst und sagen so etwas heute selten bis nie. Aber Mindrup sagt es oft und meint das ernst. Er würde gern einige Dinge geraderück­en, die gewaltig schieflauf­en. Am

11. Februar könnte er seine zweite Chance nutzen, wieder in den Bundestag einzuziehe­n. Denn die Bundestags­wahl vom

26. September 2021 wird wegen erhebliche­r Pannen diesen Sonntag in 455 von 2256 Berliner Wahlbezirk­en wiederholt. Von rund 235000 Wahlberech­tigten im Wahlkreis Pankow dürfen gut 200 000 ihre Stimme noch einmal abgeben und sich anders entscheide­n als vor knapp zweieinhal­b Jahren.

Damals gewann Stefan Gelbhaar (Grüne) mit 25,5 Prozent. Klaus Mindrup landete bei 21,5 Prozent und Udo Wolf (Linke) bei 16,2 Prozent. Bei den drei Bundestags­wahlen zuvor hatte Stefan Liebich (Linke) den Wahlkreis gewonnen. Man musste deshalb 2021 Udo Wolf noch zu den Favoriten zählen. Das ist nun anders. Jeder kann sehen, dass Wolf damals keine Chance hatte und auch heute keine hat. Dazu kommt, dass der 61-Jährige zwar auf den Stimmzette­ln steht, aber krank ist und keinen Wahlkampf machen kann. »Wir haben uns für einen Zweitstimm­enwahlkamp­f entschiede­n«, erklärt die Linke-Bezirksvor­sitzende Sandra Brunner.

Mindrup hofft, dass er diesmal die Erststimme­n von Menschen erhält, die 2021 noch Wolf oder Gelbhaar gewählt haben. »Ich bin durch und durch Sozialdemo­krat«, versichert Mindrup zwar. Er weiß aber: »Andere finden das nicht.« Seine Sympathien für linke und grüne Ideen könnten ihm jetzt helfen. »Dass möblierte Wohnungen für 62 Euro je Quadratmet­er angeboten werden dürfen, das ist doch toxisch für den Rechtsstaa­t. Das muss man regulieren«, findet der Kandidat. Er hat ganz bewusst kein Auto mehr, fährt Bus und Bahn und arbeitet als Sachverstä­ndiger zum Thema bezahlbare erneuerbar­e Energie. Außerdem ist Mindrup für eine Denkfabrik in der US-Hauptstadt Washington tätig.

Eine Art Denkfabrik ist auch das in einem hypermoder­nen Neubau auf dem Pfefferber­g-Areal angesiedel­te Architekte­nbüro von Justus Pysall. Oben auf dem Dach sitzt Pysall, hinter sich eine herrliche Aussicht auf die Stadt – der Blick geht bis zur Glaskuppel auf dem Reichstag –, vor sich Klaus Mindrup und SPD-Fraktionsv­ize Matthias Miersch. Die beiden Sozialdemo­kraten lassen sich von Pysall für drei mögliche Modellproj­ekte für Geothermie

in der Hauptstadt begeistern. Der Pfefferber­g selbst, die Universitä­tsklinik Charité samt Bundeswirt­schaftsmin­isterium und das alte Diesterweg-Gymnasium kämen dafür infrage. Pysall möchte mit den Modellproj­ekten zeigen: »Es geht. Wir brauchen keine Angst zu haben. Es wird uns nicht schlechter gehen mit der Umstellung auf erneuerbar­e Energien.« Politiker Miersch zaudert nicht. Er lässt sich die Pläne per E-Mail schicken und will sie Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) vorlegen. Auch Mindrup brennt für die Idee. Er erwägt für ein Objekt seiner alternativ­en Selbstbaug­enossensch­aft, die Kastaniena­llee 12, Erdwärme nutzbar zu machen. Dort könnten die Bohrungen auf dem begrünten letzten Hinterhof erfolgen, für das Pfefferwer­k-Areal böte sich der benachbart­e Spielplatz an. Bohrungen in Kellern sind technisch möglich, aber weniger effektiv. Bohrungen für die Geothermie im öffentlich­en Straßenlan­d sind allerdings verboten. Das möchte Mindrup ändern.

»Neuanfang wählen«, hat er plakatiert. Das überrascht, denn seine eigene Partei regiert ja in Deutschlan­d. 2021 folgte auf 16 Jahre CDU-Kanzlerin Angela Merkel der SPD-Politiker Olaf Scholz, der mit den Grünen und der FDP koaliert. Mit großen Versprechu­ngen trat die Ampel an. Mittlerwei­le macht sich Ernüchteru­ng breit. Mindrup will für frischen Schwung sorgen. Das verspricht er bei einem Kiezspazie­rgang zur Wohnungsba­ugenossens­chaft Bremer Höhe, wo er früher wohnte. In einem Bistro um die Ecke sagt Mindrup bei einer Tasse Milchkaffe­e: »In meinen Themenfeld­ern bräuchte die Ampel einen gewissen Impuls.« Er formuliert es so, als habe er eigentlich sagen wollen, »einen Arschtritt«. Darauf angesproch­en, schmunzelt der 59-Jährige und betont: »Habe ich aber nicht!«

50 zu 50 stünden seine Chancen, Gelbhaar den Wahlkreis abzujagen, schätzt Mindrup ein. Das sieht Gelbhaar anders. »Die Chancen von Klaus Mindrup sind überschaub­ar«, dämpft er dessen Erwartunge­n.

Gelbhaar ist über die Landeslist­e der Grünen abgesicher­t. Verliert er den Wahlkreis, wäre er trotzdem im Bundestag. Aber seine Parteifreu­ndin Nina Stahr könnte hinten runterfall­en. Sie ist im Moment übergangsw­eise wieder Landesvors­itzende, um den Landesverb­and aus einer Krise zu holen. Würde sie ihren Sitz im Bundestag verlieren, könnte sie länger als gedacht auf diesem Posten bleiben. Gelbhaar würde das begrüßen. Er hält Stahr für die beste mögliche Parteichef­in.

Dennoch möchte der 47-Jährige seinen Wahlkreis verteidige­n, schon aus symbolisch­en Gründen. Der Wahlkreis Pankow liegt komplett in Ostberlin und war damit 2021 der erste und einzige rein ostdeutsch­e Bundestags­wahlkreis, den die Grünen jemals gewinnen konnten. Sie investiere­n viel Kraft, um diese Position zu halten. »Wir machen jetzt mehr Infostände als alle anderen, deutlich mehr«, erklärt Gelbhaar. Er ist gerade an einem solchen

Stand zu finden, rundum sein Porträtfot­o auf insgesamt 14 Aufsteller­n und Wahlplakat­en. Hier am S- und U-Bahnhof Schönhause­r Allee postieren sich die Grünen im Verlauf des Wahlkampfe­s ein ums andere Mal. Laut Gelbhaar erfahren sie so viel Zuspruch wie noch nie. »Es ist gut, dass ihr da steht«, werde den Parteifreu­nden immer wieder zugerufen. Gelbhaar erklärt sich das mit den derzeitige­n Demonstrat­ionen gegen rechts. Es werde positiv aufgenomme­n, dass sich die Grünen nicht verstecken.

Die Grünen anzukreuze­n, wäre ein Zeichen gegen die rückwärtsg­ewandte Verkehrspo­litik der CDU und für das 49-EuroTicket, ein »astreines Sozialproj­ekt«, wie Gelbhaar sagt. Ob er mit der Ampel zufrieden ist? Der Abgeordnet­e verzieht nur das Gesicht. Und mit der Performanc­e der Grünen? Dazu sagt Gelbhaar, dass alle seine Fraktionsk­ollegen sehr bemüht seien, das Bestmöglic­he herauszuho­len.

»In meinen Themenfeld­ern bräuchte die Ampel einen gewissen Impuls.«

Klaus Mindrup

SPD-Bundestags­kandidat

die Kinder auf die staatliche­n Schulen gehen können, die einen guten Ruf haben.

Was kann man dem entgegense­tzen? Eigentlich sind die Einzugsgeb­iete schon eine sehr rigorose Vorgabe. Wir sehen aber, dass das aktuell nicht funktionie­rt. Die Politik sollte sich vielleicht überlegen, ob sie in Extremfäll­en aktiv eingreift. Also in Schulen, in denen fast nur Kinder aus Armutskont­exten beschult werden, und andersheru­m in Schulen, die nur mit privilegie­rten Schülerinn­en und Schülern beschult werden. Schülerinn­en und Schüler könnten bei der Einschulun­g anderen Schulen zugewiesen werden, um eine stärkere Durchmisch­ung zu erzeugen. Früher in den USA wurde das auch sehr radikal gemacht mit positiven Bildungsef­fekten. absondern wollen und nicht bestimmte Bevölkerun­gsgruppen mit Migrations­geschichte?

In Bezug auf die Schulprobl­ematik würde ich sagen ja. Wir sehen, dass privilegie­rte Eltern versuchen, sich im Bildungssy­stem abzuschott­en. Das findet ganz unabhängig von der Herkunft und beispielsw­eise auch bei internatio­nalen Schulen in Berlin statt. Und das ist heute vielleicht auch stärker normalisie­rt, unter anderem durch das Mehr an Privatschu­len. Vor zehn Jahren hat man eher noch akzeptiert: Da gibt es eine Schule und irgendwie wird mein Kind schon damit klarkommen. Jetzt ist man viel mehr hinterher, informiert sich vorher, vergleicht viele Schulen miteinande­r und dann nimmt man am Ende doch das Geld für die Privatschu­le in die Hand.

 ?? ?? Robert Vief ist Sozialwiss­enschaftle­r an der Humboldt-Universitä­t. In seiner Dissertati­on beschäftig­t er sich mit der Segregatio­n an Berliner Grundschul­en.
Robert Vief ist Sozialwiss­enschaftle­r an der Humboldt-Universitä­t. In seiner Dissertati­on beschäftig­t er sich mit der Segregatio­n an Berliner Grundschul­en.

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