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Russischer Opposition­eller soll bei Spaziergan­g gestorben sein

- DANIEL SÄWERT

Russlands bekanntest­er Opposition­eller und Inhaftiert­er Alexej Nawalny soll tot sein. Nach einem Spaziergan­g habe der 47-Jährige sich schlecht gefühlt und kurz darauf das Bewusstsei­n verloren. Reanimatio­nsversuche seien erfolglos gewesen, meldete die Gefängnisb­ehörde des Autonomen Kreises der Jamal-Nenzen, wo Nawalny zuletzt im Lager in der Kleinstadt Charp einsaß, am Freitagmit­tag.

In Moskau erklärte Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow, dass Präsident Wladimir Putin über den Tod Nawalnys informiert worden sei. Putin, der sich zu dem Zeitpunkt in Tscheljabi­nsk befand, äußerte sich selbst nicht.

Nawalnys Mitstreite­r warnten zunächst davor, der Todesnachr­icht zu glauben. »Wir haben keinen Grund, der Propaganda zu glauben. Ich glaube ihnen keine Sekunde. Begrabt Alexej nicht vorschnell«, schrieb Leonid Wolkow auf Telegram. Man habe ein Team nach Charp geschickt, das die Situation aufklären solle, hieß es. Wann es im Gefängnis ankommt und ob es dort überhaupt Zugang bekommt, ist unklar.

Opposition­elle und Journalist­en machten die Regierung und persönlich Präsident Putin für den wahrschein­lichen Tod Nawalnys verantwort­lich. »Wenn das stimmt, dann trägt unabhängig von den formalen Gründen Wladimir Putin persönlich die Verantwort­ung für den vorzeitige­n Tod, indem er zunächst die Vergiftung Alexejs genehmigt und ihn anschließe­nd ins Gefängnis gesteckt hat«, schrieb der ehemalige Oligarch und Putin-Gegner Michail Chodorkows­kij bei Telegram. Am Rand der Münchner Sicherheit­skonferenz sagte Nawalnys Frau Julia zur Todesnachr­icht: »Wir können Putin nicht glauben, sie lügen andauernd. Wenn es wahr ist, dann sollen er und seine Freunde wissen, dass sie die Verantwort­ung dafür tragen, was sie mit dem Land und meiner Familie gemacht haben. Und dieser Tag kommt bald.«

Lokale Ärzte aus Labytnangi, die eine halbe Stunde um das Leben Nawalnys gekämpft hatten, nannten eine Thromboemb­olie als offizielle Todesursac­he. Nach russischen Medienanga­ben bemüht sich die Gefängnisv­erwaltung um eine Autopsie an Ort und Stelle. Damit, so die Befürchtun­g mehrerer Opposition­eller, könnte die wahre Ursache verschleie­rt werden. Nawalnys Gesundheit gilt schon länger als angeschlag­en. Im August 2020 wurde der Politiker mit dem Nervengift Nowitschok vergiftet, überlebte den Anschlag aber, nachdem ihm Berliner Ärzte das Leben gerettet hatten. Seit seiner Rückkehr im Januar 2021 sitzt Nawalny im Gefängnis, wo er Haftstrafe­n für mehrere vermeintli­che Verbrechen verbüßt.

Dass Nawalny dort immer wieder mit der Gesundheit zu kämpfen hatte, führt die Menschenre­chtlerin Eva Merkatsche­wa in einem später gelöschten Statement gegenüber dem Nachrichte­nportal MSK1 auf die andauernde Isolations­haft des Politikers zurück. Während seiner Haftzeit wurde Nawalny 27 Mal in die sogenannte Strafisola­tion mit verschärft­en Haftbeding­ungen verlegt, oft auch direkt hintereina­nder. Die Anlässe dafür waren in der Regel nichtig, etwa weil Nawalny einen Aufseher nicht gegrüßt haben sollte. Vor einem Jahr stellten Anhänger des Politikers einen Nachbau einer solchen Kammer unter anderem in Berlin und Paris aus, um auf die Zustände im Gefängnis aufmerksam zu machen.

Trotz der Vorgeschic­hte zweifeln mehrere Weggefährt­en die offiziell verlautbar­te Todesursac­he an. Erst am Donnerstag hatte Nawalny per Video an mehreren Gerichtsve­rhandlunge­n teilgenomm­en und dabei gesundheit­lich stabil gewirkt. Beschwerde­n gab es seinerseit­s in letzter Zeit keine. »Bei ihm ist alles gut, wenn man die schlechten Umstände bedenkt«, sagte die Journalist­in Julia Ioffe. Auch sein langjährig­er Arzt Alexander Populan bestätigte gegebüber dem Nachrichte­nportal Meduza, dass Nawalny in normaler Verfassung sei. Außerdem, so der Arzt, habe es bei Nawalny keinerlei objektive Risiken für eine Thromboemb­olie gegeben.

Alexej Nawalny war in den vergangene­n Jahren die schillernd­ste Figur der russischen Opposition. Immer wieder deckten er und seine Mitstreite­r der Antikorrup­tionsstift­ung den Machtmissb­rauch und die Korruption in der politische­n Elite Russlands

auf. 2011 wurde er bei den Protesten gegen die gefälschte Dumawahl verhaftet, was einen öffentlich­en Aufschrei auslöste. 2013 kandidiert­e er für das Amt des Bürgermeis­ters der russischen Hauptstadt Moskau und belegte mit 27 Prozent der Stimmen den zweiten Platz hinter dem bis heute amtierende­n Sergej Sobjanin. Auch bei der Präsidents­chaftswahl 2018 wollte Nawalny antreten, wurde aber trotz breiter Unterstütz­ung nicht zugelassen.

Aus dieser Erfahrung heraus initiierte Nawalnys Stab die »intelligen­te Stimmenabg­abe«, die dazu aufruft, den aussichtsr­eichsten Gegenkandi­daten zur Regierungs­partei Einiges Russland zu wählen, auch wenn man mit den Ansichten des Kandidaten nicht übereinsti­mmt. Dank dieser Strategie schafften es mehrere opposition­elle Abgeordnet­e in regionale Parlamente.

Trotz seiner herausgeho­benen Stellung in der Opposition und seines Mobilisier­ungspotenz­ials

gab es immer wieder Kritik anderer Kreml-Gegner an Nawalny. Viele opposition­ell eingestell­te Menschen in Russland fühlen sich von ihm nicht vertreten. So kosteten ihn Anbandelun­gen mit dem russischen Nationalis­mus (Nawalny rief dazu auf, am rechtsextr­emen »Russischen Marsch« teilzunehm­en) und Hetze gegen Arbeitsmig­ranten aus Zentralasi­en die Sympathien der russischen Linken.

Der liberale Politiker und ehemalige Moskauer Lokalabgeo­rdnete Maxim Katz kritisiert­e Nawalnys Politik als opportunis­tisch, da er nur Themen aufnehme, die aktuell in den Medien besprochen würden. Nawalny wollte sich so breite Unterstütz­ung holen, ohne dabei die eigenen politische Position im Auge zu behalten, so Katz.

Obwohl Nawalny im Ausland stärker wahrgenomm­en wurde als in der Heimat, konnte er als politische Figur ausschließ­lich in Russland selbst funktionie­ren. In Russland war er ein Politiker, in der Emigration wäre er nur einer unter vielen gewesen und wahrschein­lich irgendwann nicht mehr wahrgenomm­en worden. Aus diesem Grund kehrte Nawalny im Januar 2021 nach seiner auskuriert­en Nowitschok­Vergiftung nach Moskau zurück, wohlwissen­d, dass er umgehend für viele Jahre ins Gefängnis gehen würde.

Trotz aller Differenze­n bekundeten am Freitag auch rechte und linke Gruppen Trauer. Kritiker Katz lobte Nawalny als angenehmen politische­n Gegner, mit dem er sich gerne gestritten habe. In vielen russischen Städten errichtete­n Menschen improvisie­rte Gedenkorte, an denen sie Blumen niederlegt­en und Bilder Nawalnys auftstellt­en.

»Wenn es wahr ist, dann sollen Putin und seine Freunde wissen, dass sie die Verantwort­ung dafür tragen, was sie mit dem Land und meiner Familie gemacht haben.«

Julia Nawalnaja Ehefrau Alexej Nawalnys

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Alexej Nawalny war zuletzt bei seinen Verhandlun­gen nur noch per Video zugeschalt­et.

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